Das Bundesverfassungsgericht hat seine Haltung zum Kopftuch muslimischer Lehrerinnen geändert und damit für Wirbel in der Politik gesorgt. Neben zufriedenen Stimmen, gibt es auch Kritik und Bedenken.
Der Vorsitzende des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland (IRD), Ali Kızılkaya, begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Kopftuchverbot und fordert unverzügliche Umsetzung des Urteils in die Praxis: „Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist mit der Religionsfreiheit nicht vereinbar. Eine abstrakte Gefahr reicht nicht mehr aus. Das ist zu begrüßen. Sorgen bereitet allerdings, dass nunmehr eine ‚hinreichend konkrete Gefahr‘ für ein Kopftuchverbot ausreichen soll. Wann dies vorliegt, wird noch zu konkretisieren sein, kann aber je nach Stimmung unterschiedlich ausfallen“.
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot ist leider nur eine mangelhafte Reparatur des Schadens aus 2003. Wir hätten uns von den Verfassungsrichtern ein noch klareres Votum für die Religionsfreiheit, für den Gleichheitsgrundsatz gewünscht. Im Detail ist das Urteil aber eine Lehrstunde an den Gesetzgeber“, so Bekir Altaş, kommissarischer Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş,
Wünschenswert sei es gewesen, wenn die Verfassungsrichter das Problem bei den Störern ausgemacht hätten, anstatt die Konsequenzen den betroffenen Lehrerinnen aufzuerlegen. Dennoch sei die Entscheidung ein deutlicher Schritt in Richtung der Verfassung.Nun seien die Gesetzgeber der Länder gefordert, daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Auch die Ditib begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und bezeichnete es als „Meilenstein“ für die Gleichberechtigung von Muslimen und die Religionsfreiheit. „Dadurch wird die Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, mit Leben erfüllt“, sagte der Landesvorsitzende Erdinc Altuntas der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Stuttgart.
Die rechts- und religionspolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, Ulrike Gote steht dem Urteil positiv gegenüber: „Ein Gesetz, das ein Nonnenhabit als legitim wertet, muss auch ein Kopftuch akzeptieren.“
Nicht begeisterte zeigte sich Heinz Buschkowsky, scheidender Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Er kritisierte das Urteil zum Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen als groben Fehler. „Ich empfinde das Urteil als Katastrophe“, sagte der SPD-Politiker am Freitag dem rbb-Inforadio. Das Bundesverfassungsgericht stelle die Religionsfreiheit Einzelner über das staatliche Gebot wertneutralen Handelns. „Ich halte das für ein Zurückweichen, für die Preisgabe eines elementaren Bausteins unserer Gesellschaft“, sagte Buschkowsky.
Die Alternative für Deutschland (AfD) begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland sagte am Freitag: „Es ist vollkommen richtig, dass ein Kopftuch pauschal keine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in Deutschland darstellt.“ Dies gelte allerdings auch für Kruzifixe.
Die sächsische AfD-Fraktionsvorsitzende Frauke Petry erklärt, das Kopftuch-Urteil sei ein Ausdruck der religiösen Toleranz. Eine „ausgewogene Rechtslage im Sinne der religiösen Toleranz“ werde es in Deutschland aber erst geben, wenn das Bundesverfassungsgericht sein Kruzifix-Urteil von 1995 revidiere.
Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) sieht die Debatte um das Kopftuch von muslimischen Frauen mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht abgeschlossen. „Je stärker ein Kopftuch nicht mehr als etwas Privates, sondern Öffentliches wahrgenommen wird, desto skeptischer sieht es die Bevölkerung“, sagte Öney am Freitag. „Das hat auch damit zu tun, dass die Bevölkerung das Kopftuch muslimischer Frauen nicht nur als religiöses Symbol wahrnimmt.“ Öney verweist auch auf eine Studie des Marktforschungsinstitutes Infratest Politikforschung aus dem vergangenen Jahr. Demnach störten sich 40 Prozent der Bevölkerung an einem Kopftuch bei einer Lehrerin.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brunhild Kurth, sieht einen möglichen „Anpassungsbedarf“ für einige Schulgesetze der Länder. Das Urteil „lotet das Verhältnis von öffentlichem Dienst und religiöser Betätigung neu aus“, sagte die CDU-Politikerin am Freitag am Rande der KMK-Frühjahrssitzung in Leipzig der Deutschen Presse-Agentur.(dpa/KNA/iQ)