Die Deutsche Bischofskonferenz begrüßt das Kopftuchurteil als wichtiges Signal für die Religionsvielfalt in Deutschland und ihre Bedeutung für den öffentlichen Raum. Politische Vertreter bewerten die Entscheidung unterschiedlich.
Als „starkes Signal für die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit“ wertet die katholische Kirche die neue Kopftuch-Entscheidung der Verfassungsrichter. In Politik und Gesellschaft begrüßen allerdings nicht alle das Karlsruher Urteil derart positiv.
Ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen ist verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dem Gesetzgeber beschieden. Mit der am 13. März bekanntgegebenen Entscheidung vom 27. Januar gibt der Erste Senat unter Vorsitz von Ferdinand Kirchhof der Klage zweier Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen statt, die im Unterricht aus Glaubensgründen ein Kopftuch bzw. eine Mütze tragen wollen. Mit sechs gegen zwei Stimmen erklärte der Senat ein Kopftuchverbot für verfassungswidrig, da es die Religionsfreiheit der Muslime verletze.
Karlsruhe distanziert sich damit in Teilen von seiner ersten Entscheidung in der Sache im Jahr 2003, in der es den Bundesländern das Recht zugeschrieben hatte, durch Schulgesetze ein Kopftuchverbot zu erlassen. Die Richter erläutern jetzt, ein Verbot sei nur dann zulässig, «wenn das Tragen einer Kopfbedeckung zu einer konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führen» könne.
Zugleich wenden sich die Obersten Richter gegen eine „Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“. Zudem verbiete sich die pauschale Schlussfolgerung, dass die Trägerin eines Kopftuchs ein Zeichen gegen Gleichberechtigung oder für eine Einschränkung der Freiheitsgrundrechte setze.
Für die Deutsche Bischofskonferenz hob ihr Sekretär, P. Hans Langendörfer SJ, hervor, Karlsruhe verstehe weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene Haltung: „Das Gericht bestätigt damit, Religion und religiöses Bekenntnis haben einen legitimen Platz im öffentlichen Raum.“ Ein „richtiger Schritt“, befindet auch der Zentralrat der Muslime. Er würdige die „Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen und lässt sie als gleichberechtigte Staatsbürger am gesellschaftlichen Leben teilhaben“.
Eine „Rolle rückwärts“ beklagt dagegen der Verband Bildung und Erziehung. Der Bundesvorsitzende Udo Beckmann befürchtet jetzt mehr Konflikte in den Schulen. Die Passage zur „konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens“ im Karlsruher Urteil lasse breiten Raum für Interpretationen und führe zu großer Rechtsunsicherheit, monieren Fachleute unterschiedlicher Couleur. Hier meldet auch der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar Konkretisierungsbedarf an.
Die Länder, reagierte die Kultusministerkonferenz (KMK) zustimmend, müssten nun ihre Schulgesetze überprüfen. „Die Kultusminister wollen keine uniformierte Regelung für alle Schulen, sondern der Einzelfall muss immer individuell geprüft werden“, betonte die KMK-Präsidentin, die sächsische Ministerin Brunhild Kurth (CDU).Ihre Amtskollegin aus Düsseldorf, Sylvia Löhrmann (Grüne), kündigte an, die rot-grüne NRW-Landesregierung wolle das Urteil rasch umsetzen. Der bayerische Ministerrat hingegen sieht keinen Änderungsbedarf bei seinem Kopftuchverbot. Die Regelung sei vom Verfassungsgericht des Freistaats bestätigt worden.
In Politik und Gesellschaft hält die kontroverse Debatte an. Die SPD Kirchenbeauftragte Kerstin Griese erklärte: „Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland.“ Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sprach von einem guten Tag für die Religionsfreiheit.
Hingegen vertritt der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach die Auffassung, wenn eine Lehrkraft ein Kopftuch trage, müsse dies „nicht nur Ausdruck der persönlichen religiösen Überzeugung“ sein, es könne sich ebenso um ein bewusstes Zeichen der Abgrenzung zur kulturellen Tradition Deutschlands handeln. Im Übrigen geht der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags davon aus, dass jetzt ein Verbot der Ganzkörperverschleierung (Burka) nur schwer durchsetzbar sein werde.(KNA/iQ)