Mit dem Projekt „Hatice“ wird das erste muslimische Frauenhaus in Österreich ins Leben gerufen. Das Projekt bietet Frauen mit und ohne Kindern die Möglichkeit an, in einer Notsituation eine kostengünstige Wohnung zu bekommen. Im Interview spricht Projektleiterin Saida Kettmann-Gamea über die Hilfestellung für Frauen.
IslamiQ: Welche Zielgruppe spricht Ihr Projekt an?
Saida Kettmann-Gamea: Bei unserem Projekt handelt es sich nicht ausschließlich um Hilfen für Opfer von Gewalt. Natürlich kommen auch Frauen zu uns, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, diese sind zahlenmäßig aber eher gering. Wir möchten jeder Frau helfen, ob sie nun verschuldet oder unverschuldet in Wohnungsnot geraten ist, kein Anspruch auf öffentliche Wohnungen hat, vorübergehend eine Unterkunft braucht oder einfach nur einsam ist. Häufig sind auch junge Konvertitinnen betroffen, deren Familien sich von ihnen abwenden.
IslamiQ: Wieso ein Frauenhaus für muslimische Frauen? Besteht ein spezieller Bedarf? Gehen Frauen lieber zu einem muslimischen Frauenhaus, als zu einem konventionellen?
Kettmann-Gamea: Erfahrungen zeigen, dass Musliminnen eher gehemmt sind, öffentliche Beratungsstellen aufzusuchen. Konventionelle Frauenhäuser betreuen, vielleicht aus Gründen geringer Kapazität, nur Frauen, welche tatsächlich von Gewalt betroffen sind. Ein weiteres Problem in den Frauenhäusern ist religiöser Natur. Musliminnen haben keinerlei Möglichkeiten, den Islam in diesen Einrichtungen auszuleben. Maximal wird auf Schweinefleisch verzichtet. Teilweise wird den Frauen sogar „angeraten“ auf ihre islamkonforme Kleidung zu verzichten, als Möglichkeit der Integration in das gesellschaftliche Leben.
Die Idee zu unserem „Frauenhaus-Projekt“ entstand aus der Notwendigkeit selbst. Bisher haben wir einigen Frauen auf privater Ebene geholfen, dh. wir haben öfters Frauen in unsere Privatwohnungen aufgenommen und ihnen dann versucht, mit bescheidenen Mitteln zu helfen. Nachdem sich unsere Aktivitäten herum gesprochen hatten, bekamen wir immer öfter Anfragen, sodass wir beschlossen, dieses Projekt „Hatice“ ins Leben zu rufen und ein professionelles und offizielles Hilfsangebot für Musliminnen zu starten.
IslamiQ: Ist die Nachfrage groß?
Kettmann-Gamea: Es kommen täglich Frauen zu uns, die in irgendeiner Weise Hilfe benötigen. Hierbei geht es nicht immer um eine Unterbringung in unseren Wohneinheiten, die sich im Übrigen nicht in einem einzigen Gebäude befinden, sondern in ganz Wien verteilt sind. In kleineren Wohngemeinschaften sollen die Frauen und Kinder sich von ihren Problemen lösen und sich von meist sehr stressigen Zeiten erholen. In diesem kleinen Rahmen ist es eher möglich, Frauen mit ähnlichen Problemen zusammen zu bringen, sodass sie sich auch untereinander austauschen können. Oftmals ergeben sich dadurch ganz neue Ideen und Perspektiven. Weiterst sollen sich Musliminnen auch nicht von der Gesellschaft absondern, sie sollen mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in Kontakt treten können.
IslamiQ: Wie können Sie hilfesuchenden Frauen Ihre Unterstützung anbieten? Wie ist das genaue Prozedere?
Kettmann-Gamea: Mit einem Team von Beraterinnen unterstützen wir die Frauen, indem wir mit ihnen gemeinsam Lösungen für ihre individuellen Probleme suchen. Ziel unserer Arbeit ist nicht, wie oftmals in konventionellen Frauenhäusern, die Familien zu trennen oder Ehescheidungen zu forcieren, sondern es geht vorrangig um den Erhalt der Familie als kleinste Zelle unserer islamischen Umma. Das bedeutet wiederum, dass nicht nur die Frauen selbst zu unserer Klientel gehören, wir versuchen auch die Ehemänner in den Prozess aktiv einzubeziehen.
Wenn es um Eheprobleme geht und die Frau möchte unbedingt die Scheidung, unterstützen wir sie natürlich in diese Richtung. Allgemein bieten wir neben der Betreuung durch Sozialarbeiterinnen auch rechtliche Beratungen, Hilfe in finanziellen Notlagen aber auch Hilfestellung bei Anträgen usw. und Begleitung zu Behörden, wir vermitteln geeignete Kinderbetreuungsangebote, helfen bei Job- bzw. Lehrstellensuche und vermitteln Dauerwohnungen, soweit es unsere Möglichkeiten zulassen.