Im Interview betont der Politiker Volker Beck (Bündnis90/Die Grünen), dass eine deutsche Adaptierung des österreichischen Islamgesetzes verfassungswidrig sei. Welche Fehler bei den hiesigen Versuchen zur Integration des Islams gemacht wurden und wie man eine Gleichberechtigung der Religion herbeiführen könnte.
IslamiQ: Die Grünen übten heftige Kritik am Islamgesetz in Österreich aus. Kann das Gesetz ein Vorbild für Deutschland sein?
Volker Beck: Nein. Inhaltlich wäre ein Islamgesetz mit denselben Regelungen wie in Österreich in großen Teilen verfassungswidrig. Es verletzt die weltanschauliche Neutralität des Staates und greift ganz erheblich in das religiöse Selbstbestimmungsrecht ein. Zum Ersten ist da die staatliche Genehmigungspflicht der religionsgemeinschaftlichen Verfassung (§ 23 Abs. 1 Islamgesetz). Zwar verlangt auch das deutsche Recht zur Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts die Gewähr der Dauer durch „Verfassung und Zahl der Mitglieder“. Aber das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dies dahingehend konkretisiert, dass an die Verfassung im Sinne des tatsächlichen Zustandes der Gemeinschaft keine höheren Anforderungen als die Rechtstreue zu stellen sind. Dies impliziert keinen Genehmigungsvorbehalt der Statuten, zumal der Prüfungsmaßstab zu bestimmen wäre.
Ein eventuelles Verbot der Auslandsfinanzierung müsste für alle Religionsgemeinschaften gelten und erscheint dann im Vergleich mit Gemeinschaften anderer Religionen (z.B. jüdische Gemeinschaften, christlich-orthodoxe Kirchen) als fragwürdig. Auch die beiden großen Kirchen in Deutschland unterstützen christliche Gemeinden im Ausland.
IslamiQ: „Jedes Land in Europa hat seine ganz eigenen Traditionen und Probleme im Umgang mit dem Islam. Aber bestimmte Problemstellungen sind sehr ähnlich.“, so Herr Kurz. Was halten Sie von dieser Aussage? Teilt Deutschland die ähnlichen Problemstellungen wie Österreich?
Beck: Die deutsche Rechtslage unterscheidet sich von der österreichischen in zwei Punkten erheblich:
1. Bis 1998 konnten religiöse Gemeinschaften keinen privatrechtlichen Rechtsstatus erlangen, sondern mussten sich als religiöse Körperschaft öffentlichen Rechts anerkennen lassen. 1998 erließ Österreich ein Bekenntnisgemeinschaftsgesetz, nach dem religiöse Gemeinschaften sich als religiöse Vereine staatlich registrieren lassen können, um am Rechtsverkehr teilzunehmen.
In Deutschland bestehen für die Existenz als religiösen Verein keinerlei tatsächliche Voraussetzungen Die privatrechtliche Organisation als religiöser Verein o.Ä. ist ohne Anerkennung möglich. Lediglich Religionsgemeinschaften, die mit dem Staat kooperieren wollen oder staatliche Anerkennung anstreben müssen bekenntnisförmig und mitgliedschaftlich organisiert sein.
2. Nach österreichischem Verfassungsrecht kann die Republik Österreich nur mit Völkerrechtssubjekten Staatsverträge abschließen, was mit der Katholischen Kirche (Heiliger Stuhl) 1933 auch geschah. Die Einräumung von Rechtspositionen und die symbolische Anerkennung von Religion geschehen in Österreich nach dem Anerkennungsgesetz von 1874 durch formelles Gesetz oder Verordnung des Kultusministeriums. Das Islamgesetz war 1912 das zweite dieser Art nach dem Gesetz über die Israelitische Religionsgesellschaft von 1890, es folgten 1961 das sog. „Protestantengesetz“ und weitere.
In Deutschland besteht diese Einschränkung der Abschlusskompetenz von Staatsverträgen nicht. Insofern bestehen – neben den beiden völkerrechtlichen Konkordaten (Preußen und Bayern) mit der Katholischen Kirche (Heiliger Stuhl) – zahlreiche sog. Staatskirchenverträge mit den evangelischen Landeskirchen. Die Länder Hamburg und Bremen haben auch bereits Staatsverträge mit muslimischen und alevitischen Gemeinschaften abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland schloß 2003 einen Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden.
IslamiQ: Die Botschaft des österreichischen Islamgesetzes an Muslime: „Sie haben nicht dieselben Rechte wie andere Religionsangehörige.“ Ausgehend vom populistischen/ polarisierenden Islamdiskurs in Europa, („alle Anhänger des Islams als potenzielle Straftäter“) kommt die Frage auf, ob die Politik scheitert, wenn es um die Gleichberechtigung der Muslime geht?
Beck: Wie gesagt, wir würden ein solches Gesetz in Deutschland für verfassungswidrig halten. Es verletzt Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes. Die Politik ist mit der Strategie, die Integration des Islam nur unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr zu betrachten, bereits in Deutschland gescheitert. Dafür müssen wir nur auf den Scherbenhaufen blicken, den Innenminister Friedrich bei der Islamkonferenz hinterlassen hat.
IslamiQ: Warum ist es wünschenswert, dass die Moscheegemeinden in Deutschland von ausländischen Geldern unabhängig werden?
Beck: Die ausländische Finanzierung von Religionsgemeinschaften wirft immer auch Fragen nach dem ausländischen Einfluss auf. Damit spreche ich nicht davon, dass die Stadt Köln sich an der Renovierung des Eingangsportals der Jerusalemer Grabeskirche beteiligt. Problematisch wird es, wenn ausländische Regierungen in Deutschland religiöse Strömungen mit einer politischen Agenda finanzieren. Noch problematischer wird es, wenn das Finanzgebaren intransparent ist.
IslamiQ: Was meint man mit dem „Islam österreichischer/deutscher/europäischer Prägung“? Wie stehen Sie dazu?
Beck: Menschen und Kulturen sind immer auch geprägt von der Umgebung, in der sie leben. Die Prägung ihrer Religion ist allerdings eine Entscheidung der hier lebenden Muslimas und Muslime und ihrer Organisationen und keine der Politik. Ich wünsche mir allerdings mehr Dialog zwischen Kirchen- Moschee- und Synagogengemeinden in Deutschland.
IslamiQ: Der islamische Religionsunterricht, die universitäre islamische Theologie oder die islamische Gefängnisseelsorge werden zurzeit instrumentalisiert, um die Radikalisierung vorzubeugen. Warum werden die obengenannten Rechte nicht als „Rechte“ wahrgenommen, sondern als Präventionsmittel?
Beck: Ich halte nichts davon, die Integration des Islam auf den Aspekt der Gefahrenabwehr zu reduzieren. Aber das kooperative Verhältnis von Staat und Religion hat auch auf fundamentalistische Kräfte in den Kirchen mäßigend gewirkt. Manche konservativen Katholiken beklagen dies.
IslamiQ: Wie kann das Misstrauen, welches das Verhältnis des Staates gegenüber seinen Bürgern muslimischen Glaubens prägt, überwunden werden?
Beck: Für diese Aufgaben wurde ein die Deutsche Islamkonferenz ins Leben gerufen. Leider wurde diese in der letzten Wahlperiode vor die Wand gefahren. Ich halte das nach wie vor für den richtigen Ort.
Man müsste dort endlich den Weg zu gleichberechtigten und anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften beschreiben und ggf. verabreden. Wir haben schon vor Jahren eine Road-Map hierfür vorgelegt. Muslimische Interessensverbände sind keine Religionsgemeinschaften. Aber islamische Religionsgemeinschaften müssen im Rahmen unseres Religionsverfassungsrechtes die gleichen rechtlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten erhalten wie die beiden großen Kirchen oder die jüdischen Gemeinden.