In diesem Beitrag der IslamiQ-Artikelserie “Muslimische Entdeckungen und Erfindungen” geht es um Augenheilkunde. Muslimische Wissenschaftler schrieben die umfangreichsten Werke über die Augenheilkunde und trugen zur Erforschung von Krankheiten bei.
Im 10. bis 13. Jahrhundert führten Augenchirurgen und Augenärzte Operationen am Auge durch, analysierten es und hielten ihre Erkenntnisse in Form von Monografien oder Unterrichtsbüchern fest. Dem bekannten deutschen Medizinprofessor Julius Hirschberg (1843-1925) zufolge wurden in diesem Zeitraum 30 Unterrichtsbücher geschrieben, von denen uns 14 erhalten geblieben sind.
Die muslimischen Wissenschaftler verwendeten in ihren Büchern moderne Begriffe der Medizin wie Cornea, Retina oder Conjunctiva. Operationen an den Augenliedern kamen häufig vor. Auch die Behandlung von Glaukom (Grüner Star) war weit verbreitet. Der größte Beitrag liegt jedoch im Bereich der Behandlung des Katarakt (Grauer Star). Um die Trübung der Augenlinse, welche bei einem Katarakt vorliegt, zu behandeln, konstruierte der irakische Arzt Musuli (Ibni Ammâr) die Hohlnadel. Diese führte er in den Limbus (Übergangszone zwischen Horn- und Lederhaut des Augapfels) und heilte somit den Grünen Star. Diese Technik wird, um einige moderne technische Erweiterungen bereichert, heutzutage immer noch angewandt.
Der erste, der eine Katarakt-Operation durchführte, war Musuli, mit vollem Namen Abu’l Kâsim Ammâr bin Alî al-Mawsilî. In der islamischen Welt ist er unter dem Namen Ammâr bekannt, während sein Name in der westlichen Wissenschaft zu Canamusali latinisiert wurde. Da er in Mossul auf die Welt kam, wurde er auch Mawsili oder Musuli genannt.
In seinem 48 Kapitel umfassenden Werk „Augenheilkunde“ behandelt er 48 verschiedenen Augenkrankheiten. Eine Handschrift des Buches findet sich in der El Escorial Bibliothek in Madrid. Bis in das 20. Jahrhundert war die hebräische Übersetzung des Werkes aus dem 13. Jahrhundert die einzige Quelle aus dem Arabischen. Prof. Hirschberger, der die „Augenheilkunde“ 1905 ins Deutsche übersetzte, bezeichnete Musuli als den klügsten Augenchirurgen in der arabischen Literatur.
Musulis Zeitgenosse Alî ibni Îsâ ist einer der bekanntesten muslimischen Augenärzte in der islamischen Welt. Er schrieb das „Erinnerungsbuch für Augenärzte“, welches das umfangreichste Buch im Bereich der Augenheilkunde ist. Das Werk wurde zuerst ins Persische, dann ins Lateinische übersetzt und in Venedig gedruckt. 1904 legten Julius Hirschberg und Julius Lippert eine deutsche Übersetzung vor. Zudem wurde es später im Jahre 1936 von dem US-amerikanischen Augenarzt und Akademiker Casey Wood ins Englische übersetzt.
Das „Erinnerungsbuch für Augenheilkunde“ des Ibni Îsâ war über Jahrhunderte die Autorität im Bereich der Augenheilkunde. Es beschreibt 130 Augenkrankheiten, darunter etwa die sogenannte „Ägyptische Körnerkrankheit“ (Trachom), eine Art bakterielle Entzündung des Auges, und einige andere Arten der Augenentzündung.
Das Buch von Alî ibni Îsâ ist das älteste Werk im Bereich der Augenentzündung überhaupt und bis in unsere Tage erhalten geblieben. Der englische Medizinhistoriker Dr. Cyril Elgood (1892–1970) schreibt über dieses Werk: „Das erste Kapitel ist der Anatomie gewidmet, das zweite den äußeren Augenkrankheiten, das dritte den mit dem Auge nicht erkennbaren inneren Augenkrankheiten… Die dem modernen Begriff der Augenkrankheit am nächste Ansicht des Ali ist seine Feststellung, dass auch Magenkrankheiten und Funktionsstörungen des Gehirns Grund für Sehschwächen sein können.“
Die Arbeiten im Bereich der Augenheilkunde sind jedoch nicht hiermit begrenzt. Im Jahre 1088 schrieb der persische Gelehrte Abû Rûh Muhammad ibni Mansûr ibni Abdullâh (al-Jurjani) ein Buch mit dem Titel „Licht des Auges“. In einem Kapitel des Buches behandelt er Krankheiten wie die Nervenlähmung, diverse Blutkrankheiten oder Vergiftungen, die sich am Auge bemerkbar machen.
Der Arzt Muhammad ibni Kasin ibni Aslam al-Gafiki, latiniert Algafiki, lebte in Cordoba, wo er ein Handbuch zur Behandlung von Augenkrankheiten verfasste. Doch er beschränkte sich nicht auf das Auge, sondern betrachtete auch Krankheiten am Kopf und im Gehirn. Laut dem BBC-Reporter Ragel Omaar wurde seine Behandlungsmethode bei Grauem Star bis zum ersten Weltkrieg angewendet. Anlässlich des 800. Jahres seines Versterbens wurde 1965 ihm zu Ehren eine Büste vor dem städtischen Krankenhaus in Cordoba aufgestellt.
Grauer Star ist die häufigste Ursache für Erblindung bei Menschen über 50 in Großbritannien. 2005 wurden in Großbritannien mehr als 300 000 Katarakt-Operationen vorgenommen, welche somit zu den am häufigsten durchgeführten Operationen zählt. Wer hätte gedacht, dass die Arbeiten des Musuli im 10. Jahrhundert die Grundlage für die heutige operativen Eingriffe bilden würde?
Prof. Hirschberg beendete 1905 seine Rede vor der „American Medical Association“ mit folgenden Worten: „In der dunklen Zeit des europäischen Mittelalters haben sie (die Muslime) unsere Wissenschaft (die Augenheilkunde) von Guadalquivir (Spanien) bis zum Nil (Ägypten) und zum Oxus (Russland) entwickelt und gespeist. Sie waren die einzige Autorität im Bereich der Augenheilkunde.“