In Ungarn leben etwa 20.000 Muslime. Wenig ist über sie bekannt, obwohl schon im 9. Jahrhundert muslimische Stämme in das Land kamen. Ahmet Barışçıl hat mit György Jakab, einem Muslim aus Ungarn, gesprochen.
Ungarn ist ein Staat in Zentraleuropa mit einer Bevölkerung von 10 Millionen Menschen. Etwa 1,5 Millionen dieser Menschen leben in der Hauptstadt Budapest. Den Großteil dieser Bevölkerung bilden Ungarn. Die Minderheiten in diesem Land führen Deutsche, Serben, Slowenen, Rumänen und Juden an. Die Situation der Muslime in Ungarn, dessen Bevölkerung mehrheitlich Katholiken und Protestanten sind, haben wir mit György Jakab, einem Muslim, der in Budapest lebt, besprochen.
Auch wenn der Islam eine sehr lange Tradition in Ungarn hat, das ab 1541 für 160 Jahre unter osmanischer Herrschaft stand, ist er heute eine „fremde“ Religion. Auch wenn den Großteil der rund 6 Tausend Muslime Araber und Türken stellen, so ist auch die Zahl der konvertierten Ungarn recht hoch. Auch der 41 jährige Ungar György Jakab ist einer dieser konvertierten Muslime. György erzählt, dass er als Ergebnis seiner verschiedenen Reisen in islamische Regionen und die persönliche Erfahrung, die er in diesen Reisen sammelte, vor zwölf Jahren zum Islam konvertierte und beschreibt diesen Prozess folgendermaßen: „Allah sei unendlicher Dank! Nachdem ich 15 muslimische Länder bereist habe, bin ich durch einige Entwicklungen, die ich aus der Nähe bezeugt habe, Muslim geworden.
Zum Beispiel haben wir auf einer Reise nach Mali eine Wüste durchquert. Aus dem Radio des Busses ertönte der Adhan. Der Bus hielt sofort an, alle stiegen aus, führten die Tayammum aus und verrichteten zusammen das Pflichtgebet. Neben mir blieb ein afrikanischer junger Mann sitzen. Auf meine Frage: „Warum betest du nicht?“, sagte er: „Ich werde in Bamako die Gebete zusammenlegen und ausführen, aber ich möchte mich jetzt mit dir über das Gebet unterhalten.“
Nach Schätzungen von György leben im Gegensatz zu den staatlichen Zahlen 20.000 Muslime in Ungarn und unter diesen Muslimen sind 3.000 bis 3.500 konvertierte Ungarn. Er schätzt, dass 4.000 bis 5.000 Muslime ungarische Staatsbürger sind.
György lebt in Budapest und unterrichtet im Ort Pásztó, der 80 Kilometer entfernt ist. György lernte erst Türkisch nachdem er konvertiert ist und erzählte uns seine Geschichte in flüssigem Türkisch, er sagt, dass er keinen Sprachunterricht besucht hat, sondern nur durch Praxis Türkisch gelernt hat: „Türkisch ist die Sprache unserer Verwandten und scheint für uns die einfachste Sprache zu sein. Ich fahre jedes Jahr in die Türkei und bleibe dort ein bis zwei Wochen. 2007-2008 war ich 9 Monate lang Sekretär in einem türkischen Masdschid. Da die Imame kein Ungarisch konnten, musste ich Türkisch lernen.“
György lernte seine Frau 1993 kennen und sie heirateten im selben Jahr. Das Ehepaar Jakab, das keine Kinder hat, lebt in ihrer 42 Quadratmeter großen Wohnung mit ihren Katzen zusammen. Györgys Mutter verstarb erst vor kurzer Zeit und sein Vater war wie er selbst lange Jahre Lehrer. Auch der pensionierte 70 jährige Vater lebt in Budapest. György betont, dass sein Vater gerne Sport treibt und reist und erzählt, dass er traurig darüber ist, dass sein Vater seit dem Tod seiner Mutter alleine lebt. Die Beziehung zu seinem Vater hat sich nicht geändert, nachdem er konvertiert ist: „Ich spreche fast jeden Tag mit meinem Vater und wir unterhalten uns lange. Da er zur Zeit des Kommunismus geboren und aufgewachsen ist, interessiert er sich nicht besonders für Religionen. Offen gesagt, glaubt er nicht einmal an die Existenz Gottes, aber er ist sehr tolerant gegenüber dem Islam und den Muslimen.“
Muslim in Ungarn zu sein, bedeutet einer Minderheitsgruppe anzugehören. Die erste Verfassungsänderung zu Minderheiten wurde 1989 durchgeführt. 1995 wurde der parlamentarische Kommissar für nationale und ethnische Minderheiten eingesetzt. Nach einem Bericht der EU aus dem Jahr 2002 wird Ungarn als Land beschrieben, das die Religionsfreiheit respektiert.
Nach dem Bericht der EU hat das Land 2005 das Gesetz zur Entwicklung von Gleichbehandlung und Gleichberechtigung verabschiedet, um eine Diskriminierung in den Bereichen Arbeit und Bildung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder dem ethnischen Hintergrund zu verhindern. Auch wenn 2002 eine Radiostation dafür bestraft wurde, Rumänen und Juden zu beleidigen, gehört trotzdem die Diskriminierung von insbesondere Rumänen immer noch zu den Grundproblemen im Land.
Gegenüber den Muslimen gibt es hingegen von Staatsseite keinen Druck. György sagt, dass seine Frau ein Jahr lang mit Kopftuch unterrichtete, und dass Frauen mit Kopftüchern in staatlichen Schulen sowohl Schülerinnen, als auch Lehrerinnen sein können. Anschließend fügt er an: „In Ungarn ist die Zahl der Muslime niedrig und da der soziale Status dieser hoch ist, zeigt sich hier keine Feindseligkeit gegenüber Muslimen. Aber nach den Ereignissen von Paris und wegen der Einwanderer aus dem Kosovo, die in den letzten Monaten auf illegalem Weg nach Ungarn kamen, kann man Ausländer-feindlichen Aussagen begegnen.“
Laut György stellen die Mehrheit der Muslime im Land vielsprachige Schüler oder Akademiker und er betont, dass der Islam in Ungarn im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa keine „Gastarbeiter Religion“ ist. Das persönliche Leben von György ist hingegen sehr bescheiden. Das Haus der Paares Jakab ist im 9. Bezirk von Budapest Középső-Ferencváros, also im Viertel Mittel Ferencváros. Das Haus wurde 1899 errichtet und vor einigen Jahren restauriert.
Die Geschichte der Muslime in Ungarn fasst er wie folgt zusammen: „Schon unter den Ungarn, die 896 in diese Region kamen, befanden sich muslimische Stämme. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts machten Muslime 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung aus. Der Islam wurde durch die osmanische Herrschaft zwischen 1541 und 1686 gestärkt, verbreitet und die Muslime übernahmen auch auf Führungsebene eine vorherrschende Rolle. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zwar unter den Ungarn eine hohe muslimische Bevölkerung, aber trotzdem war die Zahl der Muslime in Bezug auf die Gesamtbevölkerung ziemlich niedrig. Als Österreich-Ungarn Bosnien Herzegowina besetzte, also Ende des 19. Jahrhunderts, begannen aus Bosnien muslimische Menschen und Soldaten nach Ungarn zu kommen. Und 1916 wurde der Islam in unserem Land offiziell anerkannt.“
Nach der Anerkennung des Islams begannen die 1931 im Land lebenden Bosnischen Muslime erste öffentliche Einrichtungen zu gründen und Durics Hilmi Huszein, bosnischer Herkunft, wurde zur Repräsentation der muslimischen Bevölkerung im Land zum ersten Mufti gewählt. Im Kommunismus blieb von diesen Einrichtungen nichts mehr übrig und die religiösen Institutionen wurden dem hohen Druck durch den Staat ausgesetzt. Ab den 80ern stieg mit dem Fall des Kommunismus die Zahl der ausländischen Studenten in Ungarn ziemlich stark und natürlich auch die Zahl der Muslime… Unter der Führung dieser Muslime wurden wieder islamische Gemeinden gegründet. 1988 wurde unter dem Namen der Ungarisch Islamischen Gemeinde der erste islamische Verein ins Leben gerufen.
Auf der anderen Seite ist Ungarn für seine 2011 eingeführte streitbare Verordnung zu religiösen Gemeinden bekannt. Durch die 2012 in Kraft getretene Verordnung verloren 350 religiöse Gemeinden, die vormals den Status einer „Kirche“ innehatten, ihren Status und wurden zu „inoffiziellen Organisationen.“ Laut dem Gesetzestext können sich religiöse Gemeinden, die ihren Status als „Kirche“ verloren haben, an das Ungarische Parlament wenden und jene Gemeinden, die bestimmte Kriterien erfüllen, können nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament wieder Anerkennung erhalten. Der rechtliche Status der religiösen Gemeinden, die vom Parlament nicht anerkannt werden, wird vom Status der „anerkannten Kirche“ zum „Verein“ umgewandelt.
Das Gesetz hatte für religiöse Gemeinden, die ihren vormaligen Status verloren haben, ziemlich nachteilige Folgen. Während beispielsweise soziale Dienste der nicht anerkannten, religiösen Gemeinden, wie die Hilfe für Obdachlose, staatlich nicht unterstützt wird, sind Beschäftigte von anerkannten Gemeinden von der Steuer befreit. Außerdem werden die öffentlichen Spendenaufrufe, die für die religiösen Aktivitäten der Gemeinden durchgeführt werden, vom Staat nicht überprüft, während diese Spendenaufrufe der nicht anerkannten Kirchen überprüft werden. Nicht anerkannte religiöse Gemeinden besitzen an staatlichen Schulen oder Hochschulen keine Erlaubnis zur religiösen Ausbildung und sie können in Krankenhäusern oder dem Militär keine seelsorgerische Beratung anbieten.
Nachdem die Fidesz-KDNP Koalition 2011 trotz starker Kritik inländischer und ausländischer Menschenrechtsorganisationen das Gesetz verabschiedete, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2014, dass das Gesetz gegen den Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Laut dem EGMR untergräbt das Gesetz die Neutralität des Staates in Religionsfragen. Aber die ungarische Regierung hat kein Interesse daran, die religiösen Gemeinden, die den kirchlichen Status verloren haben, zu entschädigen.
Im Zuge dieser Debatten hat in Ungarn die „Organisation der Ungarischen Muslime“ (MME – ungarisch „Magyarországi Muszlimok Egyháza“) durch das Parlament den Status einer „Kirche/religiösen Gemeinde“ erhalten. Eine weitere muslimische Einrichtung im Land die „Ungarisch Islamische Gemeinde“ (Englisch „Hungarian Islamic Community“) hat nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 2011 den Status als religiöse Gemeinde weiterhin beibehalten können. Eine Einrichtung, die im Land zwar nicht den Status einer religiösen Gemeinde hat, aber aktiv darin ist, den Koran ins Ungarische zu übersetzen und andere islamische Quellen zu drucken, ist der Hanif Islam und Kultur Verein. György, der Lehrer für Französisch und Geografie ist, engagierte sich 2007 und 2008 freiwillig in diesem Verein.
Auf unsere Frage, ob Muslime in Budapest ihre Gebete leicht verrichten können, sagt György, dass in der Hauptstadt acht Gebetsräume aktiv ihren Dienst für Muslime anbieten. Hingegen gibt es laut György in Budapest keine islamische Schule. Aus diesem Grund gehen Menschen in die Türkei oder in arabische Staaten, um eine islamische Ausbildung zu erhalten. György betont, dass Muslime im Alltagsleben nicht sehr gegenwärtig sind, da ihre Zahl in der Gesamtbevölkerung sehr gering ist. Auch wenn der Islam für die Mehrheitsgesellschaft eine Religion ist, die nur in Nachrichten zum Ausland thematisiert wird, verfügt er im Gedächtnis der ungarischen Gesellschaft wegen der positiven Überbleibsel aus der Zeit der Osmanen über einen hohen Stellenwert. Auf der anderen Seite fügt György an, dass die ungarischen Muslime den Traditionen der arabischen und türkischen Geschwister folgen und diese nachahmen, da sie noch nicht ihre eigene religiöse Tradition und Kultur entwickelt haben.
György kennt in dem Gebiet, in dem er lebt, fast alle Muslime persönlich. Wenn er von der Arbeit und der Beschäftigung zuhause Zeit findet, geht György zum nächsten Masdschid und insbesondere im Monat Ramadan versucht er alle Masdschids der Stadt zu besuchen. György sagt, dass er einschließlich seines Vaters eine Vielzahl von nichtmuslimischen Bekannten und Freunden hat. Er fügt an, dass insbesondere ein Teil seiner Kollegen und Schüler neugierig zum Islam sind und ihm unentwegt Fragen stellen. Das ungarische Volk ist besonders neugierig auf Themen, wie das Jenseits, die Engel und Gebete, wie das Fasten im Ramadan und die Hadsch.
György glaubt nicht, dass sich das Gesamtbild zum Islam in Ungarn in naher Zukunft ändern wird und möchte seine Reisen in die islamische Welt fortsetzen und die Lage der Muslime in verschiedenen Ländern und Regionen persönlich vor Ort sehen: „Bis heute habe ich 52 Ländern bereist, davon waren 20 islamische Länder. Mit meiner Frau wollen wir zusammen in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Oman, um dort die Feiertage mit den dortigen Muslimen zusammen zu begehen. Dies ist vielleicht schwer zu verwirklichen, aber ich bin mir sicher, dass uns inschallah unsere dortigen Geschwister helfen werden.“