IslamiQ befragte die einzelnen Vertreter der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) organisierten Religionsgemeinschaften. Es geht um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des KRM. Heute Zekeriya Altuğ von der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB).
IslamiQ: Es wird kritisiert, dass in Zeiten der Islamkritik ein sechsmonatiger KRM-Sprecherwechsel zu Irritationen führt, da man sich immer wieder an eine neue Figur gewöhnen muss. Ist diese Kritik verständlich?
Zekeriya Altuğ: Ich kann diese Irritation verstehen. Diese Form der Sprecherwahl führt nicht nur dazu, dass sich die Öffentlichkeit nicht an ein Gesicht gewöhnen kann und dadurch ein Vakuum entsteht. Dieses Vakuum erweckt Begehrlichkeiten bei vielen außerhalb der muslimischen Verbände. Daneben hat das Rotationsprinzip auch zur Folge, dass der Sprecher seine Legitimation lediglich von dem Verband bekommt, der ihn für die sechs Monate benennt. Daher ist dieses Modell auch problematisch, wenn es darum geht, im Namen aller Muslime zu sprechen. Die Lösungen, die innerhalb des KRM für dieses Legitimationsproblem bisher gefunden wurden, machen den KRM allerdings insgesamt weniger handlungsfähig.
IslamiQ: Bekir Alboğa sagt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Es hat leider in den letzten zwei, drei Jahren bestimmte Störungen seitens bestimmter Dachverbände gegeben“. Man möchte aber an der Einheit festhalten. Wie ist das zu verstehen?
Altuğ: Eine Zusammenarbeit der großen muslimischen Bundesverbände ist unabdingbar, wenn wir eine gesellschaftlich relevante Aufgabe übernehmen und unsere gesamtgesellschaftlichen Pflichten erfüllen wollen. Hierzu braucht es jedoch Strukturen und Plattformen für das gemeinsame Handeln, die nicht nur die Interessen der eigenen Verbände in den Vordergrund stellen. Vielmehr brauchen wir gemeinsame Foren, wo nicht nur einzelne Funktionäre der Bundesverbände miteinander reden und versuchen gemeinsam zu handeln. Es muss uns gelingen, die Einheit als das Zusammenwirken der Pluralität im Islam zu verstehen und vielen Facetten des muslimischen Lebens eine Stimme zu geben. Dazu ist es jedoch nötig, dass Plattformen wie der KRM nicht nur mit den eigenen Vorständen Rücksprache halten und nur ihnen gegenüber Rechenschaft abgeben. Vielmehr braucht das gemeinsame Handeln der Muslime mehr Austausch und mehr Transparenz, insbesondere auch mit der Basis und deren Vertretern.
IslamiQ: Muslimischen Organisationen in Deutschland wird oft vorgeworfen, sie seien ihren ursprünglichen Heimatländern zu sehr verbunden und ließen sich von diesen beeinflussen. Würden Sie einen Einfluss dieser Art negativ bewerten?
Altuğ: Die Verbundenheit mit den Heimatländern ist gleichzeitig auch eine Verbundenheit mit der Kultur und der Tradition. Der Islam war und ist dynamisch. Dennoch braucht jede Religion neben der geschriebenen Lehre besonders auch die Spiritualität und den gelebten Glauben. Hierbei spielen Traditionen und die jahrhundertelange Erfahrung der islamischen Zivilisationen eine sehr wichtige Rolle. Wie wichtig dieses ist, sehen wir insbesondere bei den sogenannten neosalafistischen und den radikalen Randerscheinungen in Deutschland. Vielen dieser Gruppen ist gemein, dass sie die Tradition ablehnen. Wenn man also „einen deutschen Islam“ ohne die Bindung zu den Herkunftsländern fordert, sollte man beachten, dass es auch hier nicht „den deutschen Islam“ geben kann.
Sicherlich mag es dann sehr liberale Facetten geben. Wir sehen jedoch in den letzten Jahren, dass insbesondere die radikalen Ränder von dem Bruch mit den Herkunftsländern profitieren. Denn allen Terroristen, die im Namen des Islams nach Syrien oder in den Irak auswandern um dort nach ihrer Ansicht gegen die „Ungläubigen“ zu kämpfen gemeinsam, dass sie keine Bindung zu den sogenannten Herkunftsländern haben. Unsere Bindung jedoch sind unsere Wurzeln. Die Pflanze wächst und gedeiht in Deutschland. Ihre Wurzeln bis in die Herkunftsländer sorgen aber erst für das Erblühen und sichern das Überleben. Bis die Wurzeln in Deutschland stark genug sind.
IslamiQ: Die Junge Islamkonferenz bemängelt, dass die islamischen Religionsgemeinschaften mehrheitlich die Interessen der ersten und zweiten Generation der muslimischen Einwanderer vertreten würden. Heute seien 50 Prozent der Muslime unter 25 Jahren. Wie sehen Sie das?
Altuğ: Sicherlich ist die Kritik auf den ersten Blick berechtigt. Sie fasst jedoch zu kurz, insbesondere wenn es um die DITIB geht. Sicherlich ist es richtig, dass wir in der Jugendarbeit viel mehr machen müssen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Interessensvertretung überhaupt von oben nach unten aufgebaut werden kann. Denn unser Verband ist basisdemokratisch organisiert. In den Gemeinden wählen die Mitglieder die Gemeindevorstände, diese wiederum die Landesvertreter. Natürlich können und sollen die Bundes- und Länderebene Ideen und Impulse geben. Diese werden jedoch ohne die Basis, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, verpuffen.
Wenn in den Gemeinden die Interessen der Jugendlichen mehr berücksichtigt werden sollen, kann dies nur über mehr Anteil von jungen Menschen in den Vorständen geschehen. Dazu bedarf es jedoch der Mitgliedschaft in der Gemeinde und auch der Bereitschaft, aktiv im Vorstand oder in einem der vielen Gremien der Gemeinde mitzuwirken. Wir als DITIB haben in den letzten Jahren auch durch unsere Satzungsänderungen viel Raum für Frauen-, Jugend- und Bildungsarbeit geschaffen. Jetzt ist es an der jüngeren Generation, diese Räume mit Leben auszufüllen. Denn ein über 60-Jähriger wird die Interessen der Jugendlichen nie in dem Maße vertreten können, wie es ein unter 30-Jähriger kann. Ich lade daher alle jungen Muslime ein, eingetragenes Mitglied in unseren Gemeinden zu werden und sich auch für Vorstandsämter zur Verfügung, sprich zur Wahl zu stellen.
IslamiQ: Man möchte sich erneut über die Aufgaben und Ziele des KRM beraten, hieß es zuletzt den Medien gegenüber. Über welche Möglichkeiten wird nachgedacht?
Altuğ: Uns als DITIB ist es wichtig, dass der KRM nicht nur behauptet, alle organisierten Muslime in Deutschland zu vertreten, sondern tatsächlich Plattformen schafft, die dieses auch gewährleisten. Hierzu ist es jedoch wichtig, dass die Mehrheit der Muslime auch sichtbar und spürbar in die Diskurse und den Austausch eingebunden wird. Daher brauchen wir ein Forum, wo Vertreter aus der Basis teilnehmen können.
Ebenso braucht der Islam auch den Austausch mit Fachleuten aus verschiedensten Kreisen. Hierzu bedarf es ebenfalls Austauschplattformen, um auch Minderheitenmeinungen eine Stimme zu geben. Weiterhin ist es wichtig, gemeinsame Plattformen auf Länderebene zu etablieren. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit islamischer Religionsgemeinschaften werden in den Bundesländern festgelegt. All dieses macht eine Umstrukturierung des KRM und an eine Anpassung an die Bedarfe unserer Zeit unausweichlich. Unser Bestreben bei dieser Umstrukturierung ist es, eine basisdemokratischere und handlungsfähigere Struktur zu finden, die neben der gemeinsamen Handlungsfähigkeit, mehr Transparenz schafft und eine gerechtere Vertretungsstruktur für alle Islamischen Religionsgemeinschaften auf Bundesebene ermöglicht.