Der Mord an Dr. Marwa El-Sherbini, der sich heute zum sechsten Mal jährt, ist ein Lehrstück für die verheerenden Folgen, die antimuslimischer Rassismus haben kann. Ein Lehrstück für den mangelhaften Umgang mit islamfeindlichen Taten und eine Mahnung, antimuslimischen Rassismus bzw. Menschenfeindlichkeit nicht ungehindert wuchern zu lassen.
„Bevor sie ihre Aussage beendete, wandte sich Marwa El-Sherbini zum Angeklagten und sagte mit einem freundlichen Lächeln, der Islam sei eine friedliche Religion […].“ Wenige Minuten später waren sie und ihr ungeborenes Kind tot. Niedergestochen durch den Angeklagten mit 18 Messerstichen. Dieser störte sich an dem Kopftuch von Marwa El-Sherbini, hatte sie fast ein Jahr zuvor als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft. Deswegen stand er am 01.07.2009 wegen des Vorwurfs der Beleidigung vor dem Landgericht Dresden im Rahmen einer Berufungsverhandlung. Aus diesem Grund sagte El-Sherbini als Zeugin an diesem Tag vor Gericht aus. Die Tat ereignete sich, als sie den Gerichtssaal verlassen wollte. Ihr Ehemann wollte ihr zu Hilfe eilen und wurde dabei durch mehrere Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Außerdem gab ein hinzukommender Polizist gezielt einen Schuss auf den Ehemann ab und traf ihn in ein Bein, da er ihn als Täter einstufte. Beobachtet hatte die Tat der dreijährige Sohn des Paares, den die Eltern mit in den Gerichtssaal genommen hatten. Er blieb – jedenfalls körperlich – unverletzt.
Die Beweggründe für den Täter lassen sich laut eigener Aussage in einem Satz resümieren: Marwa El-Sherbini habe nach dem 11. September 2001 keine Lebensberechtigung in Deutschland.
Dessen ungeachtet taten sich die Medien und Politik lange Zeit schwer mit der Einordnung der Tat. Die Möglichkeit, dass es sich dabei um eine antimuslimische Straftat handeln könnte, wurde zunächst völlig ausgeblendet. Zudem wurden die Gründe für das Verhalten des Sicherheitsbeamten gegenüber dem Ehemann des Opfers kaum thematisiert.
Sechs Jahre sind seit der Ermordung El-Sherbinis vergangen. Der „Tatort“ Dresden ist nun Hochburg der Pegida-Proteste. An diesem Ort, an dem sich einer der schlimmsten islamfeindlichen Straftaten ereignete, warnen nun „besorgte“ Bürger vor der Islamisierung des Abendlandes und skandieren ihre islamfeindlichen Parolen. Bisweilen erfahren diese Proteste sogar Verständnis von Politikern.
Auch im Übrigen muss konstatiert werden, dass aus diesen islamfeindlichen Taten und den Ermittlungsfehlern keine Lehren gezogen wurden. Die Anschläge auf Moscheen und andere religiöse Einrichtungen sowie Übergriffe auf Musliminnen und Muslime und ausländisch aussehende Personen nehmen zu. Dennoch werden die Taten selten von Ermittlungsbehörden oder der Politik als islamfeindliche oder rassistische Taten eingestuft. Vielmehr wird von dieser Seite angemahnt, nicht gleich von einer islamfeindlich motivierten Tat auszugehen. Es werde in alle Richtungen ermittelt, heißt es oft.
Exemplarisch ist insofern der Brandanschlag auf die Berliner Mevlana-Moschee zu nennen. Dabei wurde zunächst überhaupt das Vorliegen einer Straftat ausgeschlossen. Erst später – insbesondere auch durch die Hinweise der betroffenen Gemeinde selbst – wurde ein technischer Defekt für den Brand ausgeschlossen und festgestellt, dass es sich um eine vorsätzliche Brandstiftung handelt. Eine politisch motivierte, also islamfeindliche Tat, wollten die Ermittler trotz dessen nicht annehmen, da die Ermittlungen noch liefen. Hier muss folgende Frage erlaubt sein: Wenn vor dem Abschluss der Ermittlungen nicht von einer antimuslimischen Tat ausgegangen werden soll, wie kann umgekehrt diese Möglichkeit vorschnell ausgeschlossen werden?
Am 9. Februar wurde eine muslimische Studentin auf dem Heimweg von der Universität in Kaiserslautern angegriffen. Obwohl gewichtige Anhaltspunkte für eine antimuslimische Straftat sprechen – das Kopftuch der Studentin wurde heruntergerissen, sie wurde mit Alkohol überschüttet – blenden die Ermittlungsbehörden einen solchen Hintergrund aus. Stattdessen suchten sie die Schuld bei der Studentin selbst, die nun ausgelöst durch einen Migazin-bericht als „Leyla“ bekannt geworden ist.
Es können noch weitere Beispiele genannt werden: So beschimpften und attackierten drei vermutliche Neonazis eine türkische Familie in Bielefeld im April dieses Jahres. Eine rassistische Straftat erkannten die Ermittler zunächst nicht. Am 15. Juni 2015 wurden drei indischen Studenten in Jena-Lobeda von einer Gruppe betrunkener Jugendlicher angegriffen, die ihnen zuvor den Hitlergruß gezeigt hatten. Auch hier schlossen die Ermittlungsbehörden politische Motive für die Tat zunächst aus.
Die Beispiele illustrieren, dass aus dem Mordfall Marwa El-Sherbini keine Lehren gezogen wurden. Weiterhin werden Muslime als Terroristen und Islamisten stigmatisiert; ein Zustand der nicht hinnehmbar ist.
Gleichwohl bleibt die Tat eine Mahnung an die gesamte Gesellschaft: Antimuslimischer Rassismus darf nicht schweigend hingenommen werden. Ihn zu unterbinden ist eine notwendige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.