Hinz und Kunst

„Gesellschaftliches Engagement kreativ kommunizieren“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Debatten und Grenzen. Künstler mit muslimischem Migrationshintergrund nutzen diese Freiheit und zeigen deutlich: Wir gehören zu Deutschland. Heute der Designer, Künstler und Coach Melih Kesmen.

02
08
2015
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copyright Melih Kesmen, bearbeitet iQ

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Melih Kesmen: Mein Name ist Melih Kesmen und ich bin Designer, Künstler, Unternehmer, Referent, Coach, Ehemann, Vater und leidenschaftlicher Verfechter einer sozialen Gesellschaft. Mitte der 70er Jahre im Ruhrgebiet geboren, wurden mir als Sohn eines Gastarbeiters schnell die sozialen, ethischen und vor allem ethnischen Grenzen aufgezeigt. Nicht willens, mich derer anzunehmen, habe ich schon während des Design-Studiums meine Zukunft selbst in die Hand genommen und mein erstes Unternehmen gegründet. Als Designer wurde mir nämlich die einzigartige Möglichkeit geboten, Innovation mit emotionalem Engagement zu kombinieren und die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen. Wachrütteln, an das gesellschaftliche Gewissen appellieren und mein Tun als Anregung für positive Änderungen zu betrachten – das zählt zu meinem „ich“!

IslamiQ: Was möchtest Du mit deiner Arbeit bewirken?

Kesmen: Durch meine Arbeit möchte ich jungen Muslimen helfen, den Blickwinkel auf eine zukunftsorientierte und im wahrsten Sinne des Wortes gesellschaftsfähige Zukunft zu richten. Mein Wissen hierzu vermittle ich in regelmäßigen Workshops, Vorträgen und Coachings. Es ist leider eine Tatsache, dass deutsche Muslime sich hauptsächlich für die Belange und Probleme ihrer Herkunftsländer interessieren. Wenngleich ihr Lebensmittelpunkt sich hier abspielt und hier genug Herausforderungen und Aufgaben bevorstehen, ist Ihre Aufmerksamkeit dennoch auf ihre Ursprungsheimat gerichtet. Damit die künftige Generation der Muslime sich aktiv partizipiert und die hiesige Gesellschaft mit gestaltet, muss sich das Bewusstsein der jungen Muslime von Grund auf ändern. Genau hier versuche ich mit meiner Arbeit anzusetzen und hoffe, so Gott will, dass ich meinen Beitrag dazu leiste.

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Kesmen: Bis zu meiner Pubertät kannte ich nur den geerbten „Kulturislam“. Dieser war Teil meiner Identität. Ich war ein türkischer Junge mit islamischem Glauben. Mit dem Alter wurde mir klar, dass man den Glauben der Eltern nicht einfach erbt. Muslim sein bedeutet, sich bewusst auf eine Beziehung mit Gott einzulassen. Das Gottesbewusstein spielt dann eine enorme Rolle und wird natürlich in allen Lebenslagen wichtig.

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Kesmen: Meine künstlerische Arbeit bildet für mich die optimale Möglichkeit, gesellschaftliches Engagement kreativ zu kommunizieren. Ästhetik kennt keine Grenzen in Bezug auf Kultur oder Religion. So bildet sich ein Kreislauf aus dem biographischen Background und dem künstlerischen Schaffen. Wir haben letztes Jahr in der JVA Ronsdorf einen futuristischen Gebetsraum designed. Wenn man den Gebetsraum betrachtet, sieht man die Einflüsse aus Orient, Okzident, Vergangenheit und Zukunft.

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende anti-islamische Stimmung in Europa. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt?

Kesmen: Gott sei Dank nicht!

IslamiQ: Denkst Du, dass der Islam zu Deutschland gehört? Wieso?

Kesmen: In der deutschen Gesellschaft wurde der Islam bislang als eine aus dem Orient importierte Ausländerreligion wahrgenommen. Interessanterweise haben in den letzten Jahren zahlreiche westliche, intellektuelle Akademiker, Künstler und Politiker den Islam als Religion angenommen. Ich denke, dass diese Tendenz einen Paradigmenwechsel herbeiführen wird, um den Islam in Europa heimisch zu machen. Allerdings spielt die Rolle der deutschen Muslime bei diesem Wandel auch eine extrem große Rolle. Ohne Partizipation wird der Islam in Deutschland kein Zuhause finden.