Immer wieder ist Traiskirchen in den Nachrichten. Es wird über das Elend der Flüchtlinge berichtet. Auch wenn Einzelpersonen oder Moscheen große Hilfe leisten, die unwürdigen Lebensumstände sind real. Wie erlebt es jemand, der hautnah am Geschehen ist? Jaqueline Arefie erzählt es uns.
Schauplatz Traiskirchen in Niederösterreich, um genauer zu sein Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge. Ungefähr 4.300 Menschen leben dort, so viele wie noch nie. Aufgrund der extremen Überfüllung erregt das Flüchtlingserstaufnahmezentrum große mediale Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung nimmt täglich zu und die Situation vor Ort eskaliert allmählich. Seit Jahren wird den Journalisten der Zutritt in das Flüchtlingslager verwehrt. „Man wolle die Flüchtlinge schützen“, begründet Leiter des Lagers das Vorgehen.
Der eigentliche Grund ikönnte aber auch die menschenunwürdige Situation der Flüchtlinge sein. Zu wenig Platz in den Gebäuden – rund 500 Flüchtlinge leben in Zelten, 2.000 Flüchtlinge, darunter auch kleine Kinder, müssen draußen schlafen – sie sind obdachlos. Sie dürfen nicht einmal bei Unwetter in den Gebäuden Schutz suchen. Auch die Sanitäranlagen sind überlastet. Einige waschen sich in der nahegelegenen Moschee oder sogar im Fluss Schwechat. Amnesty International wurde schon eingeschaltet und prüft nun die Situation in Traiskirchen.
Je länger diese menschenverachtende Situation in Traiskirchen anhält, umso mehr Bürger wollen helfen. Viele Privatpersonen wollen die Flüchtlinge mit Sachspenden, wie Zelten, Kleidung, Lebensmitteln und Hygieneartikel unterstützen. Sie mobilisieren ihre Familienangehörigen und Freunde um noch mehr Spenden zu sammeln..
Der Großteil der Bevölkerung zeigt sich solidarisch und möchte den Flüchtlingen so gut es geht zur Seite stehen. Jedoch wird man vor den Eingängen des Flüchtlingslagers mit den Worten „Wir haben genug! Sie machen sich strafbar, wenn sie Spenden hier liegen lassen“ vom Sicherheitspersonal abgewiesen. Die nahegelegene Moschee hat im Fastenmonat Ramadan täglich über 2000 Speisen gratis an Bedürftige, Obdachlose, Fastende und Flüchtlinge ausgegeben. Da die Nachfrage so enorm ist, verköstigt die Selimiye Moschee Traiskirchen weiterhin jeden Freitag Hunderte mit Essen und Trinken. Nennenswert dabei ist, dass die Moschee die Speisen nur durch Spendengelder finanziert.
Leider gibt es nicht nur positives Feedback, sondern auch Negative Kommentare, die man oft unter Beiträgen im Internet lesen kann. Da heißt es oft, dass die Flüchtlinge wieder dorthin zurückgehen sollen, woher sie gekommen sind, wir sie hier nicht brauchen oder wieso sich niemand für die Obdachlosen in unserem Land interessiert. Manche Kommentare sind so rassistisch, dass die Verfasser von ihren Arbeitgeber fristlos gekündigt wurden.
Seit ein paar Wochen steht ein Omnibus von Caritas direkt vor dem Flüchtlingslager in Traiskirchen. Sie haben im Internet einen Spendenaufruf gestartet, um Flüchtlinge hier in Österreich mit Paketen willkommen zu heißen und sie so gut es geht zu unterstützen. Die Bilder, die im Internet zusehen sind, waren für mich erschreckend. Das ist Österreich? Das ist meine Heimat? Ich habe mich geschämt und war unglaublich enttäuscht. Je mehr Berichte ich las und Fotos sah, umso mehr hatte mich meine innere Unruhe gepackt. Ich beschloss auch zu helfen und bin dem Aufruf der Caritas „wir helfen“ gefolgt. Ich habe meine Eltern und meine Schwägerin gleich mit ins Boot geholt, um Willkommenspakete zusammen zusammen zu stellen.
Meine Tochter (2 Jahre alt) und ich bemalten gemeinsam die Kartons um die Flüchtlinge hier bei uns willkommen zu heißen. Mein Mann steuerte noch einen großen Sack mit Männerkleidung bei. Wir machten uns, gemeinsam mit meiner Schwiegermutter auf den Weg nach Traiskirchen. Ich war ziemlich aufgeregt. Was wird mich dort erwarten? Wie sieht das Flüchtlingslager aus? Wie wird es für meine Schwiegermutter sein, da sie früher selbst als Flüchtling mit 5 Kindern 7 Jahre in Traiskirchen lebte? Wie fühlt sich mein Mann, wieder an den Ort zu kommen, an dem er einen Teil seiner frühen Kindheit verbrachte? Viele Gedanken verbinde ich mit diesem Ort.
Kurz bevor wir in die Straße des Flüchtlingslagers abbogen, standen Männer vor der bereits erwähnten Moschee. Es war 15 Uhr. „Oh mein Gott, stehen sie etwa jetzt schon für das Abendessen an?“ dachte ich mir noch. Später stellte ich fest, dass die Männer dort duschten.
Als wir einen Parkplatz suchten und beim Flüchtlingslager vorbei fuhren, war ich den Tränen nahe. Ich war emotional so betroffen, obwohl ich eigentlich nichts gesehen habe. Doch diese Atmosphäre berührte mich.
Kaum das Auto abgestellt, sahen wir zwei ältere Damen, bestimmt schon über 70 Jahre alt. Sie sahen vom Leben gezeichnet, mitgenommen und dünn aus. Meine Schwiegermutter suchte den Kontakt zu ihnen. Die Beiden waren Schwestern. Sie flüchteten aus Afghanistan und hatten einen 9-stündigen Fußmarsch hinter sich. Unfassbar beeindruckend und zugleich traurig. Das war nur ein winziger Bruchteil ihrer Geschichte. Schon das zu hören, ist unglaublich.
Ein Mann erzählte uns noch, dass er eigentlich mit seinem Bruder und seinem Neffen aus Afghanistan geflüchtet ist. Die drei Männer wurden an einer Staatsgrenze aufgehalten und der 10-jährige Neffe wurde wieder zurück geschickt. Er ist nun mit seinem Bruder in Traiskirchen und sie wissen nicht was mit ihrem Neffen passiert ist.
Ich wünsche wirklich niemanden so eine Situation. Fliehen zu müssen, ein neues Zuhause zu suchen und wieder aufzubauen, nur mit der Kleidung die man gerade trägt. Familienangehörige werden ermordet, entführt oder verschleppt, und dann in ein fremdes Land kommen und so menschenverachtend behandelt werden!
Trotz allem gibt es vereinzelt Hoffnung. Denn manche Österreicher zeigen Herz und immer mehr öffnen ihre persönlichen Grenzen für Flüchtlinge.