Als erster akademischer Fachverband für islamische Theologie in Deutschland wurde in Münster am Zentrum für Islamische Theologie die Deutsche Gesellschaft für Islamisch-Theologische Studien (DEGITS) gegründet. Wir haben mit Vorstandssprecher Prof. Dr. Harry Harun Behr über den Fachverband gesprochen.
IslamiQ: Sie sind Sprecher der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft für Islamisch-Theologische Studien (DEGITS). Inwiefern ist ein solcher Verband notwendig?
Harry Harun Behr: Nun, es handelt sich um eine Vereinigung diverser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und es gibt verschiedene Gründe für die Notwendigkeit. Ein mögliches Szenario verdeutlich einen Grund ganz klar: Stellen Sie sich vor, da ist eine junge muslimische Theologin, die an einer Universität einen Forschungsantrag für ein Projekt stellen möchte und diese über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beantragt. Die Frage ist jetzt, wer überprüft das eigentlich? Wir haben keinen muslimischen Theologen in der DFG, wir haben zwar Islamwissenschaftler, christliche Theologen und Religionswissenschaftler, aber eben keine muslimische Stimme. Damit sich das ändert, muss so eine Gesellschaft entstehen und sich in der Forschungslandschaft etablieren, um dann mit gemeinsamer Stimme zu sprechen.
Außerdem ist der Islam im Gespräch, da brauchen Sie nur den Fernseher anzuschalten. Die Berichterstattung und die Diskussion sind oftmals schwierig. Sie sind emotionalisiert, rassistisch und einseitig. Es gibt Leute, die bestimmte Richtungen vertreten, von maximal konservativ bis maximal liberal. Dann gibt es islamische Organisation, die mit dem Anspruch auftreten, Religionsgemeinschaften zu sein. Da kann sich die Wissenschaft einbringen, denn ihre Aufgabe ist es, egal welche Meinungen vertreten werden, wissenschaftliche Argumente einzufordern oder selbst in die Debatte einzubringen und somit den Islam-Diskurs zu versachlichen.
IslamiQ: Sie möchten „mit gemeinsamer Stimme zu gesellschaftlichen Leitbilddiskursen beizutragen“. Wäre angesichts der Tatsache, dass es sehr unterschiedliche Meinungen aus muslimisch-theologischer Seite gibt, der Anspruch „einer gemeinsamen Stimme“ nicht zu ambitioniert?
Behr: Nein, eigentlich nicht. Denn jede Meinung, die wissenschaftlich begründet ist, ist in der DEGITS aufgehoben. Es gibt, das wissen wir aus der islamischen Geschichte, zu vielen Fragen ganz heterogene Stimmen in der islamischen Theologie. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, hier diesen Stimmen zu ihrem Recht zu verhelfen. Da entsteht natürlich eine gewisse Pluralität, die verwirrend sein kann. Dennoch hängt dies auch stark von der Art der Fragen ab, bei der Kopftuch-Frage beispielsweise oder bei den diversen Terroranschlägen, die fälschlicherweise mit dem Islam identifiziert werden, wird die DEGITS zweifelsohne eine gemeinsame Stimme finden.
IslamiQ: Bei dieser starken Pluralität der Meinungen kommt es oftmals zu Konfliktsituation zwischen muslimischen Theologen. Wo sieht sich die gegründete Plattform in solchen Fällen?
Behr: Sie sieht sich auf der Seite der Wissenschaftlichkeit. Die verlangt dann von Theologe A und Theologe B, dass sie ihre Argumente offenlegen. Es gibt bestimmte Standards anhand derer man die Diskussion moderieren kann. Die DEGITS hat unter anderem die Aufgaben, solche Standards zu verhandeln, zu diskutieren und dann zu verabschieden. Das ist ein Entwicklungsprozess, der noch auf uns zukommen wird, und den in Angriff zu nehmen ist uns ein wichtiges Anliegen. Denn sonst kann jeder sich zum Islam äußern und das fachliche Vakuum ausnutzen, um seine persönliche Meinung als den Islam zu verkaufen.
IslamiQ: „Die Verzahnung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ scheint Ihnen ein wichtiges Anliegen zu sein. Doch wie soll die Verzahnung zur Zivilgesellschaft mit fehlendem Unterbau (z. B. Moscheen) von Statten gehen?
Behr: Die Moscheen sind nicht der einzige Unterbau der muslimischen Zivilgesellschaft, sondern ein Teil von ihr und deshalb auf Augenhöhe in den Diskurs integriert. Hier geht es weniger um den formalen Unterbau, sondern um Menschen. Darüber hinaus gibt es beispielsweise eine Reihe von wissenschaftlichen Foren, in denen man genügend Substanz hat, solche Diskurse zu führen. Das findet nicht im luftleeren Raum statt.
IslamiQ: Ist in naher Zukunft eine Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland geplant?
Behr: Eine Zusammenarbeit im klassischen Sinne nicht, denn wir haben klar definierte Ziele und suchen keine Kooperationspartner. Wir sind eine Gesellschaft die satzungsgemäß grundgelegte Ziele verfolgt. Wir möchten aber Plattformen erstellen, wo der Diskurs mit den Religionsgemeinschaften stattfinden kann.
Mir selbst ist es ganz wichtig, die Organisationen, die es gegenwärtig gibt und die sich auch in die Öffentlichkeit einbringen, aber zum Teil sehr zwiespältig wahrgenommen werden, in diesen Diskurs auf der Plattform der DEGITS zu integrieren. Auch die islamischen Religionsgemeinschaften können vom wissenschaftlichen Input profitieren, sowie die Wissenschaft vom Input des muslimischen Lebens profitieren kann. Das möchten wir enger zusammen bringen, ohne das eine Seite das Gefühl hat, dass einem etwas weggenommen oder streitig gemacht wird.
IslamiQ: Die negativ konnotierte Reputation des Islams als auch die emotionalisierte Berichterstattung, wie Sie sagen, sind keine neuen Phänomene. Warum gründet sich die DEGITS im Jahre 2015?
Behr: Das hat ganz einfache Gründe: Die islamische Theologie ist sehr jung im Land. Sie beruht auf einer Empfehlung des deutschen Wissenschaftsrats von 2010 und entwickelt sich seitdem. In den letzten drei Jahren lag der Schwerpunkt der islamischen Theologie darin, ihre standortbezogenen Strukturen aufzubauen und zu festigen. Doch nun ist die Zeit gekommen, sich mit muslimischer Stimme stärker der Öffentlichkeit zuzuwenden. Ich bin der Meinung, dass der Islam in Deutschland der Gesellschaft etwas zu sagen hat.
Ich komme aus der Da’wa-Bewegung. Das bedeutet für mich, dass die Menschen zum Islam eingeladen werden dürfen und den Islam nicht als Ursache der Probleme ansehen, sondern ihn als Ressource für Problemlösungen verstehen. Aber das ist leider nicht die öffentliche Wahrnehmung des Islams. Dass wir uns als akademische Theologen stärker einmischen sollten, wurde im vergangenen Jahr zu einem Konsens unter den Fachkolleginnen und Fachkollegen, und wir haben die Gründung der DEGITS beschlossen. Das hat bei anderen Fachverbänden viel länger gedauert. Also, wir sind mit rund drei Jahren eigentlich ziemlich schnell.
IslamiQ; Ja, die Entwicklung der islamischen Theologie in Deutschland steckt noch immer in Kinderschuhen und oftmals wird von politischer Seite ein „deutscher Islam“ verlangt. Was denken Sie über staatlichen Interessen während der Aufbauphase der islamischen Theologie?
Behr: Da bin ich eigentlich sehr system- und herrschaftskrititsch eingestellt. Doch auch dafür ist die Wissenschaft als unabhängige Plattform die entgegenwirkende Kraft gegen kulturpolitische Bevormundung. Die Universitäten sind ja nicht der Staat, sondern im Gegenteil, von ihrer Tradition her gegenüber staatlicher Autorität exterritoriale Institutionen. Vor allem die Goethe Universität Frankfurt als einzige Stiftungsuniversität Deutschlands.
Abgesehen davon hat die islamische Theologie in ihrer Geschichte immer die Färbung der Region übernommen, in der sie stattfand. Wenn Sie an den andalusischen Islam denken, oder an Al Ghazali, der in Damaskus lebte oder an den Korankommentar von at-Tabari, der aus Tabaristan kam. Oder denken Sie an die vier großen sunnitischen Rechtschulen, sie sind immer stark geprägt von der Region gewesen; auch schiitische Schulen haben kulturräumliche Ausprägungen. Deswegen wird der Islam, der in Europa stattfindet – und das war immer wo –, eine eigene Signatur und Prägung haben. Das ist auch sehr verlockend für islamische Theologen aus den verschiedensten Ländern, denn hier können sie ohne politische Bevormundung forschen.
IslamiQ: Auch der islamische Religionsunterricht befindet sich momentan in der Aufbauphase. Mit welchen Themenpunkten werden sie sich als DEGITS in den nächsten sechs Monaten schwerpunktmäßig befassen?
Behr: Die eigenen Strukturen und vor allem interne Sektionen aufzubauen. Sektionen sind eine Art der Arbeitsgemeinschaft, die wiederum von den Mitgliedern abhängt die reinströmen. Wir haben bereits ganz viele Mitgliedsanfragen und die Sektionen werden sich mit der Zeit bilden, aber feststeht, dass es Sektion geben wird, die sich mit der Hermeneutik und der Interpretation des Korans beschäftigt, oder mit den Fragen von Islam und Recht in Deutschland und Europa, oder islamische Religionspädagogik. Die DEGITS hat ein offenes Mitgliederprofil. Das heißt, Mitglied kann jeder werden, wer die Ziele der Gesellschaft aus muslimischem Selbstverständnis heraus fördert. Wir nehmen keine Gesinnungsprüfung vor, denn das entspricht nicht der islamischen Tradition.
Da werden ganz unterschiedliche Profile zusammenkommen, und so kann es sein, dass immer mehr Sektionen entstehen. Außerdem können Religionskräfte Mitglieder werden und eine eigene Sektion bilden. Denn auch sie haben kein eigenes Netzwerk und bedienen sich momentan über andere Netzwerke. Deswegen ist die Agenda für die nächsten sechs Monate die eigene Strukturen aufzubauen und diese zu festigen, Mitglieder zu werben und dann in Tagungsplanungen für die kommenden Jahre zu gehen. Ein weiterer Punkt ist auch, den Kontakt zu den islamischen Religionsgemeinschaften zu suchen und sie von Anfang an mit ins Boot zu holen.