Traiskirchen ist ein exemplarischer Schauplatz für das fortwährende Leiden der Flüchtlinge in Europa. Dank des Türkisch-Islamischen Kulturvereins, der im Ramadan 2800 Flüchtlinge speiste, haben sie etwas Freude erfahren. Erdal Kaymaz, der Vorsitzende des Vereins erinnert sich zurück.
Es ist knapp 16 Jahre her, dass wir das erste Mal ein gemeinschaftliches Iftar während des Ramadan in unseren Räumlichkeiten veranstaltet haben. Zunächst war das Abendmahl – wie es auch sonst überall gängig war- für unsere Mitglieder, Familien und Freunde bestimmt. Wir mussten jedoch feststellen, dass das Flüchtlingslager, welches sich nur 200m weiter befindet, regen Zulauf fand und seitdem ausschließlich die Gäste aus dem hiesigen Camp kamen.
Zuerst waren es ein paar Hundert, die Zahl stieg jedoch in der letzten Zeit enorm an, so dass wir letztes Jahr an Ramadan die 1000’er Marke überschritten haben. Dieses Jahr kamen schon in den ersten Tagen weit mehr als 1000 Personen und die Zahl stieg im Laufe des Ramadans bis zu unglaublichen 2800 Personen an.
Es war für uns als einfacher Kulturverein nicht immer sehr einfach und eine wirkliche Herausforderung. Wir hatten täglich an die 40 ehrenamtliche HelferInnen, die uns beginnend bei der Essensvorbereitung, der Essensausgabe, dem Tellerwaschen, der täglichen Reinigung und den organisatorischen Belangen behilflich waren. Die Hälfte von ihnen waren einheimische Nachbarn aus unserer Stadtgemeinde und der nahen Umgebung. Auch Schulkinder halfen mit, indem sie ihre kostbare Freizeit opferten und ihr Taschengeld spendeten.
Anfangs waren wir eher der Meinung, die Sache soweit es geht in unseren Reihen abzuwickeln und zu finanzieren. Sehr rasch erkannten wir, dass das was für uns die letzten Jahre als selbstverständlich war, eigentlich eine Aktion ist, die in diesem Ausmaß bekannt gemacht werden sollte. Einerseits um die negativ belastete Berichterstattung der Muslime um positive Nachrichten zu erweitern und andererseits auf das Dilemma in diesem Flüchtlingslager zu verweisen. Über die sozialen Medien, sowie über nationale und internationale Medien haben wir sehr viele erreicht und mobilisiert. Mit diesem Iftar für die Flüchtlinge haben wir ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen der Menschlichkeit, ein Zeichen der Nächstenliebe und vor allem ein konfessionsunabhängiges Zeichen der Solidarität für die Bedürftigen.
Das Leid der Flüchtlinge
Denn das für 500 Personen ausgelegte Camp war mit knapp 4500 Personen, davon knapp 1500 unbegleitete Minderjährige, immens überbelegt und die Betreiberfirma war mit dieser Situation mehr als überfordert. Allein die tägliche Essensausgabe dauert mehrere Stunden. Viele verbrachten die Nächte in den überfüllten Korridoren und gut 800 Flüchtlinge fanden gar keinen Schlafplatz und mussten unter freiem Himmel übernachten.
Für die meisten Gäste war das gemeinschaftliche Iftar das Highlight des Tages. Nicht die Menge und der Geschmack des Essens waren ausschlaggebend, für das das man gerne zwei bis drei stunden schon vor der Essensausgabe diszipliniert in Reihe und Glied stand, sondern vielmehr die Wärme unserer Herzen, die sie zu spüren bekamen.
Für uns stelle das Ramadan-Fest den Höhepunkt dar, welches wir gemeinschaftlich mit knapp 400 Kindern gefeiert haben. Die freudig bemalten Gesichter der Kleinen, die mit einer Tüte Eis in der einen und einem liebevoll vorbereiteten Säckchen mit Geschenken in der anderen Hand herumliefen, haben die ganze Last von uns genommen und über den einmonatigen Stress hinweg sehen lassen.
Teilnahmslose Regierung
Es wird in der Debatte rund um das Erstaufnahmezentrum sehr viel diskutiert und geschrieben, jedoch kam leider von Seiten der Regierung keine einzige Stellungnahme oder ein Zeichen, um diese Situation zu entschärfen und das Leben für die Hilfesuchenden lebenswerter zu machen.
Die traumatisierten Asylsuchenden mussten aus verschiedensten Gründen Ihre Heimat verlassen und haben eine lebensgefährliche Flucht hinter sich. Das Ziel: Ein sicherer und friedlicher Ort für einen Neubeginn. In Österreich erwartet sie jedoch eine Misslage. Es erwartet sie ein undurchsichtiger Erstaufnahmeprozess mit vielen Hürden und eine lange ungewisse Zeit mit menschenunwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten. Unhygienische Bedingungen, fehlender gesundheitliche Versorgung sind auf dem Tagesplan. Das Ausbleiben der notwendigen Rechtsberatung, sowie der nicht-existende psychische Beistand natürlich auch.
Dieses Drama rund um das Flüchtlingslager sowie die Asyldebatte haben wir unmittelbar erfahren und erlebt. Meist konnten wir den Ramadan über nicht mehr zu Hause essen, weil dieses Leid der Menschen uns 24 Stunden beschäftigte und verfolgte.
Von welchem Leid wir sprechen, kann ich nur schwer in Worte fassen, da es für uns verwöhnte Europäer nicht wirklich nachzuvollziehen ist.
Die Geschichten der Flüchtlinge
Wir haben etliche Menschen angetroffen, die während ihrer Flucht Familienmitglieder verloren haben. Sie sahen sie sterben und konnten sich nicht menschenwürdig verabschieden.
Ein Kälte- und Lüftungsingenieur aus Syrien hatte in Damaskus einen 20 Mann Betrieb, ihm wurde alles entwendet. Anschließend wurde er verfolgt. Er musste fliehen.
Ein Junge aus Somalia erzählte, dass er zunächst in der Türkei gelebt hatte um zu studieren, anschließend kehrte er in seine Heimat zurück, um für den Lebensunterhalt seiner 9-köpfigen Familie zu sorgen. Vor seinen Augen erstachen regierungsnahe Truppen einen Freund, der ebenfalls „unerlaubter Weise“ im Ausland studierte. Seitdem ist er flüchtig und wird seine Familie wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen, erzählte er mit Tränen in den Augen.
Eine hochschwangere Frau bekam im überfüllten Betreuungszentrum keinen Schlafplatz und musste einige Zeit sogar unter freiem Himmel übernachten.
Ein 3 Wochen alter Säugling musste sich mit seiner Mutter eine dünne Decke teilen und auch im Freien übernachten.
Eine Frau suchte zwei Wochen lang vergeblich ihren Mann, dieser wurde auf Grund einer Tuberkulose ins Spital eingeliefert. Sie konnte erst darüber informiert werden, als ein gleichsprachiger Arzt an Ort und Stelle war und so die Sprachbarriere überwunden wurde.
Jeder Einzelne hat eine andere Geschichte. Das Leid und der Schmerz sind gleich. Es erfüllt mich und meine Genossen mit Stolz und Freude, diesen Menschen geholfen zu haben.
Diese Menschen haben uns gelehrt wieder Mensch zu sein!