Die Slowakei gab offen bekannt, dass sie muslimische Flüchtlinge nicht aufnehmen möchte, weil sie die Befürchtung hat, dass sie sich nicht integrieren können. Ist es wirklich so einfach? Kaan Orhon erklärt es uns.
Die Regierung der Slowakei kündigte vergangene Woche an, 200 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen zu wollen – ausschließlich Christen. Regierungssprecher Ivan Netik sagte, Muslime würden nicht akzeptiert werden. Diskriminierung sei das nicht, fügte er an, Muslime würden sich in Slowakei nicht wohl fühlen, da es dort „keine Moscheen gibt“. Die Äußerung machte Schlagzeilen, nach der britischen BBC griffen zahllose europäische, darunter auch deutsche, amerikanische und arabische Zeitungen, Fernsehsender und Online Nachrichtenportale die Meldung auf.
Wie es oft in vergleichbaren Fällen ist, schien die slowakische Regierung von der Stärke der Reaktion überrascht und ruderte angesichts des öffentlichen Aufschreis und der Verurteilung durch Flüchtlingsorganisationen zurück. Schon am nächsten Tag hieß es in einer E-Mail an die Nachrichtenagentur dpa: „Wenn ein Migrant aus einem muslimischen Land sich entscheidet, einen Asylantrag in der Slowakei zu stellen und in der Slowakei zu leben, wird er entsprechend den Gesetzen behandelt und ins Asylverfahren aufgenommen“.
Wie es auch immer in der Slowakei weiter geht –angesichts der eher halbherzigen Distanzierung lohnt es sich, die Entwicklung dort weiter zu verfolgen – es ist wichtig zu betonen, dass dieser Fall nur einen kleinen Ausschnitt der Problematik darstellt, der Europa derzeit gegenüber steht. Die 200 Flüchtlinge, die aufzunehmen sich die slowakische Regierung bereit erklärt hat, sind teil eines Kontingentes von 32.000 die EU Staaten aus Einrichtungen in Italien und Griechenland aufnehmen wollen. Dies liegt deutlich unter dem angestrebten Ziel von 40.000 und noch viel weiter unter den realen Notwendigkeiten in den Erstaufnahmeländern. Die Größe der einzelnen Kontingente ist den Mitgliedstaaten überlassen, da Bemühungen um eine verbindliche Quote scheiterten.
Es verläuft ein Riss durch die Europäische Union: auf der einen Seite stehen die Länder, die aufgrund ihrer geographischen Lage von Flüchtenden aus dem Nahen Osten und Nordafrika als Erste erreicht werden, also Italien, Spanien, Griechenland, sowie die Staaten, die das Ziel der meisten Ankommenden sind: Deutschland, Großbritannien, Frankreich. Auf der anderen Seite stehen Staaten, die die Situation derzeit nur wenig berührt, also in denen keine oder kaum Flüchtende ankommen und die derzeit kaum Menschen aufnehmen: Polen, die Staaten des Baltikums oder eben die Slowakei.
Unmittelbar ist klar, auf welcher Seite hier das Recht steht. In wirtschaftlicher und anderer Hinsicht erschien der Beitritt zur EU für viele Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas so lohnenswert, dass sie ihn angestrebt haben. Nun, als Mitglieder der EU, als Teil des „Geeinten Europa“ müssen sie auch Teil der Lösung in der Katastrophe sein. Die Bedingungen in Aufnahmeeinrichtungen etwa auf Lampedusa oder auf Kos, in vielen Städten Europas, so auch in Berlin oder in Calais, sind unerträglich und gingen um die Welt, auch in allen Ländern der EU hat man sie gesehen. Wenn der menschliche Impuls, der in dieser Situation zum Helfen motivieren sollte, schon versagt, so müssen die Regierungen dieser Länder zumindest ihre Verpflichtungen als Mitglieder des europäischen Staatenbundes erkennen.
Aussagen wie die des slowakischen Regierungssprechers Netik und anderer Regierungsvertreter, Muslime könnten in der Slowakei nicht integriert werden und würden ja ohnehin nicht bleiben wollen, sind ebenso lächerlich wie die Selektion von Menschen nach ihrem Glauben im Angesicht der humanitären Katastrophe unmenschlich ist. Wer dem unendlichen Grauen der Konflikte in Syrien, dem Irak oder Libyen entkommen ist, der ist für jede Rettung dankbar, egal wo und durch wen. Aber in einem größeren Kontext muss auch darauf hingewiesen werden, dass die „großen“ europäischen Staaten ihrer menschlichen Verantwortung nicht gerecht werden. Auch in Deutschland und England und anderswo gibt es zu viele Stimmen, die fordern, nicht mehr, sondern weniger zu helfen. „Das Boot ist voll“, so heißt es.
Und auch in diesen und vielen anderen Ländern taucht immer wieder die Forderung auf, christliche Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak bevorzugt zu behandeln. Angst wird geschürt, muslimische Flüchtlinge könnten „Schläfer“ terroristischer Gruppen wie des sogenannten ISIS sein, für Gruppen wie Pegida und ihre Sympathisanten ist auch die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge teil der drohenden „Islamisierung“ Deutschlands. Doch hat keines der Länder, die die meisten der derzeit in Europa ankommenden Flüchtlinge aufnehmen, bisher eine solche Selektion in Betracht gezogen. Zu hoffen ist, dass dies so bleibt und das Beispiel der Slowakei nicht Schule macht.
Zum Schluß noch eine Erinnerung an die jüngste europäische Geschichte: Zwischen 1992 und 1995 herrschte Krieg auf dem Balkan. In Bosnien-Herzegowina fand eine Flugstunde von München entfernt und vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit der Völkermord an den muslimischen Bosniaken statt. Deutschland nahm damals über 350.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, vor allem aus Bosnien auf. Hat es unserem Land geschadet? Ist die Wirtschaft zusammen gebrochen? Gab es den von Berufs-Islamhassern wie Ulfkotte, Broder und Co. immer wieder prophezeiten Bürgerkrieg auf Deutschlands Straßen?
Die Antwort auf diese Fragen erübrigt sich. Nicht nur für Deutschland. Auch die Slowakei wird durch die Aufnahme geflüchteter Muslime nicht in ihrer Stabilität und ihrem Wohlstand bedroht, auch wenn dieses Schreckensbild an die Wand gemalt wird.