Muslimische Jugend Deutschland

„Junge Muslime als Partner“

Der Tag der offenen Moschee (TOM) steht vor der Tür. Dieses Jahr unter dem Zeichen der muslimischen Jugend in Deutschland. Aus diesem Anlass hat IslamiQ eine Reihe von Beiträgen vorbereitet, in denen die muslimische Jugend aus verschieden Perspektiven vorgestellt wird. Heute ein Interview mit Hussein Hamdan, dem Projektleiter der Aktion: „Gesellschaft gemeinsam gestalten – Junge Muslime als Partner“.

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09
2015
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junge mit takke
Symbolfoto: Wohin steuert die muslimische Jugen? © by Adam Jones auf Flickr (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

IslamiQ: Was tun lokale islamische Vereine und Jugendgruppen für junge Muslime?

Hussein Hamdan:
Lokale islamische Vereine bieten je nach ihrer Größe und vorhandenen Kapazitäten verschiedene Aktivitäten für ihren Nachwuchs an. Der Schwerpunkt islamischer Jugendarbeit in Deutschland liegt eindeutig auf den religiösen Angeboten. Die Vermittlung religiöser Werte und die Stärkung der religiösen Identität der Jugendlichen stehen dabei im Vordergrund. Hauptsächlich verläuft diese Vermittlung durch Koran- und allgemeinen Islamunterricht.

Dabei werden Kinder und Jugendliche z. B. in die arabische Sprache – als Sprache des Korans – eingeführt, lernen Koransuren auswendig. Sie lernen auch, diese Suren zu interpretieren und werden mit islamischen Geboten und Verboten vertraut gemacht. Moscheegemeinden haben inzwischen oft eigene Jugendgruppen, die Sohbets (Gesprächskreise) abhalten. In diesen Gesprächskreisen tauschen sich die Jugendlichen untereinander zu religiösen und aktuellen Themen, die sie beschäftigen, aus. Teilweise werden sie dabei von älteren Jugendleitern oder vom Imam der Gemeinde begleitet, damit ihnen schwierige Fragen, die sie selbst nicht beantworten können, sowie andere theologische Inhalte näher gebracht werden.

IslamiQ: Geht es nur um religiöse Inhalte?

Hamdan: Durchaus nicht. Für die Jugendgruppen gibt es auch Freizeitprogramme, wie gemeinsame Film- oder Kinoabende, Ausflüge oder auch sportliche Aktivitäten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die immer mehr in den Zentren zu findende Hausaufgabenbetreuung für Kinder und Jugendliche, damit diese in ihrem schulischen Werdegang gestärkt werden. Diese Art von Betreuung ist deshalb wichtig, weil die Eltern oft selbst keine allzu große Schulausbildung haben und daher den Kindern nicht immer weiterhelfen können. Es lässt sich also sagen, dass die Jugendarbeit in den Vereinen und Gemeinden sowohl aus religiösen als auch nichtreligiösen Angeboten besteht.

Hussein Hamdan ist Islamwissenschaftler und arbeitet an der Katholischen Akademie in Stuttgart. Er ist Autor der Studie „Junge Muslime als Partner“.

IslamiQ: Islamische Jugendarbeit ist nicht in die bestehenden Strukturen der Jugendhilfe eingebunden. Wieso ist das so und wie kann diese Situation überwunden werden?

Hamdan: Muslimische Verbände haben im Bereich der Jugendarbeit lange Zeit eher nach innen gearbeitet und sich wenig um die Aufnahme in die jeweiligen Jugendringe gekümmert. Die einzige Ausnahme stellt der alevitische Verband dar, aus dem schon 1994 der Bund der alevitischen Jugendlichen (BDAJ) entstanden ist, welcher inzwischen Vollmitglied in vielen Stadt- und Landesjugendringen sowie im Bundesjugendring ist.

In den letzten Jahren lässt sich beobachten, dass islamische Gruppen sich aber mehr um die Aufnahme, insbesondere in die jeweiligen Jugendringe bemühen. DITIB hat die gleichen Bestrebungen, das zu erreichen, was der BDAJ schon vorgemacht hat und arbeitet seit einigen Jahren daran. Im Stadtjugendring Mannheim sind aktuell mehrere muslimische Gruppen Probemitglied. Dazu gehört die der IGMG-Gemeinde angehörenden Fatih-Jugend.

Vielen muslimischen Gruppen waren bzw. sind die Strukturen und Statuten der Jugendhilfe kaum bekannt. In vielen Interviews, die ich zu unserer Studie „Junge Muslime als Partner“ mit Muslimen geführt habe, konnte ich heraushören, dass man sich zum Teil scheute, etwa auf die Jugendringe zuzugehen, weil man glaubte, sowieso abgelehnt zu werden. Diese Haltung müssen die jungen Muslime ändern. Sie müssen verstehen, dass die Aufnahme in einen Jugendring ein Prozess ist, der Arbeit und Zeit benötigt. Wenn Gruppen sich darauf einlassen möchten, dann sollten sie den Kontakt zu den Jugendringen suchen und sich beraten lassen. Auf der anderen Seite sollten auch Jugendringe und andere Jugendeinrichtungen ihre interreligiösen und interkulturellen Kompetenzen weiterentwickeln, um z. B. die verschiedenen islamischen Gruppen und Verbände richtig einordnen zu können.

Hamdan, Hussein/Schmid, Hansjörg: Junge Muslime als Partner. Ein empiriebasierter Kompass für die praktische Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa 2014.

IslamiQ: In welchen Bereichen kann es eine Kooperation von islamischer, jüdischer, kirchlicher und säkularer Jugendarbeit geben?

Hamdan: Es gibt viele Bereiche, in den man kooperieren kann. Ein Themenschwerpunkt sind interreligiöse Dialogprojekte. Dabei sind für muslimische Jugendgruppen insbesondere christliche Träger reizvolle Partner. Die Jugendlichen könnten sich in ihre jeweiligen Glaubenstraditionen einführen und einander ihre Gotteshäuser zeigen. Damit lassen sich Vorurteile abbauen und Gemeinsamkeiten entdecken.

Jugendliche sind aber auch Individuen, die auf der Suche nach der eigenen Identität sind und viele Fragen – zu ihrem eigenen und zum Glauben der anderen – haben. Dies sollte bei solchen Begegnungen immer berücksichtigt und Räume für einen persönlichen Austausch gelassen werden. Das bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, sich über religiöse Fragen hinaus kennenzulernen und könnte dann auch ein Türöffner für weitere Kooperationen sein, in denen sich die Jugendliche primär als Jugendliche im gleichen Alter und nicht als Angehörige verschiedener Religionen begegnen. Es gibt in unserer Gesellschaft viele Herausforderungen und Prozesse, die Jugendliche gemeinsam angehen können. Umweltschutz oder Unterstützung von Flüchtlingen sind nur zwei Themen, die mir gleich einfallen. Man sollte ihnen die nötigen Rahmenbedingungen und Freiräume ermöglichen.

IslamiQ: Welche Rolle spielt die Geschlechtertrennung in der Jugendarbeit? Welche Auswirkungen hat diese für die Mitarbeit in übergeordneten Gremien und für mögliche Kooperationen?

Hamdan: Die Geschlechtertrennung ist in der islamischen Jugendarbeit weit verbreitet und wird hauptsächlich bei religiösen Angeboten eingehalten. In öffentlichen und interreligiösen Veranstaltungen arbeitet man mehr geschlechtergemischt. Islamische Jugendgruppen sollten sich darauf einstellen, dass in Jugendringen und anderen Einrichtungen Geschlechtertrennung kaum eine Rolle spielt. Möchte man sich also dort engagieren, dann muss man sich auch darauf einlassen. Auch interreligiöse Projekte auf Jugendebene werden von christlichen Trägern eher geschlechtergemischt bevorzugt.

Die Geschlechtertrennung kann manchmal Grund für gescheiterte Kooperationsversuche sein. Dies ist vor allem zu beobachten, wenn ein islamischer Verband die eigenen Mädchen von einer Teilnahme an einem Projekt hindert, während es den Jungs erlaubt wird.

Die Studie „Junge Muslime als Partner“ analysierte erstmals den aktuellen Stand der Jugendarbeit in einem breiten Spektrum von neun islamischen Organisationen mit Fokus auf Baden Württemberg und wertet zudem deutschlandweit acht Kooperationsprojekte mit jungen Muslimen aus.

IslamiQ: Angesichts der Extremismus- und Radikalismusvorwürfe steht die islamische Jugendarbeit unter ständigem Rechtfertigungsdruck. Wie können islamischen Jugendorganisationen mit diesem Druck umgehen?

Hamdan: Viele Muslime beklagen den Rechtfertigungsdruck, dem sie sich ausgesetzt fühlen und das kann sich besonders für junge Menschen zu einer großen Last entwickeln. Sie haben dann oft das Gefühl von der Gesellschaft, in der sie leben, größtenteils auch geboren und aufgewachsen sind, nicht angenommen zu werden. Aber was kann man in solchen Situationen machen? Kapitulieren? Die islamischen Jugendorganisationen müssen trotzdem weiterhin den Dialog suchen und versuchen, verschiedene gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten. So eröffnen sich Möglichkeiten der Begegnung, in der sie ihr friedliches Islamverständnis erklären und vorleben können.

Für Jugendliche und junge Erwachsene ist es natürlich nicht immer einfach, mit Rückschlägen umzugehen. Aber sie müssen lernen, dass Rückzug und Isolation auch keine Lösung sind. Die Erwachsenenverbände oder auch die Gemeindevorstände müssen hier aktiv werden und die Jugendlichen in solchen Situationen darin bestärken, sich aktiv z. B. in ihrer Stadt zu engagieren. Das können sie, indem sie sich selbst in schwierigen Situationen nicht entmutigen lassen und damit dem Nachwunschs ein gutes Vorbild sind.

IslamiQ: Welche Rolle spielt die Beobachtung mancher islamischer Organisationen (IGMG, MJD) durch den Verfassungsschutz auf die Jugendarbeit dieser Verbände?

Hamdan: Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hat natürlich negative Folgen für die betroffenen Gruppen. So werden sie oft von Dialogprozessen oder Fördermaßnahmen ausgeschlossen. Die MJD hat beispielweise aufgrund der Beobachtung ihre Gemeinnützigkeit verloren und kann daher in der Regel auch keine Förderungen aus Bundesgeldern bekommen. Ähnliches gilt auch für die IGMG. Es gibt Jugendliche, die gerne in einer der beiden Gruppen aktiv sind oder sein wollen, aber verunsichert sind, weil sie Konsequenzen im späteren Berufsleben befürchten.

Die Bewertung von IGMG und MJD ist zwar umstritten. Es gibt dennoch kirchliche Träger und Kommunen, die seit Jahren gute Kontakte zu ihnen pflegen und auch mit ihnen kooperieren. Besonders die MJD hat einige Projekte mit kirchlichen Einrichtungen nachzuweisen. Hinsichtlich der IGMG gibt es vermehrt Stimmen, die dazu ermuntern, zumindest auf kommunaler Ebene die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Gemeinden zu prüfen und anzubieten.