Freiburg

„Wir müssen große Transparenz herstellen“

Das Islamzentrum an der Schweizer Universität Freiburg ist umstritten. Kritiker fürchten eine „schleichende Islamisierung“. Serdar Kurnaz, der Leiter des Zentrums, verteidigt hingegen die neue Einrichtung.

27
09
2015
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Bücher
Bücher: Eintauchen in eine neue Welt © by Nate Bolt auf flickr.com (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

Das Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft werde zur Entradikalisierung in der muslimischen Gemeinschaft der Schweiz beitragen und gegenseitiges Verständnis fördern – davon ist der muslimische Theologe Serdar Kurnaz (27) überzeugt. Seit Anfang September leitet er gemeinsam mit Hansjörg Schmid das Zentrum an der Universität Freiburg. Georges Scherrer hat mit dem neuen Co-Leiter gesprochen, der aus Deutschland stammt.

Herr Kurnaz, welches Ziel setzen Sie sich in Freiburg?

Serdar Kurnaz: Ich leiste einen Beitrag zur Pionierarbeit, die in Freiburg gemacht wird. Ich vertrete dabei die islamisch-theologische Position. Forschung und Lehre sollen zur Etablierung der islamisch-theologischen Studien in der Schweiz beitragen. Geplant ist auch die Kooperation mit unterschiedlichen Institutionen, sodass unser interdisziplinärer Anspruch gewährt ist. Ich denke dabei an die Zusammenarbeit mit den Universitäten in Bern, Luzern und auch in Zürich. Letztere hat eine Gastprofessur für islamische Studien geschaffen.

Ich habe gute Beziehungen zu Hochschulen in Deutschland, wo einige neue Zentren für islamische Theologie entstehen. Weitere Kontakte sind mit Universitäten auf dem Balkan, in arabischen Ländern oder der Türkei geplant. Man kann also durchaus über Kooperation nachdenken. Die Interdisziplinarität und Internationalität, die wir anstreben, soll in Freiburg verwirklicht werden.

Wie stehen Sie zu den Muslimen in der Schweiz?

Kurnaz: Wir suchen den Kontakt zu allen muslimischen Verbänden. Wir treffen keine spezielle Auswahl. Wir gucken vielmehr: Wer ist kooperationsbereit? Wir laden Leute ein, gehen aber auch zu Veranstaltungen. Wir legen Wert darauf, dass das Zentrum praxisnah arbeitet. Wir wollen nicht Wissenschaft im Elfenbeinturm betreiben. Zwischen Praxis und Theorie wollen wir eine gesunde Balance erreichen. Weil sich das Zentrum aber noch in der Aufbauphase befindet, werden konkrete Schritte erst noch folgen.

Wie stehen Sie zur christlichen und zur säkularen Gesellschaft in der Schweiz?

Kurnaz: Am Zentrum sind nicht-muslimische Studierende selbstverständlich willkommen. Ich möchte so die Chance nutzen, Brücken zwischen muslimischen, christlichen und säkularen Auffassungen zu bauen. Ich muss Muslimen wie Nicht-Muslimen klarmachen, was es für einen Wissenschaftler heißt, transparent zu arbeiten und mit wissenschaftlichen Methoden intersubjektive und nachvollziehbare Ergebnisse zu liefern. Das ist mein Anspruch. In einer ersten Phase werde ich mich in meinen Vorlesungen mit der Methodik in der Islamforschung befassen. Abschließend werde ich mich meinem Forschungsgebiet, der Koran-Hermeneutik, also der Auslegungskunst des Korans, und dem islamischen Recht zuwenden. In Frankfurt hatte ich in meinem Studium drei Schwerpunktfächer: Wie gehe ich mit dem Koran, wie gehe ich mit den Sprüchen des Propheten (Hadith) und wie gehe ich dem islamische Recht um. Konkret zum letzten Punkt: Wie kann dieses Recht sich in den Rahmen säkularer und pluralistischer Gesellschaften einfügen?

Wie ist Ihr Verhältnis zum Christentum?

Kurnaz: Ich habe christlich-jüdische Religionswissenschaften studiert. Ich bin mit Christen aufgewachsen und arbeite auch mit christlichen Theologen zusammen, sowohl katholischen wie evangelischen – und auch mit jüdischen Schriftgelehrten. Ich sehe die Zusammenarbeit mit christlichen Theologen als befruchtend an. In Deutschland habe ich auch an Tagungen zur komparativen Theologie teilgenommen.

Im Kanton Freiburg gibt es einen gewissen Widerstand gegen das Zentrum. Was sagen Sie den Leuten, die erklären, das Zentrum diene der Islamisierung der Schweiz und bilde Imame aus?

Kurnaz: Dieser Einwand ist nicht berechtigt. Und zwar vor allem deswegen: Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem islamisch-theologische Studien etabliert werden. Diese Bewegung kann in ganz Europa beobachtet werden: in Österreich, den Niederlanden und vor allem auch in Deutschland. Die Erfahrungen dort zeigen, dass genau das Gegenteil geschieht von dem, was befürchtet wird: Unter Islamisierung versteht man zum Teil auch Radikalisierung. Es zeigt sich aber, dass eine Entradikalisierung einsetzt. Gesucht wird das gegenseitige Verständnis. Auch in der Schweiz haben die Muslime nun die Möglichkeit, als Schweizer Muslime zu fragen und so zur Selbstreflexion beizutragen: Was glaube ich? Wieso glaube ich das? Wie kann ich mich in der Gesellschaft als Muslim einbringen? Was kann ich zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen beitragen? Diesbezüglich kann das Zentrum einiges leisten und ich betrachte die Gründung des Zentrums als einen positiven Schritt, der zu einem harmonischen Miteinander in der Gesellschaft führt. Ich will kein Nebeneinander und auch keine Parallelgesellschaft. Wir müssen möglichst große Transparenz herstellen.

In Europa gibt es bereits derartige Zentren. Der Schweizer Bundesrat forderte 2013 die Schaffung eines solches Zentrums in der Schweiz. Dieses entsteht nun in Freiburg. Kam der Bundesrat mit seiner Forderung zu spät?

Kurnaz: Ich würde sagen: Der Bundesrat hat genau den richtigen Moment erwischt. Es entspricht einem Trend in ganz Europa. Die Schweiz kann von den Erfahrungen außerhalb ihrer Grenzen profitieren und von den positiven Entwicklungen wie auch vom negativen Effekt lernen. Jedenfalls ist die Schaffung des Zentrums ein Schritt in die richtige Richtung.

Wie ist das Verhältnis zur theologischen Fakultät in Freiburg, und wie ist Ihre Arbeitsteilung mit dem zweiten Leiter des Zentrums, Hansjörg Schmid?

Kurnaz: Im Moment ist das Zentrum an die theologische Fakultät angebunden und wir stehen in engem Austausch mit mehreren Kollegen. Ich bin am Zentrum thematisch verantwortlich für die islamisch-theologischen Studien, Hansjörg Schmid für den interreligiösen und sozial-ethischen Teil. Er kümmert sich vor allem auch um die Kooperation mit Partnern und um Weiterbildungsprojekte. Gemeinsam betreuen wir das bald startende Doktoratsprogramm, das von der Stiftung Mercator Schweiz gefördert wird. Die Co-Leitung erlaubt uns aber eine Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen. (KNA)