Der Tag der offenen Moschee (TOM) steht vor der Tür. Dieses Jahr unter dem Zeichen der muslimischen Jugend in Deutschland. Aus diesem Anlass hat IslamiQ eine Reihe von Beiträgen vorbereitet, in denen die muslimische Jugend aus verschieden Perspektiven vorgestellt wird. Wir sprachen mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani über die Identität der muslimischen Jugend.
IslamiQ: „Islamischer Terrorist“ oder „muslimischer Extremist“. Bezeichnungen, die uns aus den Medien bekannt sind. Welche Folgen hat diese Medienmache für die muslimische Jugend?
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani: Das Problem ist tatsächlich, dass viele extremistische Gruppierungen sich selbst das Label „Islam“ geben. Da wird es auch für seriöse und besonnene Medienmacher schwer, diese Selbstbezeichnung zu ignorieren. Aber die Art der Berichterstattung war in der Vergangenheit äußerst problematisch, da die Terminologie sehr unklar war und nicht mehr zwischen „Islam“, „Muslime“ und „Extremisten“ unterschieden werden konnte. Ich denke da zum Beispiel an Titelblätter wie „Unheimliche Gäste“ (Focus), „Gefährlich fremd“ (Spiegel) oder „Wie gefährlich ist der Islam?“ (Stern).
Solch eine Berichterstattung kann bei Jugendlichen das Gefühl der Ausgrenzung, Frust und Wut erzeugen. Das ist überhaupt nicht gut, da es viele Indizien gibt, dass so die Anfälligkeit einiger Jugendlicher für Radikalisierung eher gesteigert wird. Es ist bemerkenswert, dass eines der zentralen Ziele internationaler Terrorgruppen realisiert worden ist, nämlich die Muslime in Europa gesellschaftlich zu isolieren. Die Medien haben hierfür ihren Beitrag geleistet, aber man muss feststellen, dass die Berichterstattung mittlerweile differenzierter und sachlicher geworden ist – auch wenn es nach wie vor Ausreißer gibt.
IslamiQ: Zum einen wird die muslimische Identität mit Ressentiments verbunden, aber zum anderen scheint sie für die Jugendlichen immer wichtiger zu werden. Woran liegt das?
El-Mafaalani: Ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Phänomen exklusiv für muslimische Jugendliche ist. Wir stellen insgesamt fest, dass die Sinnsuche in komplexen Gesellschaften viele Menschen betrifft. Dass speziell die muslimische Identität an Bedeutung gewinnt, hängt aber u.a. auch mit Ausgrenzungserfahrungen zusammen. Ein Teil meiner Identität ist mein Beruf als Wissenschaftler. Würde „die Wissenschaft“ im öffentlichen Diskurs durchweg negativ dargestellt werden, würde dies bei mir diesen Teil meiner Identität stärken. Allein deshalb, weil ich mich dann viel stärker mit diesem Teilbereich meines Lebens auseinandersetzen müsste. Und ganz typisch ist es, sich nach innen kritisch und nach außen verteidigend zu verhalten. Genau dies passiert auch bei vielen jungen Muslimen.
IslamiQ: Sie bewerten fundamentalistische Lebensweisen bei muslimischen Jugendlichen als Jugendkultur. Heißt das also, dass extremistische Verhaltensweisen im pubertären Entwicklungsprozess einen fruchtbaren Boden finden?
El-Mafaalani: Im Jugendalter sind Menschen deutlich anfälliger dafür. Interessant ist dabei, dass unabhängig davon, von welchem Extremismus wir sprechen, bei den aller meisten ein Ungerechtigkeitsempfinden den Ausgangspunkt darstellt. Man erlebt meist im eigenen Umfeld etwas, was aus der subjektiven Perspektive als zutiefst ungerecht eingeordnet wird. Daraufhin folgt die Suche nach der einen Lösung, bei dem das Problem an der „Wurzel“ ein für alle Mal bekämpft wird. Das Wort „radikal“ bedeutet ursprünglich „Wurzel“. Die beste Prävention von Radikalisierung ist die Fähigkeit, mehrperspektivisch zu denken und mit Komplexität, Paradoxien und Dilemmata umzugehen. Kurz gesagt: Zu begreifen, dass es nicht die eine Lösung gibt, sondern jedes gesellschaftliche Problem eine dauerhafte, wahrscheinlich nie vollends abgeschlossene Herausforderung ist und jede Lösung neue Folgeprobleme erzeugt. Genau dies ist der zentrale Kern bzw. das übergeordnete Ziel politischer Bildung.
IslamiQ: Was ist der prägnanteste Unterschied in der gesellschaftlichen Entwicklung eines muslimischen und eines nicht-muslimischen Jugendlichen in Deutschland?
El-Mafaalani: Der prägnanteste Unterschied liegt in den Mehrheitsverhältnissen begründet. Ein muslimischer Jugendlicher gehört in Deutschland zu einer Minderheit. Aber man sollte dies nicht nur auf Muslime beschränken. Christen, deren Eltern aus Ägypten oder Kenia stammen, haben es in Deutschland auch nicht sonderlich einfacher. Dass Menschen unabhängig von optischen Merkmalen, Namensherkunft und religiösen Orientierung in Deutschland Zugehörigkeit und Anerkennung erfahren, ist noch nicht zufriedenstellend realisiert. Aber wir sind derzeit auf einem guten Weg. Die Probleme, die wir heute sehen, sind Fehler der Vergangenheit.