Bei der Berliner SPD herrscht Uneinigkeit darüber, ob das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen abgeschafft werden soll. Dies ergab eine aktuelle Mitgliederbefragung. Eine Fragestellung ist jedoch mehr als bedenklich. FAIR International bezieht auf IslamiQ Stellung dazu.
Die Berliner SPD führt derzeit unter ihren 17.000 Mitgliedern eine Befragung durch, um Parteistandpunkte für das Wahlprogramm 2016 zu definieren (wir berichteten). Grundsätzlich ist die Bestrebung, Parteipolitik an die Basis anzuknüpfen und bei der Meinungsbildung demokratisch vorzugehen, begrüßenswert. Die 12. Frage ist jedoch irritierend und schießt über die genannte Vorbildlichkeit hinaus. Darin heißt es:
„Soll die religiöse Neutralität in hoheitlichen Bereichen des Staates beibehalten werden, so dass zum Beispiel auch Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen weiterhin kein Kopftuch tragen dürfen?“
Schon die Formulierung der Frage ist befremdlich. Anstatt ein möglichst authentisches Meinungsbild der Mitglieder anzuvisieren, wird eine ganz bestimmte Antwort vorgegeben. Die „Beibehaltung“ der Neutralität sei nur dann möglich, wenn „Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen weiterhin kein Kopftuch tragen dürfen“. Verletzt das Kopftuch also per se die staatliche Neutralität und ist damit ein verfassungswidriges Symbol? Solch eine Deutung wurde in der zweiten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 abgelehnt. Es können allenfalls Äußerungen und Verhaltensweisen einer kopftuchtragenden Person verfassungswidrig sein, nicht aber das Kopftuch als religiöses Symbol an sich. Die Formulierung umhüllt sich mit einer scheinbaren Absolutheit, wo keine ist: Nämlich darin, dass die Kopfbedeckung eine Gefahr für die staatliche Neutralität bedeuten soll. Bereits diese Annahme hat eine stigmatisierende Wirkung auf muslimische Frauen mit Kopftuch.
Ein Neutralitätsverständnis, das systematisch eine bestimmte Glaubensgruppe aus dem öffentlichen Dienst ausschließt, wirkt nicht nur diskriminierend, sondern ist auch verfassungswidrig. Die besagte Entscheidung des BVerfG beinhaltet diesbezüglich klare Worte: „Die religiös-weltanschauliche Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung.“ Als „Heimstatt aller Staatsbürger“ sei es daher konsequent, dass staatliche Einrichtungen die religiöse Pluralität der Gesellschaft widerspiegeln.
Der Staat verwirklicht seine Unparteilichkeit dadurch, dass er jeglichen Glaubensüberzeugungen die gleiche Chance bietet, sich in seinem Hoheitsbereich zu entfalten. Die segregierende Haltung, wie sie von der Berliner SPD scheinbar vertreten wird, nährt die Annahme, dass bei der „distanzierenden“ Neutralität die Distanz des Staates zu muslimischen Frauen größer ist als zu denkbaren Vergleichsgruppen, sodass durch eine scheinbare Neutralität Ungleichbehandlungen geschaffen werden.
Wegen seiner diskriminierenden Wirkung wurde ein pauschales Kopftuchverbot vom höchsten deutschen Gericht für verfassungswidrig erklärt. Damit geht auch die Erkenntnis einher, dass das Kopftuch nicht mit dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot kollidiert. Die Berliner SPD kann dies natürlich anders sehen. Wenn sie in ihrer Mitgliederbefragung allerdings impliziert, dass man trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung an einem verfassungswidrigen Zustand festhalten könne („Soll die religiöse Neutralität beibehalten werden?“), lässt sie ein bedenkliches Rechtsverständnis erkennen. Verfassungwerte aber dürfen nicht zur Disposition der Mitglieder gestellt werden.