Zekeriya Altuğ ist neuer KRM-Sprecher. Wie der DITIB-Vertreter sich eine handlungsfähige, innermuslimische Zusammenarbeit vorstellt und welche Ziele verfolgt werden, erklärt er im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Welche Ziele beabsichtigen Sie als KRM-Sprecher und DITIB-Vertreter, im KRM in den nächsten Monaten zu verfolgen?
Zekeriya Altuğ: Der KRM hat seit seiner Gründung sehr wichtige Aufgaben im Bereich der öffentlichen Wahrnehmung für die Muslime übernommen. Diese haben sich jedoch stärker im Bereich der gemeinsamen Repräsentation der Muslime in der Öffentlichkeit konzentriert. Das war ein wichtiger Aspekt, den es zu würdigen gilt. Dennoch hat der KRM mit einem Bekanntheitsgrad von etwa 10 Prozent sogar bei den Muslimen noch Nachholbedarf. Interessanter ist es jedoch, dass nur 40 Prozent derer, die den KRM überhaupt kennen, sich von diesem wenn auch nur teilweise vertreten fühlen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Strukturen des KRM durch ständig wechselnde Ansprechpartner und fehlende Rückkoppelungsmöglichkeiten zur Basis eine direkte Vertretung somit aber auch eine Akzeptanz desselben erschweren.
Ebenso müssen wir uns auch der Frage stellen, ob die bisherigen Aufgaben und Strukturen des KRM heute noch aktuell sind. Als DITIB gehen wir auch selbstkritisch an diese Fragen heran. Wir sehen, dass sich die Anforderungen an die Repräsentation der Muslime, aber auch an die Strukturen der Vertretung der Muslime seit der Gründung des KRM geändert und die Islamischen Religionsgemeinschaften sich auch weiterentwickelt haben. Die Verbandslandschaft ist bunter geworden. Auch die Anerkennung einiger Landesverbände als Religionsgemeinschaften, insbesondere im Norden, haben neue Fakten geschaffen. Eine Repräsentation, die sich auf Öffentlichkeitsarbeit konzentriert und nur auf Bundesebene aufgestellt ist, reicht heute bei weitem nicht aus. Daher ist es als DITIB, als dessen Vertreter ich im KRM sitze und aktuell die Sprecherfunktion ausübe, unser Anliegen, dass der KRM sich weiterentwickelt und eine Plattform nicht nur der gemeinsamen Stimme, sondern auch der Zusammenarbeit von in sich unabhängigen Religionsgemeinschaften wird.
Hierzu ist es jedoch nötig, dass die Muslimischen Verbände und Religionsgemeinschaften, die nur indirekt oder überhaupt nicht im KRM vertreten sind in den KRM integriert werden. Weiterhin ist eine direktere Einbindung der Basis zum Beispiel über Landesverbände oder Delegierte sinnvoll, um die Stimme der Muslime sowie den Informationsfluss in beiden Richtungen zu stärken.
Ebenso ist es wichtig, dass man auch Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen aus den Reihen der Muslime, die nicht direkt in den muslimischen Gemeinden organisiert sind wie Akademiker, Jugendgruppen, Vertreter von Berufsgruppen wie Journalisten etc. oder auch Vertreter der kleineren Gemeinden, die nicht auf Bundesebene organisiert sind, in den inhaltlichen Austausch mit einbindet. Hierfür kann der KRM zusätzliche Foren und Diskussionsplattformen schaffen, ohne die Strukturen der Religionsgemeinschaften aufzuweichen. Wir sollten es als eine Bereicherung sehen, dass Menschen, die sich als Muslime definieren, aber in anderen Institutionen und Plattformen Großes leisten, in unseren innerislamischen Austausch mit einzubinden. Dieser Austausch relativiert jedoch in keiner Weise die Kompetenz der einzelnen Mitgliedsverbände als Islamische Religionsgemeinschaften.
IslamiQ: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung und die Zukunft des KRM ein, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedern?
Altuğ: Allein schon die Tatsache, dass bei innerislamischen Debatten und Diskussionen sofort von „Spannungen unter Muslimen“ gesprochen wird, zeigt ein grundsätzliches Problem muslimischer Organisationen und Öffentlichkeit auf. Wir fordern ständig einen Diskurs, agieren jedoch in derart spannungsgeladenen Kontexten, wenn es um Muslime und den Islam geht, dass wir gleichzeitig eine hohe Erwartungshaltung nach Harmonie unter den Muslimen haben. Das führt jedoch häufig dazu, dass inhaltliche Debatten sofort als Behinderung oder gar Störfeuer gedeutet werden. Aus dieser Denkfalle müssen wir heraus.
Es gibt im KRM die Einsicht, dass der KRM viel mehr leisten kann und muss, als er momentan imstande ist. Es gibt ebenfalls Konsens bei den Mitgliedern des KRM, den KRM gemeinsam so weiter zu entwickeln, dass er verbindlicher und auch leistungsfähiger wird. Dass man in solch einem Prozess auch Kritik üben und auf Probleme hinweisen muss, versteht sich eigentlich von selbst. Dieses Selbstverständnis muss der KRM entwickeln, dieses Selbstverständnis müssen die Muslime bei sich stärken. Ein Prozess, bei dem alle von Beginn einer Meinung sind, ist selten zukunftsweisend. Im pluralistischen Islam, den ich übrigens als eine Religion definiere, der dem freien Willen des Menschen mehr Bedeutung beimisst, als jede andere Religion, sind Divergenzen keine Spannung, sondern vielmehr eine Barmherzigkeit. Ich stelle seit Jahren immer wieder gerne die Forderung nach der „Einheit in unserer Vielfalt“, wenn es um die Zusammenarbeit unter Muslimen geht. Denn wir haben zum Glück keinen Klerus, der verbindlich und endgültig definiert, was richtig zu sein hat. Unser Glaube unterstützt explizit die Meinungsvielfalt. Dieses sollten wir nicht nur zu schätzen wissen, vielmehr auch genügend würdigen, indem wir es zur Basis unserer Zusammenarbeit machen.
Diese Erkenntnis sehe ich auch bei unseren internen Beratungen über die zukünftige Arbeit des KRM. Ich bin daher guter Dinge, dass der KRM in Zukunft eine noch wichtigere Rolle in Deutschland spielen wird. Und dass der KRM dabei nicht nur die Stimme einer Gruppe von muslimischen Verbänden auf Bundesebene sein wird, sondern für eine viel breitere Gruppe von Muslimen agieren wird.
IslamiQ: Was beabsichtigen Sie zu unternehmen, um das Verhältnis der einzelnen islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland zu entspannen und um wieder eine gemeinsame muslimische Agenda zu setzen?
Altuğ: Wir sind bereits seit längerer Zeit in einem Entwicklungsprozess, der sich sehr fruchtbar gestaltet. Diesen Prozess gilt es weiterzuführen. Das Ergebnis darf nicht sein, den Muslimen lediglich eine Stimme in der Öffentlichkeit zu geben oder gar weniger Zusammenarbeit als jetzt zu haben. Was wir brauchen ist mehr Gemeinsamkeit, mehr Zusammenarbeit aber auch mehr Verbindlichkeit. Wir brauchen mehr Inhalte, über die wir im KRM, aber auch mit Akteuren außerhalb des KRM beraten. Wir brauchen einen innerislamischen Austausch auch bei heiklen Themen, dem die muslimischen Verbände im KRM sich nicht nur stellen müssen, sondern diese aktiv anstoßen und begleiten müssen. Diese Diskussionen dürfen jedoch nicht in einer kleinen Gruppe geführt werden, sondern mit einer breiten Basis. Wir brauchen mehr Transparenz bei muslimischen Positionen, aber auch mehr Selbstbewusstsein. All dieses sind Themen, die wir gemeinsam im KRM bereits diskutieren.
Diesen inneren Diskurs und diese innere Reformierung und Erweiterung des KRM gilt es abzuschließen, um den ständig wachsenden Herausforderungen als Muslime gerecht zu werden. Bereits im August 2014 als ich zum ersten mal als Vertreter in den KRM entsandt wurde, habe ich im Namen meines Verbandes DITIB eine Stärkung und Umstrukturierung des KRM vorgeschlagen. Wir haben diese Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des KRM nicht nur nach einer DITIB internen Diskussion im KRM angestoßen, sondern von Beginn an konkrete Vorschläge für eine Stärkung und Erweiterung des KRM gemacht. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, diesen Prozess auf Bundesebene erfolgreich abzuschließen, damit dieses als positives Beispiel auch Signalwirkung für die Ebene der Bundesländer haben kann. Denn vieles im Bereich der Aufgaben für Religionsgemeinschaften wird auf Ebene der Bundesländer wahrgenommen. Daher will ich mich auch dafür einsetzen, dass die Zusammenarbeit von den Bundesverbänden über die Landesstrukturen bis hin zur Gemeindearbeit auf allen Ebenen angestoßen und besser koordiniert wird. Die Resonanz innerhalb des KRM hierfür macht nicht nur Mut, sondern ist für mich auch Ansporn dafür, nicht nur oberflächliche Strukturänderungen anzugehen, die lediglich um eine Vertretung auf bundespolitischer Bühne zielen. Vielmehr sind wir uns einig, dass der KRM auch die gesellschaftliche Diskussion inhaltlich mitgestalten und prägen muss. Für diese sehr konstruktive aber auch beherzte Zusammenarbeit in der Kommission zum Status des KRM möchte ich allen Mitgliedsverbänden und auch persönlich ihren Vertretern im KRM meinen Dank aussprechen.
IslamiQ: Aktuell engagieren sich viele muslimische Gemeinden in der Flüchtlingsarbeit. Welche Position nimmt der KRM bei der anhaltenden Debatte ein?
Altuğ: Die Flüchtlingsarbeit wird auf kommunaler Ebene von den Moscheeemeinden geleistet. Als Zusammenschluss von islamischen Religionsgemeinschaften ist die Aufgabe des KRM vielmehr koordinierend zu wirken und die öffentliche Wahrnehmung über das Engagement der Muslime zu stärken und weniger selbst aktiv ins Geschehen einzugreifen. Nach den aktuellen Formen der Zusammenarbeit sind die Möglichkeiten begrenzt.
Allerdings ist auch die öffentliche Bekanntmachung und Wahrnehmung der sehr guten und engagierten Flüchtlingsarbeit von Muslimen nicht in dem Maße gelungen, wie es möglich gewesen wäre. Das liegt jedoch an mehreren Faktoren und weniger an der Arbeit des KRM. Zum einen wurden auch die Muslimischen Verbände von der Höhe der Flüchtlingszahlen überrascht. Ebenso kam der immense Bedarf an Unterstützung so plötzlich, dass man sich sofort an die Arbeit vor Ort gemacht hat, ohne lange Koordinationsverfahren auf Länder- oder Bundesebene abzuwarten. Man hat schnell und unkomplizierte Hilfe organisiert, dabei weniger Zeit gehabt, über diese Hilfe zu reden oder diese öffentlich zu machen. Das war allerdings genau der richtige Weg und es war das, was die Muslime auszeichnet. Weiterhin war der KRM sowohl durch Themen wie die innere Umstrukturierungsarbeit, der Diskussion um den Aufbau von muslimischer Wohlfahrtspflege und der Seelsorge aber auch durch die Ramadan-, Ferien- und Hadschzeit, in welche die Flüchtlingsdebatte fiel, mit seinen begrenzten Ressourcen sicherlich ungewöhnlich stark herausgefordert.
Angesichts dieser immensen Herausforderungen, die für die Muslime neu dazukommen, für die erst neue Ressourcen und Strukturen geschaffen werden müssen, ist es mir ein Anliegen, den muslimischen Gemeinden und Organisationen, egal ob sie nun im KRM vertreten sind oder nicht, für ihr Engagement bei der Flüchtlingshilfe zu danken. Sie haben als Teil der Gesellschaft vor Ort reagiert und auch agiert. Genau dann, wenn es darauf ankam, war und ist man mit dabei. Das ist ein wichtiges Signal für die Zukunft unseres Landes. Der Islam gehört nicht nur zu Deutschland, er gestaltet dieses Land mit und ist eine wichtige Stütze dieser Gesellschaft.
IslamiQ: Vor ein paar Wochen präsentierte das umstrittene Muslimische Forum Deutschland seine sogenannten Berliner Thesen. Wie steht der KRM zu dem Forum?
Altuğ: Dass wir in Deutschland einen stärkeren innerislamischen Diskurs brauchen, ist unlängst von allen Akteuren anerkannt. Der Mehrwert des Beitrages dieser Gruppe erschließt sich mir jedoch noch nicht. Das Auftreten bislang lässt tatsächlich die Frage legitim erscheinen, ob sie nicht etwa doch den deutschen Staat gegen die Muslime vertreten, als umgekehrt – wie es zuletzt auch von einer großen deutschen Zeitung gemutmaßt wurde. Auch die Tatsache, dass es für die Konstitution der Initiative und Unterstützung einer parteinahen Stiftung bedurfte, ist fragwürdig. Eigentlich ist das Material genug für mehrere Satiresendungen über die schrittweise Abschaffung unserer säkularen Grundordnung.
Die Aussagen von einzelnen Mitgliedern oder Gönnern dieser Plattform, wonach diese Plattform als Stimme der liberalen schweigenden Mehrheit der nicht organisierten Muslime wie eine Religionsgemeinschaft behandelt werden solle und auch bei der DIK vertreten sein müsse, steuert einiges zum Unbehagen bei. Die Behauptung, man wolle den innerislamischen Diskurs stärken erscheint problematisch, da es weder im Vorfeld der Gründung, noch danach mit anderen Vertretern muslimischen Lebens einen Austausch gegeben hat. Kurios wird es, wenn eine Gruppe, die ohne staatsnahe – auch finanzielle und ideologiscche – Unterstützung überhaupt nicht in der Lage war, überhaupt zusammenzukommen, fordert, der Einfluss der Herkunftsstaaten von Muslimen müsse eingeschränkt werden und auch der Zuzug von Imamen sei hinderlich.
IslamiQ: Eine Forderung die oft gestellt wird, ist die das der Einfluss der Herkunftsländer der Religionsgemeinschaften abnehmen soll. Wie ist dem entgegenzutreten?
Altuğ: Obwohl auch die Mitglieder dieser Gruppe sehr genau wissen, welche gute Arbeit kompetente Imame in den Gemeinden leisten und wie die Landschaft bei muslimischen Jugendlichen ohne diese Unterstützung einiger Herkunftsländer und ohne eine Tradition des Islams aussehen würde. Wir haben bereits einen „deutschen Islam“ ohne Bezug zu Tradition und Kultur der Herkunftsländer in Deutschland. Ein Islam, der radikal mit den Traditionen des islamischen Lehre und der Kultur der Herkunftsländer bricht, nennt sich selbst Salafismus. Ich nenne sie Neo-Salafisten, da diese sogar mit den Traditionen des Salafismus selbst brechen. Ihre Prediger sprechen hervorragend die deutsche Sprache, sind in Deutschland aufgewachsen und werden hier ausgebildet. Dass damit nicht automatisch eine Sozialisation in Deutschland verbunden ist, wird bei der Debatte gerne übersehen.
Pauschale Thesen und Forderungen von rechtspopulistischen politischen Kreisen zu widerholen hilft uns nicht weiter. Wir brauchen zuvorderst eine inhaltliche Analyse der Probleme und Bedarfe, um darauf basierend mögliche Lösungsansätze für eine gemeinsame pluralistische und freiheitliche Zukunft in unserer Gesellschaft zu entwickeln. Durch häufige Widerholung von populistischen Forderungen an die Adresse der Muslime suggestiv die bereits besteheden Stigmen und Ressentiments gegen den Islam und die Muslime zu untermauern ist kontraproduktiv. Wir dürfen nicht in altbekannte Muster verfallen und den Fehler, den wir bei der Integration der Arbeitsmigranten in den achtziger und neunziger Jahren gemacht haben widerholen. Damals wurden die wenigen „guten“ Migranten, die der Politik konform erschienen, unterstützt, damit diese die Mehrheit der anderen Migranten dahingehend überzeugen und unterstützen, die Werte dieser Gesellschaft schätzen zu lernen.
Die vom Muslimischem Forum Deutschland vorgestellten Thesen setzen auch genau an diesem Punkt an und untermauern das Angebot an die Politik und Öffentlichkeit, diese Aufgabe bei den Muslimen leisten zu wollen. Das zeigt die immer wieder erzeugte implizite Andeutung der Gruppe, der traditionelle Islam beziehungsweise muslimische Verbände seien eben gegen die in diesen Thesen vorgestellten Grundhaltungen, was zumindest eine Manipulation darstellt. Unsere Politik hat den Fehler gemacht, im Bereich der Integration jahrzehntelang auf dieses Denkmuster und somit auf Einzelpersonen oder besonders konform erscheinende marginale Gruppen zu setzen. Das Ergebnis ist bekannt.
Beim Prozess der Beheimatung des Islams in Deutschland sollte der bislang eingeschlagene richtige Ansatz weiter fortgeführt werden. Die Anerkennung des Islams und der Muslime muss intensiv vorangebracht und zügig abgeschlossen werden. Die Gleichstellung des Islam braucht verbindliche Strukturen und die Beheimatung des Islam und der Muslime kann nicht ohne die Mehrheit der organisierten Muslime gelingen. Gleichzeitig dürfen wir als Muslime jedoch nicht verkennen, dass wir einen intensiven innerislamischen Diskurs ohne Denkverbote brauchen werden. Dieser muss sich inhaltlich den Problemen und Herausforderungen unserer Gesellschaft stellen. Muslime müssen sich stärker zu aktuellen Problemen äußern.
Innerislamische Debatten können sicher nicht immer vor der gesammten Öffentlichkeit geführt werden. Sie müssen aber öffentlich wahrnehmbarer und auch transparenter geschehen, als es uns bis jetzt gelungen. Auch dazu muss der KRM in Zukunft einen aktiven Beitrag leisten. Dass wir im Rahmen der Umstruktirierung des KRM dieses mit auf unserer Agenda haben und die Entwicklung unserer Gespräche vorantritt, stärkt meine Hoffnung, dass uns ein solcher Diskurs auch über die Mitglieder des KRM hinaus und unter Einbeziehung verschiedenster gesellschaftlicher muslimischer Akteure zukünftig besser gelingen wird.