Terror in Paris

Was passiert nach Paris?

Der 13. November 2015 sollte der Tag sein, der Frankreich in den Ausnahmezustand brachte. Ein mörderischer Terrorismus forderte nicht nur eine hohe Zahl an Toten, auch das „Image“ des Islams leidet stark darunter. Ein Kommentar von Esra Lale.

15
11
2015
Paris Anschläge: Ein Tag danach © Maya-Anaïs Yataghène auf flickr, bearbeitet by IslamiQ.

Ein gewöhnlicher Freitagabend, das Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich wird übertragen. Doch dann die Nachricht einer Explosion, kurze Zeit später die Nachricht über eine Geiselnahme und einen bewaffneten Anschlag in der Konzerthalle Bataclan in Paris. Während die Zeit vergeht und das Ausmaß der terroristischen Anschläge klarer wird und Frankreichs Präsident Francois Hollande den Ausnahmezustand im Land ausruft, hoffen Muslime, dass keine sogenannte „islamistische“ Motivation dahintersteckt. Währenddessen, werden jedoch schon pegidaphile Meinungen wie ein Lauffeuer auf den sozialen Netzwerken verbreitet. Spätestens nachdem sich die IS zu der Tat bekennt, packen sich besorgte Bürger behutsam die Hassparolen für die nächste Pegida-Demo in den Rucksack, um mit dem medial geprägten Halbwissen wieder die Gefahr einer Islamisierung kundzutun.

Die sprachliche Reproduzierung des „islamistischen Terrors“ ist in der medialen Maschinerie auf Hochtouren. Die Assoziationskette Islam-Terror-Gewalt wird auf jeder erdenklichen Plattform abgerufen und die Gäste der nächsten „Wie gefährlich ist der Islam?“-Talkshows werden kontaktiert. Die Layouts für die nächsten Zeitschriften mit islamfeindlichen Äußerungen und Bildern sind schon in Auftrag gegeben und die ersten Artikel mit den postterroristischen Floskeln („Unsere Werte“, „Anschlag auf die Demokratie“) werden niedergeschrieben.

Wie gehen Muslime damit um?

Eine langwierige Gegenwehr kommt auf Muslime zu. Zum einen sind es die ansteigenden islamfeindlichen Stimmungen und zum anderen die unterschiedlichen Reaktionen der Muslime untereinander. Denn während der eine sich strikt davon distanziert, wird der andere bewusst ignorieren. Der andere wird sich lauthals rechtfertigen, Hadithe und Koranverse in die Tasten hauen und auf den sozialen Netzwerken teilen und der andere sich in Verschwörungstheorien verlieren. Wie auch immer die Reaktionen ausfallen, sie zeigen dennoch, dass auch Muslime Leidtragende dieser grausamen Attentate sind. Die Reputation der Muslime, die unabhängig ihrer Reaktion gleichermaßen entsetzt sind, wird wieder mit Füßen getreten. Die islamfeindliche Trümmerliteratur auf Facebook und Co. läuft auf Hochtouren.

In diesem Wirrwarr einen klaren Gedanken zu fassen, sich zwischen den Positionen zu orten, ist sehr schwer. Dennoch ist eine vielmals geforderte Rechtfertigung und Distanzierung der Muslime keine korrekte Vorgehensweise. Denn diese würde eine Nähe zwischen mörderischen Attentätern und muslimischen Bürgern voraussetzen. Terror und Gewalt sind nie ethisch oder religiös begründbar. Wenn Muslime sich mit den Opfern der Anschläge solidarisieren, dann aus humanistischen Gründen und nicht, weil sie die missbräuchlich bedreckte Weste des Islams wieder reinwaschen müssen.

Instrumentalisierung der Anschläge

Vor allem Politiker aus der rechten Ecke instrumentalisieren den Terrorakt, um das eigene fremdenfeindliche Begehren voranzutreiben. Die Vorsitzende der rechtsextremen Partei Front National haderte nicht lang und verkündete, dass „islamistischer Fundamentalismus“ bekämpft, „radikale Moscheen“ geschlossen und Verdächtige ausgewiesen werden müssen. Doch wen stuft Le Pen als „radikal“ ein?

Immerhin verglich sie 2010 in Lyon vor Parteianhängern Straßengebete von Muslimen mit der deutschen Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs. „Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner“. Die Terroristen sind nur weiterer Wind in den Segeln der Hetzkampagne der Front National und die Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen in 2017 wird nun vermehrt Erfolge auf dem Rücken der Minderheiten verbuchen.

Genauer auf dem Rücken der Muslime und der Flüchtlinge. Le Pen fordert eine neue Grenzregelung in Frankreich, denn „ohne Grenzen gibt es weder Schutz noch mögliche Sicherheit“. Doch sie ist nicht allein, erst Anfang des Monats machte der tschechische Präsident Milos Zeman in einem Interview Stimmung gegen Flüchtlinge: „Ich denke, dass das eine organisierte Invasion ist.“ Auch in Deutschland wird der Anschlag als Legitimation der rechten Politik betrachtet. Der bayrische Finanzminister Markus Söder äußerte sich kurz nach dem Anschlag auf den Kurznachrichtendienst Twitter wie folgt: „Die Zeit unkontrollierter Zuwanderung und illegaler Einwanderung kann so nicht weitergehen. Paris ändert alles“.

Ist das so? Wird Paris alles ändern oder eher den herrschenden Kurs noch stärker nach Rechts lenken? Wird die von der österreichischen Rechtspartei FPÖ geforderte „Festung Europa“ mehr Unterstützer bekommen. Werden mehr Flüchtlingsheime und Moscheen brennen? Werden die wöchentlichen Demonstration der besorgten Bürger einen stärkeren Zulauf bekommen und islamfeindliche Parolen von jeder Seite unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit fallen?

Kommt es also wirklich so, täte man den mörderischen Terroristen den Gefallen, den sie mit diesem grausamen Akt einfordern. Die Spaltung der Mitte und Isolation der Muslime und Nichtmuslime untereinander. Ein steigendes Misstrauen, Chaos uns Hass zwischen augenscheinlich Andersartigen, die sich jedoch in den Werten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einig sind.

Leserkommentare

Warmduscher sagt:
@Johannes Disch Nicht die Identität der Attentäter ist entscheidend, sondern ihre Motivation. Und diese ist religiös begründet. Wenn Franzosen, Briten und Deutsche aus christlich religiöser Motivation heraus ständig terroristische Attentate begehen würden, wäre das genauso Thema. Der Hinweis auf die soziale Stigmatisierung und der damit verbundenen Chancenlosigleit innerhalb der Gesellschaft ist nur die halbe Wahrheit. Natürlich gibt die, aber um solche Leute derart zu radikalisieren, braucht es eine kampfbereite und totalitäre Ideologie und da scheint der Islam und sein Prophet ein willkommenes Vorbild zu bieten. Die "wahre" Religion gegen den ungläubigen Rest der Menscheit. Eine weitere Lehre des Koran und auch gerne in Moscheen propagiert.
20.11.15
10:18
Johannes Disch sagt:
@EinVorschlag Fatwas aus islamischen Ländern, die den IS-Terror als "unislamisch" verurteilen, gibt es längst. Einfach mal im Netz nachsehen. Da finden Sie es. lg Johannes Disch
20.11.15
11:53
Johannes Disch sagt:
@Charley So, nur "muslimische Randgruppen" machen Probleme?? Mir ist nicht bekannt, dass Beate Zschäpe & Co zum Islam konvertiert wären. Der Faschismus hat in Deutschland keinen Boden mehr??? "Pegida", die Reden eines Björn Höcke ("AfD") und die Brandanschläge auf Asylunterkünfte belegen leider das Gegenteil. lg Johannes Disch
20.11.15
11:58
Johannes Disch sagt:
@Charley Nach meiner Logik hätte die französische Gesellschaft die Attentate begangen, weil Sie die Muslime nicht integriert hat??? Langsam. Natürlich ist jeder für seine Taten selbst verantwortlich. Aber Radikalisierung geschieht nicht im luftleeren Raum und nicht von heute auf morgen. Und sie hat verschiedene Ursachen. Und eine davon ist Perspektivlosigkeit. Und da hat die französische Gesellschaft tatsächlich Defizite, was den muslimischen Teil ihrer Bevölkerung betrifft. Die deutsche Gesellschaft auch, aber ich denke, bei allen Problemen, die auch wir haben, sind wir da weiter als die Franzosen. Wenn man sich die Leute ansieht, die zum IS gehen (Dennis Cuspert, etc.), dann sind es in der Regel alles Menschen mit gebrochenen Biografien. Menschen, aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Und da müssen wir ansetzen. Radikalisierung entzieht man am besten den Boden, wenn man Menschen eine Perspektive gibt. lg Johannes Disch lg Johannes Disch
20.11.15
12:20
Charley sagt:
@Johannes Disch: Ja, genau, der Faschismus hat i Deutschland keinen Boden mehr, um eine maßgebliche Kraft zu werden. Und das liegt tatsächlich an der Art, die Vergangenheit aufgearbeitet zu haben, vielfach ungenügend und dennoch besser als in vielen anderen Ländern (Japan, Stalinismus, Pfeilkreuzer (Ungarn), usw). Dass es trotzdem noch "Ewiggestrige" gibt, ist dazu kein Widerspruch. Das Randgruppenproblem ist bekannt, es gibt aber eine Gesinnung der Opferrollenmentalität, die man auch hier vielerorts aus Artikeln und Kommentaren herauslesen kann und die stets impliziert nicht (!) maximale Verantwortung, auch in religiöser und philosophischer Selbstkritik zu übernehmen und die sich dadurch selbst Mitgestaltungsmöglichkeiten nimmt. -Da wären sektenidentitätssiftende Folkloreelemente zu nennen, die nur kulturbedingt sind, zugleich aber als "Heiligtümer des Islam" bezeichnet werden. Der Islam wird sich im Europa neu gestalten müssen, wenn er sich (!) integrieren will. Wille zur Integration muss nicht nur von der anderen Seite gefordert werden. Es k0nnte sogar eine stärkende Erneuerung werden: "back to the essentials".
20.11.15
16:17
Johannes Disch sagt:
@Charley -- "Der Islam wird sich in Europa neu gestalten müssen, wenn er sich (!) integrieren will." (Charley) Er ist integriert. Die meisten Muslime haben mit dem islamistischen Terror und auch mit der fundamentalistischen Auslegung nix am Hut. Sie leben einen Islam, der sich mit unserer FDGO und unseren Gesetzen deckt. Die Probleme, die es gibt, sind nicht religiöser, sondern politischer Natur. Wir erleben den Zerfall des Nahen Ostens. Den Zerfall der künstlichen Nachkriegsordnung, die die europäischen Kolonialmächte 1916 mit dem "Syces-Picot-Abkommen" errichtet haben. Dieses Problem löst sich nur politisch, und nicht mit Debatten über angeblich problematische Koran-Suren. lg Johannes Disch
23.11.15
5:45
Charley sagt:
@Johannes Disch: .... nach wie vor "Humor". Hast du eigentlich eine Ahnung, als wie absurd und richtig, richtig fremd die Humorlosigkeit der Moslems ist, wenn es Allah, den Koran oder Mohammed betrifft. Diese Steifheit, da nicht über sich selbst lachen zu können, ist schrill. Mit der Steifheit geht ein "Stolz" und damit auch Machtanspruch und richtig mangelnde Toleranz einher, das ist schon heftig. Das zeigen Alltagsbegegnungen und -erfahrungen. Zur Integration gehört auch, die Funktion von Humor anzuerkennen, auch für die religiösen Themen. Salman Rushdie über das Verhältnis des Islam zu Witzen: "Was mich beunruhigt, ist die Leichtigkeit, mit der sich die Menschen in Europa und Amerika in ihren Grundfesten erschüttern ließen. Ich glaube, das Problem liegt darin, dass die Einschüchterung zunehmen wird und dass jene Werte, die im Westen hunderte Jahre Gültigkeit hatten, nämlich Satire, Lächerlichkeit, Witze, Lachen und Skeptik sowie die Bereitschaft, sich nicht vor jeder Macht auf den Boden zu werfen, an Kraft verlieren." Ich schrieb es schon an anderer Stelle: Es war lebensgefährlich in totalitären Staaten wie bei den Nazis, in der UdssR, in der DDR und sonst wo, Witze über die Obrigkeiten zu machen. Da reiht sich der Islam ein! Ja, DER Islam, denn auch wenn hunderttausende mordlüsterne Pakistani vermutlich nicht nach Europa kommen (obwohl einer reicht), ich hab nicht mal Lust, verprügelt zu werden, weil jemand seinen "Propheten" beleidigt sieht. Apropos... wie klein werden eigentlich dieser "Prophet" und "Allah" gedacht, dass diese überhaupt beleidigt sein können? Geistige Größe und Souveräntität kann gar nicht beleidigt sein. Beleidigt sind nur gekränkte Vorstellungen von Leuten über ihren Propheten, über ihren Allah: Kurz, ein Eiertanz um Aberglauben (weil nur Vorstellung)! Humor hat ein befreiendes Element, gerade gegenüber "Allgewalten", auch wenn diese jenseitiger Natur sind. - Gerade wer geistige Wirklichkeit erlebt, der braucht viel Humor dieser gegenüber! Wirklicher Ernst lebt nicht Verkrampftheit, sondern Fähigkeit zu sattem Humor.
23.11.15
19:42
1 2 3