Anfang des Jahres beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass ein pauschales Kopftuchverbot verfassungswidrig ist. Dennoch ist das Kopftuch in manchen Bundesländern nach wie vor verboten. Warum das so ist, erklärt IslamiQ.
Der Streit um das Kopftuch von Lehrerinnen geht trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 weiter. Die Folge der Entscheidung sollte sein, dass alle Länder nach und nach ihre Gesetze prüfen und diese der neuen Rechtslage „anpassen“. Erst vor kurzem erklärte aber der Innenminister Berlins, dass an dem Neutralitätsgesetz festgehalten werde und kein Bedarf an Änderung des Gesetzes aus ihrer Sicht bestehe. Warum ist das so?
Um den Streit einordnen zu können ist eine kurze Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts angebracht.
Der Beschluss besagte zunächst, dass die Privilegierung zugunsten christlicher und jüdischer Zeichen nichtig ist. Ohne weiteres Zutun durch die Landesgesetzgeber ist diese gesetzliche Regelung nicht mehr „gültig. Im Umkehrschluss heißt dies, dass nun alle religiösen Zeichen – unabhängig davon ob Kippa, Nonnentracht oder Kopftuch – zulässig sind.
Des Weiteren ist auf Grundlage des Beschlusses ein sog. „Kopftuchverbot“ aufgrund der Annahme einer abstrakten Gefahr nicht mehr zulässig. Die Landesgesetzgeber verabschiedeten nach dem sog. „Ersten Kopftuch-Urteil“ aus dem Jahre 2003 Gesetze, die das Kopftuch auf ein Zeichen von Unterdrückung reduzierten. Das Bundesverfassungsgericht stellte nun klar, dass solch eine ausnahmslose Schlussfolgerung nicht möglich und daher solche Regelungen -Streitgegenstand war die nordrhein-westfälische Regelung – nicht verhältnismäßig seien und aus diesem Grund auch einen Eingriff in die Glaubensfreiheit der betroffenen Lehrerin darstellen. Das Gericht führte weiter aus, dass insbesondere die negative Glaubensfreiheit von Schülern durch eine kopftuchtragende Lehrerin nicht beeinträchtigt sei, solange keine Werbung für die eigene Religion ausgeübt werde.
Darüber hinaus garantiere das Recht der negativen Glaubensfreiheit der Eltern keine Verschonung vor der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, solange hiervon keine finale und beeinflussende Wirkung ausgehe. Die Neutralitätspflicht des Staates werde bewahrt, indem Bezüge zu allen mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule zugelassen. Dass der Staat bei Zulassung von religiös konnotierter Kleidung auch mit der entsprechenden Religion identifiziert, bedeutet dies freilich nicht.
Berlin hatte aufgrund der Entscheidung aus dem Jahre 2003 im Jahre 2005 das sogenannte Neutralitätsgesetz erlassen. Dieses Gesetz enthält u. a. ein pauschales Verbot für Lehrkräfte, religiöse Symbole und Kleidung im Unterricht zu tragen.
Schon frühzeitig wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Neutralitätsgesetz in Berlin geltend gemacht. Zuletzt ist auf Antrag der SPD-Fraktion ein Gutachten erstellt worden. Dieses sollte klären, ob das Berliner Neutralitätsgesetz, welches Beamten das offene Tragen religiöser Symbole verbietet, mit den Vorgaben aus der zweiten Kopftuchentscheidung Anfang des Jahres des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist. Das Ergebnis war – wie zu erwarten – dass das Gesetz mit dem aktuellen Beschluss nicht konform ist. Eine pauschale Regelungsbefugnis hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Kopftuchurteil 2003 noch in das Ermessen der Länder gestellt. Nach aktueller Rechtsprechung soll hingegen jeweils im Einzelfall zu prüfen sein, ob durch das als verpflichtend empfundene religiöse Symbol die staatliche Neutralität oder der Schulfrieden gefährdet würden. Das Gutachten empfiehlt daher, das Berliner Neutralitätsgesetz lediglich um eine entsprechende Bestimmung zu ergänzen.
Der Berliner-Innenminister hatte jedoch einige Wochen zuvor erklärt, dass eine Änderung des Gesetzes nicht beabsichtigt sei und daher auch dem Berliner Senat kein neuer Gesetzesentwurf vorgelegt werde.
Die Frage warum beispielsweise das Land Berlin nicht den Beschluss des Verfassungsgerichts „umsetzt“ ist nicht einfach zu beantworten. Zunächst gibt es keine konkrete Frist und keine Handlungsvorgabe, welche den Bundesländern vorgegeben ist. Des Weiteren sagt das Gericht zwar, dass ein „pauschales Kopftuchverbot“ nicht verfassungskonform sei, erkennt aber auch Ausnahmen an. So dass sich Bundesländer, die diese Gesetze in diesem Bereich nicht ändern auf Ausnahmen berufen könnten bzw. diese bei einem Verfahren nachweisen müssen. Unter anderem haben Nordrhein-Westfalen, Bremen und Baden-Württemberg ihre Gesetze nicht geändert, sondern haben beschlossen mittels Verordnung (intern nur in der Verwaltung gültig) geregelt, dass das Kopftuch einer Lehrerin nicht mehr per se ein Einstellungshindernis sei.
Berlin hingegen hat sein Gesetz nicht geändert, mit der Begründung, man bräuchte keine Änderung. Eine juristische Begründung steht noch aus. Auch das von der SPD in Auftrag gestellte Gutachten besagte, dass das Gesetz in seiner aktuellen Fassung nicht verfassungsmäßig sei, weil keine Ausnahmen für Einzelfälle gemacht werden.
Das Berliner Modell wird der aktuellen Rechtslage nicht standhalten, es sei denn Berlin kann nachweisen, dass besondere grundlegende Konfliktlagen in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen vorliegen. Diese Begründung darf jedoch – so nach der aktuellen Entscheidung- nur für eine kurze Dauer sein. Die rechtspolitische Wirkung der Weigerung dürfte evident sein. Man steht wieder am Anfang und die Lehrkräfte in Berlin müssen wohl oder übel klagen.