Die einen möchten die Ereignisse beim Namen nennen: Wenn Muslime ein Verbrechen „im Namen des Islams“ begehen, sei das „Islamismus“. Die anderen wehren sich gegen den Generalverdacht: Gerade die Vermischung mit dem Islam sei falsch. Ali Mete gibt einen Überblick über die Diskussion.
Muslime durchleben wieder Tage des Erklärungszwangs. Ständig müssen sie erklären, dass Dschihad kein „heiliger Krieg“ und Islam nicht Terror ist. Dschihad ist für Muslime die stete Bemühung, Gottes Wohlwollen zu erlangen und „Islam ist Frieden“, so ein griffiger Slogan. Wenn es doch nur so einfach wäre!
Einer der Hauptgründe für die Erklärungsnot der Muslime ist die tägliche Verwendung dieser zentralen Begriffe – aber mit dezidiert negativer Konnotation. Mit dem neuen globalen Terrorismus sind die Kampfbegriffe „Islamismus“, „Salafismus“ und neuerdings „Dschihadismus“ in aller Munde. Ohne Weiteres werden sie von Wissenschaft, Politik und Medien verwendet. Noch schlimmer ist, dass sie auch von Muslimen – vom einfachen Moscheegänger bis zum Spitzenvertreter – leichtsinnig gebraucht werden. Im Grunde ist das nicht verwunderlich. Wenn Begriffe wie „Islamismus“ und Islam oft genug und lange Zeit miteinander vermischt werden, wird man den „Islamismus“ automatisch mit dem Islam assoziieren und auch dessen Bedeutungen übernehmen.[1] Ehe man sich versieht, ist ein Jahrzehnt vergangen, in dem islamische Gemeinschaften sich immer wieder gegen derlei gesellschaftlich destruktive Begriffe gewendet haben.
Für den Verfassungsschutz ist Islamismus eine „religiös motivierte Form des politischen Extremismus“. Besonders interessant für ihn sind Organisationen, die einer vermeintlich „legalistischen Strategie“ folgen, um „ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen“.[2] Ein islamisches, da schariakonformes, Leben ist also extremistisch!? Dieses Verständnis ist undifferenziert und fatal für die Partizipation der islamischen Gemeinde in Deutschland. Denn gerade die Gewährleistung der umfassenden Religionsausübung ist Ziel und Zweck einer jeden islamischen Gemeinschaft.[3] Man sieht also, dass der Begriff des „Islamismus“ kaum von der legitimen Arbeit islamischer Gemeinschaften unterschieden werden kann. Mit anderen Worten: Nach der Logik des Verfassungsschutzes sind alle islamischen Gemeinschaften „legalistische Islamisten“.
Nicht weniger problematisch ist die mediale und politische Verwendung von „Islamismus“. Vorab ist zu bemerken, dass es nach den jüngsten Pariser Anschlägen eine gewisse Bemühung um differenzierte Berichterstattung gab, die die Ereignisse beim Namen nannte: nämlich als Terror – wenn auch mit dem Zusatz „islamistisch“. Ein anderes Beispiel ist die Bezeichnung „IS“. Viele Medien sprechen vom „sogenannten IS“. Trotzdem wird hier einer terroristischen Organisation eine gewisse Staatlichkeit und Islamkonformität zuerkannt. In beiden Fällen ist das „Islamische/Islamistische“ wesentlicher Bestandteil der medialen Bezeichnung.
Die Wissenschaft indes interessiert sich in erster Linie für das Phänomen „Islamismus“. Es findet eine Verschiebung des Forschungsinteresses hin zur Ursachenforschung statt. Aber auch hier wird an Begriffen wie „Islamismus“ und neuerdings „Dschihadismus“ festgehalten. Exemplarisch für diese Entwicklung sei die Arbeit von Jürgen Manemann genannt. Der Titel seines Buches, „Der Dschihad und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg?“[4], lässt erahnen, wo Manemann die Ursachen der aktuellen Entwicklungen sieht. Allerdings wird auch in diesem Buch an dem Begriff „Dschihadismus“ festgehalten.
Das Hauptproblem aus muslimischer Perspektive ist, dass grundlegende Begriffe der Religion, ja der Name der Religion selbst, vollends in einen negativen Kontext gesetzt werden. Es wird zugelassen, dass Extremisten Begriffe vereinnahmen, was einer schleichenden Legitimation gleichkommt. Dies geschieht in einer derart pauschalisierenden Form, dass die bloße Ablehnung dieser Assoziation dazu geeignet ist, Misstrauen zu erwecken. Somit wird die ganze Gemeinschaft unter Verdacht gestellt. Kurz: Der Begriff des „Islamismus“ ist aus muslimischer Perspektive abzulehnen, da in ihm das Wort Islam vorkommt.
Dasselbe gilt für den Dschihad. Eine das muslimische Leben durchdringende Einstellung, die im Einsatz für Gerechtigkeit in der Gesellschaft mündet, sollte eigentlich begrüßt werden. Stattdessen wird ein Wort wie „Dschihadismus“ erfunden und damit der religiösen Referenz für gesellschaftliches Engagement von Muslimen der Boden entzogen.
Die Diskussion über diese Begriffe ist nicht neu, sondern wird auch innermuslimisch seit vielen Jahren geführt. Umso wichtiger ist es, dass endlich Alternativen gefunden werden. Zwei Dinge sind dabei besonders wichtig: Erstens müssen – so banal das klingt – die Probleme beim Namen genannt werden. Das Problem ist nicht der Islam, ja eigentlich ist es auch nicht der „Islamismus“, wenn er als selbstverständliche Bezugnahme auf die religiösen Referenzen verstanden wird. Das ist z. B. bei christlichen Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen oder bei christlichen Politikern der Fall. Beide haben einen religiös begründeten Auftrag oder zumindest verorten sie die religiöse Referenz für ihr Handeln im christlichen Glauben. Solange diese Handlung nicht grundgesetzwidrig ist, kann niemand belangt werden. Niemand wird auf die Idee kommen und diese Personen des „Christianismus“ bezichtigen, weil sie versuchen, ihren Anhängern und auch Andersgläubigen (!) Räume für ein „christliches“ Leben anzubieten.[5]
Zweitens müssen auf der Grundlage der Phänomene die Ursachen erforscht werden. Phänomene sollten nicht vorschnell benannt werden, ohne die Ursachen geklärt zu haben. Genau das wird beim „Islamismus“, später beim „Salafismus“ und nun beim „Dschihadismus“ gemacht. Ausgehend von den Äußerungen terroristischer Gruppen werden deren Selbstbezeichnungen leichtgläubig übernommen. Die Wirkung derartiger Begriffsverwendungen wird hier unterschätzt. Im Gegensatz dazu: Islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland versuchen seit vielen Jahren Politik und Medien dazu zu bewegen, sie als eben solche zu bezeichnen. Vergebens: noch immer sind sie im besten Fall muslimische Verbände und Vereine, nicht islamische Religionsgemeinschaften!
[1] Das zeigt schon die Sinus-Milieustudie „Diskriminierung im Alltag“ aus dem Jahre 2009. http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/ publikationen/zusammenfassung_Diskriminierung_im_Alltag_Sinusstudie.pdf?__blob=publicationFile; S. 6f.
[2] https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lI#islamismus (22.12.2015).
[3] siehe dazu die Satzungen bzw. Selbstdarstellungen der großen islamischen Religionsgemeinschaften DITIB (http://www.ditib.de/default1.php?id=5&sid=10&lang=de), Islamrat (http://islamrat.de/selbstdarstellung/), VIKZ: (http://www.vikz.de/info/satzung.pdf) und ZMD (http://zentralrat.de/2596.php).
[4] Jürgen Manemann, „Der Dschihad und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg?“, Bielefeld 2015, (Hervorhebungen von AM).
[5] Ähnliches gilt für das türkische Pendant „İslamcı“, das nicht unbedingt negativ verstanden wird. „İslamcılık” bezeichnet die Neuinterpretation von Theorie und Praxis islamischer Prinzipien in allen gesellschaftlichen Bereichen.