Seit einigen Tagen ziert Köln bundesweit die Schlagzeilen. Rund 1.000 „nordafrikanisch-arabisch“ aussehende Männer sollen in der Silvesternacht Frauen sexuell belästigt haben. Esra Lale schreibt über die absurden Folgen einer emotionsgeladenen Debatte.
Nach Polizeiangaben sollen sich am Silvesterabend rund um den Kölner Hauptbahnhof mehr als 1.000 junge Männer versammelt haben, berichtet der Kölner Stadtanzeiger. Frauen seien sexuell belästigt, bedrängt und ausgeraubt worden. Circa 90 Anzeigen seien bei der Polizei in Köln eingegangen und zwei Verdächtige von der Polizei festgenommen worden. Die momentane Beweislage reiche aber nicht aus, um eine direkte Verbindung zu den Vorfällen am Silvesterabend aufzustellen.
Trotz dieser dünnen Faktenlage, scheint man sich jedoch in einer Sache einig zu sein: die Männer sahen „nordfrikanisch- arabisch“ aus. Der Innenminister von NRW (SPD) Ralf Jäger sagte darauf hin:„Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen.“ Bei solchen Aussagen brauchte es dann auch nicht lange und schon wird das Täterbild um die Eigenschaften „islamisch“ und „muslimisch“ angereichert.
Die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) forderte beispielsweise per Twitter eine Auseinandersetzung mit „gewaltlegitimierenden
Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur“.
Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner erklärte auf focus.de, es sei „wohl evident“, dass die Übergriffe „von mutmaßlichen Tätern eines bestimmten Kulturkreises verübt wurden“ und fügt weiter hinzu: „Und wenn manche Männer es aus ihrem Heimatland auch anders gewohnt sind: In unserem Land sind Männer und Frauen gleichberechtigt und es gelten Persönlichkeitsrechte“.
Abgesehen davon, dass diese Aussagen nichts weiter tun als mehr Gewalt und Zwiespalt zu fördern, sind sie einfach nur rassistisch und gnadenlos pauschalisierend! Das Feindbild vom islamisch-arabischen Mann wird in bunten Facetten ausgemalt und legitimiert fortan fremdenfeindliche Ressentiments. „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“, wird die Antwort auf diese Zeilen sein. Aber dann darf man auch sagen, dass es an Absurdität gleicht von bisher fünf Verdächtigen auf den Migrationshintergrund von 1000 Männern zu schließen?
Außerdem darf und sollte gesagt werden, dass es mehr als bedenklich ist, dass man den kulturellen Hintergrund der Männer so zu Tage legt. Dass die Redseligkeit der Polizei sehr stark vom Fall abhängt, wurde bereits in einem vorherigen Beitrag kritisiert, doch dass es diesmal so einen großen Raum einnimmt und eine derart emotionale Debatte auslöst – und das wird man wohl noch sagen dürfen – ist rechtspopulistische Interessenvertretung par excellence.
Verwunderlich ist auch, wie scharfsinnig die Wahrnehmung bezüglich ausländisch-aussehender Männer zwischenzeitlich geworden ist. Es ist eine Art Running Gag, von dem Iraner, Tunesier, Marokkaner und überhaupt alle „Schwarzköpfe“ berichten, dass sie immer unter dem Sammelbergriff „Türken“ gefasst werden und man über Afrika so redet als wäre es ein Land und kein Kontinent mit 55 Staaten. Wie kommt es dann, dass man jetzt explizit von „nordafrikanisch-aussehend“ spricht?
Und überhaupt wie viele von den neunzig Anzeigen haben das ausdrücklich behauptet? Außerdem, was ist aus dem guten alten Konjunktiv geworden? Haben wir nicht gelernt, dass, wenn man sich nur auf die Aussagen von Zeugen stützt, nicht von vollendeten Tatsachen sprechen darf? Aber in dieser emotionsgeschwängerten Diskussion werden keine Fragen, sondern Forderungen gestellt. CSU-Politiker forderten beispielsweise konsequente Abschiebungen für straffällige Asylbewerber. Es müsse möglich sein, einen Migranten, „der etwa einem Frau sexuell nötigt und dafür verurteilt wird, sofort abzuschieben“, so der CSU-Rechtsexperte Hans-Peter Uhl in der „Huffington Post“.
Es wird bewusst ein klares Feindbild konstruiert, als wolle man den Argumenten der Pegidaner und Rechtspopulisten eine mentale Hetzstütze verleihen. Die Angstblase vor dem muslimisch-aussehenden Mann wird immer weiter aufgebläht. Die Religionspädagogin Lamya Kaddor nennt diese „reflexartige“ Diskussion „beängstigend“ und es ist sogar mehr als das, es ist gefährlich und unnötig. Die Grenzen des Rechtspopulismus weiten sich immer mehr aus und rassistische Äußerungen werden marginalisiert. Die Zahlen über rechtsextreme Übergriffe im Jahr 2015 sind alarmierend und trotzdem -oder genau deshalb- wird gnadenlos mit dem braunen Gedankengut der besorgten Bürger geliebäugelt.
Dass man diese scheußlichen und frauenverachtenden Übergriffe verurteilen und anprangern muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Als Kölnerin für mich außerdem noch zusätzlich sehr enttäuschend, doch statt sich in der Emotionalität der Diskussion zu verlieren und sich an den gelieferten Stereotypen entlang zu hangeln, um das eigene politische Begehren voranzutreiben, sollte man auf Fairness und Sachlichkeit setzen. Die Debatte weg von Migrationshintergründen, hin zur eigentlichen Problematik lenken. Denn ja, es gibt ein ernstzunehmendes Problem in Deutschland, das sind jedoch nicht die „Nordafrikaner“ sondern die ansteigenden sexistischen und rassistischen Tendenzen innerhalb der gesellschaftlichen Mitte.
Doch die „Wertedebatte“ zwischen der fremden „muslimischen Kultur“ und den „abendländisch-christlichen Werten“ läuft weiterhin auf Hochtouren. Fragen wie: „Wie können WIR unsere Werte verteidigen und wie den Migranten beibringen?“ werden gestellt. Dass dies schwer zu bewältigen ist, zeigt die Tatsache, dass das WIR auch vieles nicht verstanden hat. Denn dann wären die Grundlagen des deutschen Grundgesetzes bekannt, und zwar, dass kein Mensch, unabhängig von seinem Aussehen, seiner Religion und seiner Herkunft benachteiligt werden darf.