Eine Berliner Selbsthilfegruppe von muslimischen Männern verurteilt die Übergriffe in Köln und ruft alle Berliner zu einer Demonstration am Samstag auf.
Sedat trägt einen Bart zum rotkarierten Hemd und hat eine schwarze Mütze tief über die Ohren gezogen. Ab und zu wird an seinem Hals über dem Hemdkragen eine Tätowierung sichtbar. Es ist voll in dem kleinen Raum des Berliner Vereins „Aufbruch Neukölln e.V.“, der in einer dunklen Seitenstraße des berüchtigten Problembezirks Neukölln liegt. Dicht gedrängt sitzen 16 Männer, zwischen Mitte 30 und Mitte 60 und mit türkischen Migrationshintergrund. Ihre Gesichter sind ernst, sie hören zu.
Kazim Erdogan spricht. Der Berliner Psychologe leitet die Selbsthilfegruppe muslimischer Männer, die sich einmal wöchentlich trifft, um über Toleranz, gewaltfreie Erziehung, die Rolle der Frau und Sexualität zu sprechen. Manche haben Probleme in ihrer Ehe, manche sind einfach so dabei. Vor allem die älteren Männer kommen, weil sie der Meinung sind, ihre Kinder falsch erzogen zu haben, sagt Integrationsexperte Erdogan. Dafür wollten sie jetzt bei den Enkeln alles richtig machen.
Die sexuellen Übergriffe von nordafrikanisch und arabisch aussehenden Männern auf Frauen in der Silvesternacht – die Männer in der Selbsthilfegruppe sind erschüttert darüber. „Das Ganze ist widerlich. Ich schäme mich so. Das wirft uns 20 Jahre in der Integration zurück“, sagt der weißhaarige Hasan, der in den 70er Jahren nach Deutschland kam. Der 66-jährige hat Tränen in den Augen. „Ich verstehe es auch nicht: Niemand beißt die Hand, die einen rettet. Das macht doch noch nicht einmal ein Tier.“ Der 39-jährige Yilmaz sagt: „Ich glaube, die dachten einfach: Die Frau lächelt mich an, die will das.“
Ein anderer Mann mittleren Alters, der Tee hereinbringt, zeigt deutlich seine Wut. Er ruft laut: „Die hassen alle Christen, die hassen alle Europäer. Frauen so zu behandeln – das sind Terroristen, die kämpfen hier auf diese Art.“
Murat, schwarze Lederjacke, heller Schal, nippt an seinem Tee. Auch er ist entsetzt, bleibt aber sachlich. Ihn interessieren vor allem die Ursachen der Attacken. „Man muss diesen Leuten zuhören und mit ihnen reden“, sagt er. „Auch ich habe erst hier im Kurs den richtigen Umgang mit Sexualität gelernt“, gibt er zu. Er kam, weil seine Frau ihn schickte. Und der tätowierte Sedat sagt: „Diese Männer haben gelernt, dass Frauen ihre Sklaven sind. Das hat aber nichts mit Religion zu tun, sondern mit dem kulturellen Hintergrund von arabischen Männern.“ Andere nicken: Türken seien ihres Wissens nicht unter den Tätern gewesen. Und: Der Koran erlaube so ein Verhalten auch nicht.
Kazim Erdogan, der 2007 die bundesweit erste türkische Männergruppe gründete, sieht es ein wenig anders. „Drei Dinge kamen bei diesen Männern zusammen: falsch verstandene Religion. Fehlende Erziehung und Bildung. Und ein falsch verstandener Ehrbegriff.“ Er sehe doch ständig, was für Sprüche muslimische Männer über Frauen machten – darunter auch Türken. „Das liegt auch daran, dass Sexualität in muslimischen Ländern oft tabuisiert wird. Man kann aber kein Thema tabuisieren, das den Menschen ständig beschäftigt“, sagt Erdogan, der 1953 in der Türkei geboren ist und zum Studium nach Deutschland kam. „Irgendwann kommt es dann zu Knall.“
Aufklärung und Bildung – das ist das einzige, was helfen könnte, glaubt der Soziologe, dessen Eltern Analphabeten waren. Von reinen Anti-Gewalt-Kursen für Flüchtlinge, wie sie etwa in Norwegen üblich sind, rät er dagegen ab. „Das ist stigmatisierend und verschreckt die Männer eher. Es muss eher eine Art Lebenskurs angeboten werden, der die demokratischen Werte vermittelt – und eben auch das Verhältnis zur Gewalt neu definiert.“
Die Männergruppe organisiert jetzt aus Solidarität mit den Frauen selbst eine Demonstration gegen die Gewaltexzesse: Am Samstag, 14 Uhr, Treffpunkt Hermannplatz. Alle Berliner sind eingeladen. (KNA/iQ)