Muslimische Männer

Was denken sie über die Kölner Silvesternacht?

Die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht entfachten eine Debatte über den „nordafrikanischen“, „arabischen“ und „muslimischen “ Mann. IslamiQ befragte fünf solche Männer und lässt sie selbst zu Wort kommen.

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2016

Die Kölner Silvesternacht liegt schon fast vier Wochen zurück – und ist immer noch in aller Munde. Das Jahr 2016 sollte der Domstadt keinen „guten Rutsch“ bescheren, vor allem nicht den Frauen, die sich am Hauptbahnhof befanden. Unzählige Frauen wurden belästigt, was zurecht zu einem Aufschrei in der deutschen Medienlandschaft führte.

Doch man redete nicht über die sexuelle Gewalt an Frauen und versucht Lösungsansätze zu finden. Vielmehr wurde über den „arabischen“, „nordafrikanischen“ und „muslimischen“ Mann gesprochen. Es wurde über „Männerbilder des Korans“ geschrieben und gefragt: „Was haben die Vorfälle in Köln mit dem Islam zu tun?“ oder „Wer ist der arabische Mann?“ Ja, wer sind die Männer, die die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder mit der Forderung nach „einer Auseinandersetzung mit gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischen Kulturen“ in einen Topf wirft? Wir haben sie gefunden. Jetzt reden sie.

 

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Younes Al-Amayra ist Poetry Slammer und Youtuber und lebt in Berlin. Al-Amayra ist der Meinung, dass Deutschland zwar zu wichtigen Themen debattiert, „aber mit den falschen Fragen und falschen Schlussfolgerungen.“ Dass die Flüchtlingsdebatte eine Ernüchterung erfahren würde, sei absehbar gewesen. Aber „wenn wir über sexuelle Übergriffe sprechen wollen, dann nicht auf dem Rücken von Geflüchteten, sondern mit jenen, die es betrifft – die gesamte Gesellschaft!“, fügt der 30-Jährige hinzu. Der studierte Islamwissenschaftler und Sohn eines Palästinensers und einer Syrerin nimmt die Forderung der ehemaligen Familienministerin mit Humor: „Wenn Frau Schröder könnte, so würde Sie wahrscheinlich dem muslimischen Mann aufgrund seines ‚erhitzten Gemüts’ auch die Schuld an den 14 Grad zu Weihnachten 2015 geben.“

 

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Selçuk Çiçek ist 1988 in Hannover geboren und in Peine aufgewachsen. Studiert hat er Politik- und Geisteswissenschaften. Der Sohn türkischer Gastarbeiter kritisiert vor allem die Verbreitung „unvollständiger Informationen innerhalb kürzester Zeit“. Dass diese Informationen zu politischen Forderungen gegen eine „gesamte Gruppe von Menschen gleicher Herkunft, bzw. Angehörige bestimmter Religionen“ gerichtet sind, bewertet er als besonders gefährlich. Die Aussage der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder stuft Çiçek als „Gift für die Atmosphäre im Land“ ein. Der Politikwissenschaftler, der außerdem Leiter der Studierendenabteilung der IGMG ist, fügt abschließend hinzu: „Der gesamtgesellschaftliche Friede sollte stets höchste Priorität haben und jede/r Politiker/in sollte dazu ermahnt werden, diesen Wert in all ihren Worten und Taten stets im Blick zu behalten.“

 

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Redouan Nauoder ist der Sohn marokkanischer Einwanderer und in Düsseldorf geboren. Der 34-Jährige Mediendesigner findet zwar, dass die Debatte um die Kölner Silvesternacht wichtige Fragen beinhaltet, wie „Kriminalität, Sexismus und Alkoholmissbrauch“. Diese Fragen würden jedoch „durch schrille Töne, Populismus, Schuldzuweisungen und Frontenbildung sehr unsachlich diskutiert.“ Der Aktivist, der ebenfalls Gründungsmitglied von „Hima e. V.“, einem Umweltschutzverein mit islamischer Perspektive ist, findet vor allem, dass die Unterscheidungslinie zwischen schlecht und gut „nicht zwischen Religionen und Kulturen, sondern zwischen hasserfüllten-kriminellen Menschen und Menschen mit Liebe und Empathie für alle anderen in ihren Herzen“ verläuft.

 

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Yusuf Şimşek studiert an der Ruhr-Universität Bochum Islamwissenschaften/Orientalistik und Religionswissenschaften. Der Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund findet den Verlauf, den die Debatte genommen hat, bedenklich: „Anstatt über Gewalt an Frauen zu sprechen, wurde das ganze so instrumentalisiert, dass wir nun über Gewalt in Kultur X in Religion Y sprechen.“ Der 27-Jährige kritisiert ebenfalls die Aussage der ehemaligen Familienministerin Schröder und führt an, dass es keine „muslimische Kultur“ gebe. „Es gibt die Religion Islam und es gibt Muslime, welche dieser Religion zugehörig sind, aber bestehend aus verschiedenen Nationen und Kulturen.“ Şimşek ist außerdem der Meinung, dass sexuelle Gewalt an Frauen kein importiertes Phänomen ist, denn „alleine in den letzten 5 Jahren wurden über 38.400 Fällen von Vergewaltigungen mit 5 Todesfällen In Deutschland aufgenommen, von denen das meiste im Jahre 2013 registriert wurde. Zu einer Zeit in der Frau Kristina Schröder noch Familienministerin war. Welche Maßnahmen wurden damals von Frau Schröder unternommen?“

 

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Ahmed Abdulwahid ist der Sohn eines Arabers aus dem Irak und einer Türkin. Er lebt in Duisburg. Der Student der Elektro-& Informationstechnik findet die Geschehnisse der Kölner Silvesternacht beängstigend und die Diskussion darüber „notwendig“. Doch die Debatte fasst er zusammen mit den Worten: „Sexismus trifft auf Rassismus“ und erklärt weiter „diese undifferenzierte populistische Art hilft natürlich rechtsradikalen Gruppen im Kontext der Flüchtlingsthematik – aber nicht den Frauen. Ein Schwimmbad, das allen männlichen Flüchtlingen den Eintritt verbietet, statt individuell Hausverbot zu erteilen, zeigt wie weit es gehen kann.“ Abdulwahid ist außerdem bundesweiter Berater muslimischer Hochschulgruppen beim Rat der muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) und wünscht sich für die Zukunft, dass man sich stärker mit Gewalt gegenüber Frauen beschäftigt. „Machokulturen müssen aufgebrochen werden und das sexistische Bild der Frau in Medien, Beruf und Alltag gehören verändert.“ Der 26-Jährige fügt abschließend hinzu: „Es ist kein muslimisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das uns alle betrifft.“

Leserkommentare

Mattes sagt:
@Ahmed Deine Aussage ist das bekannte Augen/Ohren zu Verhaltensmuster "Es kann nicht sein was nicht sein darf". Funktioniert aber nur in Gesellschaften die gleichgeschaltet sind und die Individuen nicht selbstständig denken (können). Also z.B. in Nazi DE oder Sowjetunion oder Nordkorea. Wie aber schaffst Du das heute hier ?
04.02.16
18:37
Muna sagt:
Bezeichnen wir einheimische Diebe, Dealer, Zuhälter, Mörder usw. als Christen? Bitte Kirchen kümmert euch darum? Der Geburtsort oder die Religion der Umgebung wird doch in diesen Fällen nicht verantwortlich gemacht, und das ist meiner Meinung auch gut so. Die Ursachen liegen doch ganz wo anders.
05.02.16
15:57
grege sagt:
@Ahmed nach der Logik haben die Kreuzzüge nichts mit dem Christentum zu tun, ebenso wenig wie der Stalinismus nichts mit dem reinen Kommunismus gemäß der Lehre von Marx und Engels. Leider bestimmt sich eine Weltanschauung eben nicht nur durch die reine Lehre in einem schlauen Buch, sondern auch durch ihre realen Ausprägungen im Hier und Jetzt. Sie übernehmen hier 1 zu 1 das typisch abstreitende Verhalten der Islamverbände, der natürlich für begründeten Argwohn unter der nichtmuslimischen Mehrheitsbevölkerung sorgt.
05.02.16
18:23
Charley sagt:
Das Ganze hängt doch an der Frage, ob ein Katalog von Ideen, wie es im Islam/Koran/Sunna sehr wohl vorliegt, in der Summe nicht eine gewisse Gesinnung hervor bringt. Da könnte man sehr weit gehen! Auch insofern, als dass zu prüfen wäre, warum gewisse "traditionelle" Werte, die gern der vorislamischen Kultur zugesprochen werden (Beschneidung der Frauen usw.) gerade in islamischen Gesellschaften sich so gut erhalten konnten! Und um "Gesinnung" geht es auch bei dem arabischen Stolz und Macho-Verhalten! Ob die ausschließlich (!) sozio-ökonomisch her zu leiten ist unter Ausschluss (!) religiöser Bedingungen, wäre erst einmal zu beweisen! (Ansonsten, wieso "schämen" sich Moslems für das Verhalten von moslemischen Männern, wenn es doch gar nichts mit dem Islam zu tun hat?)
06.02.16
15:23
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