NourEnergy ist ein Umweltschutzverein mit islamischer Perspektive. Dass Umweltschutz auch den interreligiösen Dialog fördern kann, erklärt Tanju Doğanay, einer der Vereinsinitiatoren im Interview mit IslamiQ.
IslamiQ: Wie kam es zu der Idee von NourEnergy? Und welche Ziele verfolgt euer Verein?
Tanju Doğanay: Im Frühjahr 2010 haben sechs junge Muslime aus Darmstadt ein Team gebildet, um dort die Emir-Sultan Moschee für den Bau einer Photovoltaikanlage zu beraten. Schon während des Studiums des Wirtschaftsingenieurwesens (Schwerpunkt Energietechnik) entwickelten zwei Freunde und ich eine Leidenschaft für Erneuerbare Energieanlagen. Also für technische Anlagen, die natürlich vorkommende Energien, wie Sonnenstrahlen oder Wind, sinnvoll nutzen. Es geht darum, die uns von gottgegebenen Ressourcen maßvoll zu nutzen. Dieser Ansatz ist ein tief verwurzeltes Prinzip im Islam, welches NourEnergy auch verfolgt und sich anstrengt, dieses Prinzip in die Tat umzusetzen.
NourEnergy möchte zum aktiv dazu betragen die Umwelt zu schützen und die Gesellschaft für die Ökologie und für die menschliche Abhängigkeit von der Ökologie zu sensibilisieren. Des Weiteren erhalten gerade junge Muslime in Deutschland die Chance, sich in ihren Fähigkeiten fortzubilden und an sozialrelevanten Themen zu beteiligen, um daraus einen Mehrwert für die Gesellschaft zu generieren.
IslamiQ: Richtet sich euer Angebot nur an muslimische Institutionen?
Doğanay: Unsere Arbeit richtet sich an alle Organisationen und gemeinnützige Einrichtungen, die in der deutschen Gesellschaft einen Mehrwert erbringen möchten. Wir leisten vor allem in Form von Vorträgen oder Sensibilisierung-Workshops Aufklärungsarbeit.
IslamiQ: Worin seht ihr den Zusammenhang zwischen dem Islam und Umweltschutz?
Doğanay: Islam bedeutet unter anderem Hingabe an Gott, den Schöpfer des Universums. Gott hat dem Menschen die Rolle des Statthalters auf der Erde gegeben. Wir Menschen haben die freie Entscheidung wie wir die Ressourcen auf der Erde verwalten. Nach islamischer Sicht wird jede Seele einmal für ihre Handlungen Rechenschaft ablegen. Daher ist es ratsam, wenn sich der Mensch dieser großen Verantwortung stellt und bewusst reflektiert.
Der Koran und die Sunna lehren uns, dass der Mensch, wie ein kurzfristig Reisender auf der Erde, die Ressourcen besitzt und treuhänderisch (arab. amanah) verwaltet, doch der absolute Eigentümer sämtlicher Güter ist Allah. Die Treuhand hat im Islam einen enorm hohen Stellenwert.
IslamiQ: Wie bewusst und reflektiert gehen Muslime und muslimische Organisationen mit dem Thema Umweltschutz um?
Doğanay: Gemäß unserer Erfahrung aus den letzten sechs Jahren nimmt Umweltschutzschutz in der Arbeit von Muslimen häufig noch eine eher untergeordnete Rolle ein. NourEnergy möchte diese Lücke schließen, indem zum einen selbst diese Rolle angenommen und den Organisationen als Dienstleistung angeboten wird. Zum anderen fokussiert sich NourEnergy auf intensive Sensibilisierungsarbeit, beispielsweise durch Vorträge oder Workshops für Kinder und Jugendliche, um Multiplikatoren zu gewinnen. Darum haben wir zu unserem Vereinsjubiläum auch eine ganze Fachtagung unter dem Titel „Muslime – Aktiv für Natur und Gesellschaft“ veranstaltet. Mit fünf Hauptvorträgen, verschiedenen Projektvorstellungen und einer Podiumsdiskussion wurden die Schwerpunkte Umweltschutz und Nachhaltigkeit ausführlich beleuchtet. Hochkarätige Referenten, Teilnehmer und Gäste aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland waren dafür im Oktober letzten Jahres nach Darmstadt gereist. Besonders diese Tagung hat uns gezeigt, dass Muslime in Deutschland für diese Themen durchaus schnell zu begeistern sind und große Bereitschaft zeigen selbst aktiv zu werden. Mittlerweile können wir uns zudem mit einigen anderen vorbildlichen muslimischen Vereinen und Projekten vernetzen, die sich intensiv für den Naturschutz einsetzen.
IslamiQ: Wie ist denn die öffentliche Wahrnehmung von Islam und Umweltschutz?
Doğanay: Es gibt ganz unterschiedliche Menschen und gesellschaftliche Initiativen, die unsere Arbeit schätzen und unterstützen. Dazu könnte ich viele positive Beispiele aufzählen. Etwa die Robert Bosch Stiftung, die einen schönen Imagefilm produziert hat, warum sie muslimische Vereine wie NourEnergy fördert. Oder die vielen kirchlichen Veranstalter, die uns kontaktieren und zu Vorträgen einladen. Zum UN-Klimagipfel 2015 wurde im Auftrag des Auswärtigen Amtes ein Porträt über NourEnergy produziert, das auf deutschland.de und auf YouTube veröffentlicht wurde – übersetzt in viele Sprachen.
Dann gibt es aber auch immer mal wieder Berichte im Internet oder in der Zeitung zum Thema „Islam und den Umweltschutz“ die mir das Gefühl geben, dass oberflächlich recherchiert wurde. Es wird manchmal so dargestellt, als hätte der Islam selbst und die Muslime bis heute kaum einen Bezug zu Ökologie. Als seien die heutigen Anstrengungen von Muslimen eine moderne Erscheinung. Wer das Thema jedoch ernsthaft und gewissenhaft recherchiert, wird feststellen, dass die Muslime in der Geschichte eine Vielzahl großer (wissenschaftlicher) Arbeiten und Werke entwickelt haben – auch zum Thema Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit.
IslamiQ: Welche wären das?
Doğanay: Als Beispiel können folgende Leistungen genannt werden: „Ursachen von tödlichen Giftstoffen – genannt Epidemien“ al-Kindi (ca. 873 n. Chr.), „Überlebensmaterial über die Behandlung von Luftverderb und das Vermeiden von Schaden infolge von Seuchen“ al-Tamimi (ca. 1000 n. Chr., 700 Seiten) und „Die Natur von Alexandria“ Ibn Jumay’ (ca. 1198 n. Chr.). Die Literatur darüber findet noch heute Anklang in der Forschung und zeigt sehr gut, wie sich Menschen bereits vor über tausend Jahren mit den Wechselwirkungen von Umwelt und Gesundheit intensiv befasst haben.
Der Prophet Mohammed hat durch die Botschaft des Islams einen Samen für eine auf Wissen basierte Zivilisation gesät, der auch die nachfolgenden Generationen motivierte, die weltlichen Zusammenhänge ganzheitlich zu verstehen und wissenschaftlich zu vermitteln.
IslamiQ: Auf eurer Website heißt es, ihr möchtet den interreligiösen Dialog fördern. Was bedeutet das konkret?
Doğanay: Die Umwelt ist die Umwelt von allen Menschen. Wir leben alle auf derselben Erde, unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit. Das Judentum, das Christentum und der Islam messen dem Thema Umweltschutz gleichermaßen einen hohen Stellenwert bei. Dies ist also ein wichtiges Handlungsfeld. Darauf aufbauend kann man die Gemeinsamkeiten aufgreifen und kooperativ miteinander arbeiten. Den interreligiösen Dialog führen wir insbesondere durch Vortragsreihen, wie z.B. bei der Evangelischen Akademie in Arnoldshain oder in Loccum. Auch auf unserer Jubiläumsfeier beteiligten sich Nicht-Muslime – sowohl als Referenten und Gäste – zudem nahm der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau als Teilnehmer der Gesprächsrunde „Umweltschutz interreligiös“ teil.
Zur Zeit produzieren wir eine Broschüre, die wir in einer interreligiösen Fassung herausgeben möchten und es laufen Vorgespräche mit Kirchenvertretern zu einer gemeinsamen Veranstaltung. Bei der Begegnung stellen beide Seiten immer wieder fest: Wir können gegenseitig viel voneinander lernen und in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz effektiv zusammenarbeiten.
IslamiQ: Wie kann man aktiv werden und sich bei NourEnergy engagieren?
Doğanay: Bei Interesse könnt ihr uns einfach eine Mail senden. Jeder Mensch hat von Allah eine besondere Fähigkeit erhalten, die es gilt im Team zielgerichtet zu bündeln. Genau das machen wir bei NourEnergy. Gerade auch Nicht-Ingenieure sind wichtige Teammitglieder, die ihre Stärken einbringen. Zur Zeit sind wir zum Beispiel dringend auf der Suche nach jemanden der oder die professionell im Bereich Grafik arbeiten kann. Die einzigen Anforderungen sind zuverlässiges und im Allgemeinen professionelles Arbeiten. Wir wissen: Kein Meister ist vom Himmel gefallen. Wir lernen voneinander. Das wird uns auch beruflich weiterbringen.