Viele Muslime kritisieren seit den Vorfällen in der Silvesternacht zunehmend unter Generalverdacht gestellt zu werden. Im Interview plädiert Bischöfin Petra Bosse-Huber dafür, islamfeindlichen Klischees und antimuslimischen Stereotypen deutlich zu widersprechen.
IslamiQ: Wie bewerten Sie die mediale, politische und zivilgesellschaftliche Reaktion auf die Kölner Silvesternacht?
Petra Bosse-Huber: Die zahlreichen und anhaltenden Reaktionen auf die massenhaften sexuellen Übergriffe auf Frauen am Kölner Dom haben zunächst ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erzeugt. Selbstverständlich sind diese Vorfälle entschieden zu verurteilen. Im Laufe der Debatte haben sich dann unterschiedliche Themen daran angeknüpft: Der Umgang mit sexueller Gewalt nicht nur gegen Frauen und eine Verschärfung des Sexualstrafrechts wurde ebenso diskutiert wie der angemessene Umgang mit den Tätern oder eine potentielle Überforderung der Polizeikräfte. Schließlich wurde auch die Integrationsfähigkeit nordafrikanischer oder muslimischer Jugendlicher und junger Männer thematisiert und nach Ausweisungsmöglichkeiten gegenüber straffällig gewordenen Flüchtlingen, Asylbewerbern und Zuwanderern gefragt. Eine abschließende Bewertung dieser Debatten, die ja noch im Gange sind, ist aus meiner Sicht noch nicht möglich.
IslamiQ: Muslimische Vertreter und islamische Religionsgemeinschaften verurteilten die Übergriffe auf Frauen aufs Äußerste. Fanden Ihre Stimmen Gehör in den Medien und in der Gesellschaft?
Bosse-Huber: Ich halte es für sehr wichtig, dass sich auch die islamischen Verbände und Religionsgemeinschaften zu Wort melden, wenn Regeln des friedlichen und respektvollen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft in eklatanter Weise verletzt werden. Das gilt nicht nur für das gleichberechtigte Miteinander zwischen Männern und Frauen, sondern auch für die Begegnungen zwischen den Religionen oder zwischen Zuwanderern und Einheimischen. Ich würde mir wünschen, dass hier noch weitere Fortschritte erzielt werden.
IslamiQ: Der christlich-muslimische Dialog wird durch solche Ereignisse auf die Probe gestellt. Wie wirken sich solche Krisen auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen aus?
Bosse-Huber: Es ist meines Erachtens entscheidend, deutlich zu machen, dass der Schutz der offenen und pluralen Gesellschaft ein Wert ist, den Musliminnen und Muslime sowie Christinnen und Christen gleichermaßen teilen können. Der christlich-islamische Dialog leistet schon jetzt einen wichtigen Beitrag dazu, dass vorhandene Polarisierungstendenzen eingedämmt und gesellschaftliche Ausgrenzungen überwunden werden.
IslamiQ: Viele Muslime kritisieren seit Silvester zunehmend stigmatisiert und unter Generalverdacht gestellt zu werden. Sollte im Kontext der Übergriffe Ihrer Meinung nach auch eine Rassismus-Debatte geführt werden?
Bosse-Huber: Zahlreiche Studien belegen, dass eine islamskeptische Sicht in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet ist. Darunter leiden auch und zuerst Musliminnen und Muslime. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus sind Themen, die in unserer Gesellschaft immer wieder zur Sprache kommen müssen, weil keine Generation und auch keine Religion ein für allemal dagegen gefeit ist. Islamfeindlichkeit und Islamophobie sind ebenfalls Ausdruck von gruppenbezogener Diskriminierung. Wenn in der öffentlichen Debatte – ob nach Köln oder andernorts – islamfeindliche Klischees und antimuslimische Stereotype verbreitet werden, dann ist dem sehr deutlich zu widersprechen.
IslamiQ: Wie wirkt sich diese Diskussion auf die Flüchtlingsdebatte in Deutschland aus? Begünstigt die mediale Berichterstattung die zunehmende rechte Hetze gegenüber Muslimen und Flüchtlingen?
Bosse-Huber: Sicherlich haben die Medien eine Verantwortung durch den Einfluss, den sie auf die öffentliche Wahrnehmung und Aufmerksamkeit haben. Die „Hetze“ geschieht aber meines Erachtens eher in bestimmten Internetforen und Blogs, die zum Teil immer unverhohlener versuchen, nationalistisches und menschenverachtendes Gedankengut salonfähig zu machen. Die Evangelische Kirche in Deutschland ist an dieser Stelle sehr eindeutig positioniert. Die von Gott verliehene Würde des Menschen darf nicht zur Disposition gestellt werden.