Interview

Dialog stärkt die religiöse Identität

Ist interreligiöser Dialog eine „Verwässerung“ der eigenen Religion oder eine Selbstverständlichkeit? Und wie steht es um den Dialog zwischen Sunniten, Schiiten, Aleviten und Ahmadiyya? Diese Fragen beantwortet die Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Gritt Klinkhammer im Interview.

20
02
2016
Im Gespräch mit Prof. Gritt Klinkhammer.

IslamiQ: Zwischen Muslimen, Christen und Juden bestehen viele gemeinsame Projekte. Werden diese von den Beteiligten als Bereicherung oder eher als Gefahr für die eigene Religiosität wahrgenommen?

Prof. Gritt Klinkhammer: Die Dialogos-Studie von 2011 hat zeigen können, dass die Mehrheit der Dialogaktiven diese als Bereicherung empfindet, und zwar auf christlicher, muslimischer und jüdischer Seite. Das heißt natürlich nicht, dass sie keine Kritik hätten. In einem laufenden Forschungsprojekt fragen wir aktuell danach, ob Dialog zur Öffnung, oder negativ ausgedrückt Verwässerung der eigenen Religiosität führt. Die Mehrheit der Befragten sieht Dialog durchaus als Bewusstwerdung bzw. Stärkung der eigenen Religiosität. Generell kann man sagen: Diejenigen, die im interreligiösen Dialog aktiv sind, sind stark in ihrer Religion verankert.

IslamiQ: Worum geht es in den Dialoginitiativen? Theologie oder praktische Arbeit?

Klinkhammer: Wenn man die Dialoge genauer untersucht, sieht man, dass sich im Rahmen der Gespräche eigene Themen ergeben. Dazu gehören auch theologische Frage, wie z. B.: Wie kann man gemeinsam beten? Diese Frage stellt sich erst, wenn man zusammenkommt. Andere Themen, die gemeinsam projektartig angegangen werden, sind z. B. Monotheimus oder Schöpfung. Dies sind übergeordnete Themen, wobei man sich aus christlicher Perspektive auf den Schöpfergott bezieht, was dann etwa von evangelikaler Seite kritisiert wird, weil man sich nicht auf Jesus Christus beziehe. Von muslimischer Seite kommt oft die Kritik, dass durch Offenbarung des Propheten die Bibel weitgehend überholt sei. Hieran kann man sehen, dass Dialoge vielschichtig sind. Man muss über beides reden, Theologie und Praxis, um einen gangbaren Weg zu finden.

IslamiQ: Kooperationen bestehen auch zwischen muslimischen Gemeinschaften bzw. Organisationen, die sich „islamisch“ nennen. So zwischen Sunniten und Schiiten, Aleviten oder Ahmadiyya. Welche Herausforderungen bringt die Zusammenarbeit zwischen diesen Gruppen mit sich?

Klinkhammer: Die Herausforderungen sind genauso groß, weil die verschiedenen muslimischen Gruppen auch hier theologisch argumentieren können, ihre Sicht der Dinge sei die abschließende und richtige. Eine mögliche Form der Zusammenarbeit habe ich in Niedersachsen gesehen, vor allem zwischen schiitischen, sunnitischen und sufistischen Gruppen. Dabei wurde deutlich, dass die Zusammenarbeit möglich ist. Wichtig ist aber die Frage: wofür überhaupt zusammenarbeiten? Der christlich-islamische Dialog lebt davon, dass es um etwas Konkretes geht. Es geht nicht nur um Theologie. Auf Praktisches kann man hinarbeiten. Die funktionierenden Dialoge zwischen muslimischen Gruppen, z. B. im Rahmen der Schura Hamburg oder der Schura Niedersachsen, sind jene, die ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, wie etwa Religionsunterricht, Seelsorge usw.

IslamiQ: Mit der Migration ist ein neuer Kontext entstanden: Wo in den Heimatländern noch vermeintliche „Konfessionskriege“ bestanden, sitzen in Europa die Religionsgemeinschaften gemeinsam an einem Tisch. Wieso ist das so?

Klinkhammer: Ob das so ist, kann angezweifelt werden. Die Herausforderung besteht darin, die Konflikte in den Herkunftsländern, etwa Iran oder Türkei, nicht herüberschwappen zu lassen, sondern die Situation hier als Grundlage zu nehmen. Es hängt viel davon ab, inwieweit man diese Kontextverschiebung durchführen kann. Angesichts der Globalisierung ist das natürlich sehr schwierig. Gerade weil auf der internationalen Bühne soviel passiert, ist es kaum möglich, abzuschätzen, ob das gelingen wird.

IslamiQ: Oft hört man die Forderung nach einer einheitlichen muslimischen Vertretung.

Klinkhammer: Es wäre klug, wenn sich die islamischen Gemeinschaften einem gewissen Grad der innermuslimischen Zusammenarbeit nicht verschließen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Das passiert etwa in Hessen, wenn alle Gemeinschaften als Muslime betrachtet werden, aber nur einigen wenigen die Körperschaft verliehen wird. Eine andere Frage ist, inwieweit man einen Dialog „erzwingen“ kann. Findet man, dass die Ahmadiyya und die IGMG zusammen einen Religionsunterricht haben müssen? Die Handhabung hängt aber auch von dem jeweiligen Bundesland ab. In Stadtstaaten wie Hamburg oder Bremen alles voneinander zu trennen, ist schwierig.

IslamiQ: Die eigene Identität wird durch Abgrenzung zum „Anderen“ definiert. Welchen Einfluss hat dies auf das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft? Welche Rolle spielt es dabei, ob das Gegenüber Christ bzw. Jude ist oder etwa den Schiiten, Aleviten oder der Ahmadi angehört?

Klinkhammer: Was man sieht, ist, dass die Fronten in den christlich-islamischen Dialoggruppen nicht einfach zwischen Muslimen und Christen verlaufen. Je nachdem, welche protestantischen, evangelikalen oder liberale Teilnehmer aufeinandertreffen, kann es schnell zu Meinungsverschiedenheiten kommen, die manche Koalitionen zwischen Muslimen und Christen dann auf den Plan rufen, wenn sie z. B. bekennen, dass sie den gleichen Gott meinen. Etwas ähnliches kann passieren, wenn Muslime verschiedenen Bekenntnisses und verschiedener kultureller Herkunft an einem Tisch sitzen.

Wenn Schiiten und Sunniten oder Aleviten und Sunniten sich zusammensetzen, kommt öfters die Politik des Iran/Irak bzw. der Türkei auf die Tagesordnung. Dabei geht es nicht genuin um Religion bzw. um das Muslimsein. Diesen Vorwurf hört man sehr selten. Es geht eher um politische Auseinandersetzung aus den Herkunfstländern, weshalb die Diskussionen ganz anders verlaufen.

IslamiQ: Die hitzigen Diskussionen um den Islam und die Muslime in Deutschland halten an. Stichwort Integration von Flüchtlingen. Was fehlt, um diese Diskussionen zu versachlichen?

Klinkhammer: Die Forderung nach schnellstmöglicher Integration der Flüchtlinge, und dazu gehört die Religion, halte ich für verfehlt, denn es geht erst einmal um Asyl und Sicherheit. Man kann nicht eine Million Menschen von heute auf morgen mit Integration konfrontieren. Dadurch dass im Rahmen der Innenpolitik die Stichworte „Integration“ und „Muslime“ fallen, wird der Eindruck erweckt, es gebe schon wieder Muslime, die integriert werden müssten. Dabei müsste das Augenmerk bezüglich der Flüchtlingsproblematik auf der Außenpolitik liegen.

IslamiQ: Es wird darüber diskutiert, wie der Islam im Rahmen des Staatskirchenrechts zu verorten ist. Wie bewerten Sie die Diskussionen um die Verleihung der Körperschaft des öffentlichen Rechts an islamische Gemeinschaften? Welche Herausforderungen bringt das für die gesellschaftlich-politische Ordnung?

Klinkhammer: Ich denke nicht, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung des Islams viel ändern wird. Das kann man an der Verleihung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas ablesen, an deren Wahrnehmung sich seitdem auch nichts geändert hat. Die Diskussionen um die Frage der Integration „des Islams“ wird sich sicherlich dadurch erstmal nicht verändern. Auf lange Sicht aber könnte das ein Schritt in die Normalität bedeuten: Religionsunterricht, Ausbildung von Imamen, Seelsorge wie auch Jugendwohlfahrt könnten auf den Weg gebracht und in einer für Deutschland passenden Weise institutionalisiert werden, ohne dass ständig zunächst die Grundsatzdiskussion der Anerkennung aufgeworfen wird.

Das Interview führte Ali Mete.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Integration heißt auch, dass ich mich den Gesetzen und auch den gesellschaftlichen Normen/Gepflogenheiten (Händeschütterln, Schwimmunterricht auch für Mädchen, usw..) in dem ich ausgewandert bin anpasse und nicht das sich das Zielland mir anpassen müsste.
22.02.16
16:01