Clausnitz

„Das darf nie normal werden“

Ein weinender Flüchtlingsjunge im Bus, grölende Demonstranten davor: Das Video aus Clausnitz hat viele entsetzt. Und auch das harte Vorgehen der Polizei gegen die sich sträubenden Neuankömmlinge. Unterkunftsleiter soll Mitglied der islamfeindlichen AfD sein.

21
02
2016
EIn wütender Mob empfängt Flüchtlinge in Clausnitz. Pegida zeigt sich solidarisch mit dem Mob.

Nach einem umstrittenen Einsatz bei fremdenfeindlichen Protesten vor einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Clausnitz steht die Polizei in der Kritik. Nach Aussage betroffener Flüchtlinge soll sie in dem Erzgebirgsdorf gegen mehrere von ihnen körperlichen Zwang angewendet haben. Auf einem im Internet verbreiteten Video war bereits zu sehen, das ein Polizist einen Jungen im Klammergriff aus einem Bus in die Unterkunft zerrt. Politiker forderten Aufklärung. Die Blockadeaktion von etwa 100 aufgebrachten Demonstranten verurteilten sie scharf.

In dem kleinen Ort hatten Protestierer am Donnerstagabend versucht, die Ankunft des Busses mit den ersten Bewohnern einer neuen Asylbewerbereinrichtung zu verhindern. Der Bus sei auch mit einem Schneeball beworfen worden, sagten sie am Samstag in Clausnitz der Deutschen Presse-Agentur. Das ZDF berichtete, der Leiter der Unterkunft gehöre der rechtspopulistischen AfD an. Die AfD weist ihn im Internet aber als Mitorganisator von Parteiveranstaltungen aus.

Am Ankunftsabend hatten die Flüchtlinge augenscheinlich aus Angst vor den Protesten und der chaotischen Situation den Bus zunächst nicht verlassen wollen. Die Flüchtlinge berichteten der Deutsche Presseagentur (dpa) am Samstag, dass nicht nur der im Internet-Video zu sehende Junge von einem Bundespolizisten aus dem Bus gezerrt wurde: Auch einer Frau habe die Polizei die Arme auf den Rücken gedreht und sie zwangsweise aus dem Bus geholt.

Der betreffende Junge ist nach eigenen Angaben 14 Jahre alt und stammt aus Tripoli im Libanon. Er ist mit seinem Bruder und seinem Vater seit drei Monaten in Deutschland und war zunächst in Dresden untergebracht, wie er der dpa sagte. Der Bruder ist auf dem Video zu sehen, wie er freiwillig, aber weinend den Bus verlässt.

Die Polizei wollte sich am Samstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Chemnitz zu dem Einsatz äußern. Für den Abend war in Clausnitz, einem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle, eine Solidaritätskundgebung geplant.

Der sächsische Grünen-Landesvorsitzende Jürgen Kasek sagte mit Blick auf die Vorfälle vom Donnerstagabend: „Das sind keine Bilder, die wir hier in Deutschland sehen wollen. Das, was am Donnerstagabend passiert ist, darf nie normal werden.“

Grünen-Bundeschef Cem Özdemir betonte: „Jeder, der eine Uniform unseres Landes trägt, vertritt und schützt unser Grundgesetz.“ Wer damit ein Problem habe, müsse sie ablegen. Da dürfe es kein Pardon geben. „Der leitende Polizeibeamte des Einsatzes von Clausnitz wurde dieser Verantwortung nicht gerecht und sollte suspendiert werden.“

Die Grünen wollen den Polizeieinsatz am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags thematisieren. Die Fraktion bestätigte auf Anfrage eine entsprechende Meldung des MDR.

Linke-Landtagsfraktionschef Rico Gebhardt betonte: „Menschen, die Busse blockieren, die hilflose Kinder, Frauen und Männer zusammenschreien, kann ich nur als Rassisten bezeichnen.“ Zudem müsse das Verhalten einzelner Polizisten aufgeklärt werden. Ein rabiater Umgang mit Kindern sei nicht zu entschuldigen.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Das eine Frau mit Kopftuch, sagen wir mal mit Gesten auch provoziert hat, ist im Artikel offenbar herhausgeschrieben worden.
21.02.16
20:01
Johannes Disch sagt:
Caußnitz hat ja bereits gestern eine unrühmliche Fortsetzung erfahren. In Bautzen-- ebenfalls Sachsen-- beklatschte ein rechter Mob das Abbrennen einer Asylunterkunft und behinderte dabei die Löscharbeiten der Feuerwehr. Und der Mob skandierte dabei: "Wir wollen hier keine Kanaken!" Selbst Jugendliche und Kinder riefen das! Es ist glücklichen Zufällen zu verdanken, dass es bisher bei den ganzen rechtsradikalen Ausschreitungen noch keinen Toten gab. lg Johannes Disch
21.02.16
21:08
Johannes Disch sagt:
@Manuel So, die Flüchtlinge im Bus haben provoziert? Da wird Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt. Da werden die Opfer zu Tätern gemacht. Wenn man von einem wütenden Mob so empfangen wird wie diese Flüchtlinge, dann ist es eine vollkommen menschlich verständliche Reaktion, dass auch mal ne heftige Geste zurückkommt. Noch bedenklicher war das, was kurz darauf in Claußnitz passiert ist (siehe mein erstes P). lg Johannes Disch
22.02.16
6:16
Manuel sagt:
@Manuel: Es ging mir darum, dass nicht wieder, wie bei der Kölner Silvesternacht unangenehme Dinge ausgeblendet werden, sondern das es eine ausgewogene Berichterstattung gibt.
22.02.16
10:16
Andreas sagt:
@Manuel: Wieso stürzen sich Polizei und Rassisten sofort auf die angeblich provozierenden Gesten der Flüchtlinge im Bus? Die Flüchtlinge wurden vom rechtsextremen Mob empfangen und eingeschüchtert. Dazu bedurfte es keiner Provikationen durch die Flüchtlinge. Abgesehen davon kann man wohl davon ausgehen, dass Leser dieser Seite auch andernorts die Nachrichten verfolgen. Und die sächsische Polizei hat doch alles dafür getan, dass jeder weiß, dass die Flüchtlinge mit ihren provozierenden Gesten eigentlich selbst schuld seien, dass die Polizei sie gewaltsam aus dem Bus gezerrt hat. Statt den rechtsextremen Mob aufzulösen, wie es eigentlich richtig gewesen wäre.
22.02.16
12:12
Manuel sagt:
@Andreas: Es gibt immer zwei Seiten einer Geschichte, aber das scheinen Sie in Ihrem rosaroten Weltbild noch nicht ganz durchschaut zu haben.
22.02.16
15:55
Düsselbarsch sagt:
@ Manuel: Warum können Sie nicht einfach einräumen, dass in Clausnitz jedes menschliche Maß überschritten worden ist. Dann würde Ihr Eintreten für Objektivität und Meinungsfreiheit glaubhafter erscheinen.
25.02.16
19:07
Manuel sagt:
@Düsselbarsch: Das wurde in Köln auch überschritten!
26.02.16
10:40
Enail sagt:
Ich gebe jedem Recht und selber sehe ich das auch so, dass Gewalt und Drohungen gegen Flüchtlinge kein Mittel sein darf, um seine Abneigung gegen diese Flüchtlingspolitik auszudrücken. Die Flüchtlinge sind die letzten die dafür Verantwortung zu tragen haben. Aber, was ich ganz scheinheilig finde, dass, wenn rechter Mob wütet, alle sich dazu äußern, ich tue es auch, aber wenn Gewalt von Flüchtlingen gegen Flüchtlinge in Flüchtlingsheimen stattfindet, in der Nähe meiner Heimatstadt fast tagtäglich, Massenschlägereien usw. hört man kaum Stimmen, die das verurteilen. Da wird dann die menschenverachtende Unterbringung und Traumatisierung der Flüchtlinge als Entschuldigung angeführt. Ich will jetzt keine Tat mit einer Tat entschuldigen oder rechtfertigen, aber ich finde es bezeichnend, dass, wenn Gewalt von anderer Seite ausgeführt wird, es stillschweigend hingenommen wird, oder wenn möglich sogar vertuscht wird, was halt in Köln oder jetzt wieder in Kiel nicht gelungen ist. Einach total verlogen das Ganze.
26.02.16
21:24