Diskriminierungserfahrungen aufgrund der religiösen Zugehörigkeit nehmen immer mehr zu. Die Antidiskriminierungsstelle FAIR e.V. greift an dieser Stelle ein und berät diese Fälle.
IslamiQ: FAIR steht für Federation against Injustice and Racism e.V.. Auf welche Fälle konzentriert sich Ihre Organisation?
Taner Aksoy: Im Grunde genommen ist die Unterstützung von Menschen, die eine Diskriminierung erfahren haben, die primäre Intention des Verbandes. Als Antidiskriminierungsverband konzentriert sich FAIR jedoch auf das Vorgehen gegen Diskriminierungen wegen der Religion und/oder der ethnischen Herkunft. Das liegt zum einen daran, dass der Begriff „Diskriminierung“ ein mannigfaltiges Tätigkeitsfeld abdeckt und wir bemüht sind, adäquate Antworten auf die Sorgen und Ängste der Betroffenen zu finden und zum anderen an dem Bestreben, die Qualität unserer Arbeit durch die Fokussierung auf zwei spezielle Aspekte zu gewährleisten.
IslamiQ: Wie sollte jemand vorgehen, der Diskriminierung und Rassismus erfahren hat. An welchem Punkt kann FAIR eingreifen?
Aksoy: Zunächst einmal gilt es mutig zu sein und keine Angst davor zu haben, entsprechende Schritte gegen einen konkreten Diskriminierungsfall zu unternehmen. Oftmals berichten uns Betroffene von psychischen Belastungen infolge von bspw. rassistischen Gewalttaten und sind dadurch oft eingeschüchtert.
Für uns ist es wichtig, in solch einem Fall bzw. generell ein vertrauensvolles Verhältnis mit der oder dem Betroffenen aufzubauen und ihr/ihm einen Rahmen zu bieten, in dem sie/er über ihre Diskriminierungserfahrung offen berichten kann.
Abhängig vom Einzelfall und dem Wunsch der Betroffenen, erfolgt eine umfassende Beratung. Gelegentlich kommt es vor, dass Betroffene ab einem bestimmten Zeitpunkt den Diskriminierungsfall nicht weiter verfolgen möchten, weil die psychische Belastung für sie schier unerträglich wird. In anderen Fällen begleiten wir die Fälle bis zu einem Abschluss. Damit geht die Teilnahme an so genannten Schlichtungsverfahren ebenso wie die Anwesenheit in Gerichtsverfahren einher.
IslamiQ: Kann man aus den eingegangenen Fällen ein bestimmtes Profil derer erkennen, die am häufigsten Opfer von Diskriminierung und Rassismus werden?
Aksoy: Unsere internen Statistiken machen deutlich, dass sich der Verband im vergangenen Jahr extensiv mit Beschwerden über Benachteiligungen aufgrund des Tragens eines Kopftuchs beschäftigt hat. Prekär erscheint dabei die Tatsache, dass sich das Phänomen in nahezu allen Lebensbereichen, wie beispielsweise Schule, Ausbildung, Arbeitsmarkt und Freizeit wiederfindet. Das heißt, dass wir durch die Dokumentationspraxis nicht nur Erkenntnisse über die Anzahl der Betroffenen und die Diskriminierungsgründe erhalten, sondern gleichzeitig sehen können, in welchen Lebensbereichen die häufigsten Diskriminierungsfälle zu verorten sind.
IslamiQ: Können Sie einen konkreten Fall nennen?
Aksoy: Mitte letzten Jahres hat FAIR den Fall einer angehenden Rechtsreferendarin begleitet, die im Rahmen ihrer Bewerbung als Rechtsreferendarin bei einem Oberlandesgericht wegen ihres Kopftuchs benachteiligt wurde. In dem betreffenden Bundesland ist es im Rahmen eines Erlasses so geregelt, dass Rechtsreferendarinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, dieses in bestimmten Stationen des Rechtsreferendariats entweder ausziehen müssen oder sie bestimmte Tätigkeiten – wie etwa den Sitzungsdienst bei der Staatsanwaltschaft -nicht ausführen können. Infolgedessen können sie evtl. auch eine schlechtere Benotung erhalten. Auf diesen Umstand wurde die Juristin bei ihrer Bewerbung auch hingewiesen.
Daraufhin entschied sich die Betroffene, dieses Vorgehen bei FAIR zu melden. In einem Schreiben an das Oberlandesgericht wiesen wir daraufhin, dass dieses Vorgehen eine Benachteiligung der Betroffenen darstelle und ihre Grundrechte z. B. auf Religionsfreiheit verletze. Das Tragen eines Kopftuchs tangiere auch nicht die Neutralität des Staates. Als Antwort teilte uns das Justizprüfungsamt mit, dass sie ihre Praxis auch vor dem Hintergrund der neuen „Kopftuchentscheidung“ des BVerfG überdenken würden.
Ferner nahmen wir die Problematik zum Anlass, das Thema „Neutralität“ im Rahmen eines Positionspapiers juristisch aufzuarbeiten.
IslamiQ: Wirken sich Phänomene wie Pegida oder aktuelle Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht auf Ihre Arbeit aus? Können Sie einen Anstieg von Diskriminierungsfällen seither verzeichnen?
Aksoy: Durch die tägliche Medienbeobachtung nehmen wir zur Kenntnis, dass ein allgemeiner Anstieg von Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und vor allem eine Abneigung innerhalb der Gesellschaft gegenüber muslimischen Mitbürgern zu verzeichnen ist. Einen direkten Bezug bzw. Einfluss auf unserer Arbeit gibt es bis jetzt jedoch nicht. Daher können wir nicht konstatieren, dass durch die oben beschriebenen Ereignisse die Anzahl der bei uns registrierten Beschwerdefälle angestiegen wären.
IslamiQ: Momentan herrscht bundesweit die Debatte über die Schließung der Gebetsräume an deutschen Hochschulen. Würden Sie die Entwicklungen unter Antimuslimischem Rassismus fassen?
Aksoy: Pauschal kann dies den Universitätsleitungen nicht unterstellt werden. In einigen Fällen kann solch eine Motivation klar ausgeschlossen werden. In anderen Zusammenhängen scheinen Vorbehalte gegen Muslime – zumindest unbewusst – eine Rolle zu spielen.
Betroffen sind von den Schließungen, auch wenn es sich z. T. um einen Raum der Stille handelt, der allen Studierenden offen steht, vor allem muslimische Studierende, da ihr Recht auf Religionsausübung damit tangiert wird.
Weiterhin wird die Schließung in Berlin etwa mit der Neutralität einer staatlichen Einrichtung begründet. Dieses Argument geht jedoch vor dem Hintergrund des in Deutschland geltenden Neutralitätsverständnisses fehl. Denn dieses wird im offenen Sinn verstanden, d. h. das Neutralitätsgebot ermöglicht gerade die Ausübung der Religion auch in öffentlichen Einrichtungen und dient nicht dazu, Religion aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben.
Darüber hinaus bestand vereinzelt auch das Problem der falschen Berichterstattung in dieser Debatte. Beispielsweise behaupteten einige Medien, die Schließung des Raumes an der Universität Duisburg-Essen erfolge, weil dort Radikalisierungsmaßnahmen zu beobachten seien. Dabei hat die Universität dem entschieden widersprochen. Vor allem fand die Sichtweise der betroffenen muslimische Hochschulgruppe keine Beachtung
IslamiQ: Die diesjährigen Internationalen Wochen gegen Rassismus stehen unter dem Motto: „100 Prozent Menschenwürde – gemeinsam gegen Rassismus“. Hängt das Motto mit der derzeitigen „Flüchtlingsdebatte“ zusammen?
Aksoy: Hinsichtlich der derzeit geführten Debatte um Flüchtlinge trifft das Motto jedenfalls den Kern. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 1000 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert und es ist derzeit kein Rückgang zu verzeichnen. Die Ereignisse in Clausnitz und Bautzen sind in den Köpfen der Menschen noch sehr präsent. Allerdings muss konstatiert werden, dass Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen auch schon in den vergangenen Jahren verübt wurden – wenn auch nicht in dem Ausmaß wie im Jahr 2015.
Außerdem ist das Motto auch im Hinblick auf den allgemeinen, in seinen verschiedenen Ausformungen präsenten (Alltags)Rassismus wichtig, denn es ist kein neues Phänomen, worauf wir etwa im Zuge der Pegida-Märsche, oder der immer wieder medial diskutierten verdachtsunabhängigen Kontrollen aufmerksam geworden sind.
Insofern erachte ich die Internationale Wochen gegen Rassismus als eine adäquate Gelegenheit die Menschen auf die beschriebenen Themen zu sensibilisieren und gemeinsame Strategien gegen Rassismus und Diskriminierung zu entwickeln.