Lehrerinnen mit Schleier an staatlichen Schulen? Das ist Kern eines immer noch währenden Rechtsstreits. Doch auch an nicht-öffentlichen Arbeitsplätzen sind Kopftuch und Schleier umstritten. Zwei Fälle vor dem EuGH könnten sich auf Deutschland auswirken.
Eine französische Softwaredesignerin betreut einen neuen Kunden. Der ist aber unzufrieden – denn die junge Frau trägt einen islamischen Schleier. Er beschwert sich bei ihrem Arbeitgeber. Dieser will, dass die Frau ihren Schleier ablegt, wenn sie sich mit dem Kunden trifft. Doch die Softwaredesignerin weigert sich – und wird entlassen. Auch eine andere Muslimin verliert ihren Job. An ihrem Arbeitsplatz sind religiöse, philosophische und politische Symbole verboten. Ihr Kopftuch ablegen will die belgische Rezeptionistin aber nicht.
Wer hat Recht, Arbeitgeber oder Muslima? Zwei derartige Fälle beschäftigen am Dienstag den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Aktz. C‑188/15 und C‑157/15). Zwar handelt es sich um Klägerinnen in Frankreich und Belgien – doch die Auswirkungen der Urteile dürften auch in Deutschland zu spüren sein.
Die Rechtslage sei hierzulande simpel, sagt Anwältin Doris-Maria Schuster, die in derartigen Fällen mehrmals Arbeitgeber beraten hat. „Frauen dürfen am Arbeitsplatz ein Kopftuch tragen. Dieses Recht kann der Arbeitgeber einschränken“, erklärt Schuster – wenn es sachliche Gründe dafür gibt, etwa die Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Störung des Betriebsfriedens oder eine drohende Geschäftsschädigung durch nachweisbare Beschwerden von Kunden.
„Dies ist eine Abwägung zwischen der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers und der Religionsfreiheit der einzelnen Mitarbeiter“, sagt Schuster.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das 2006 in Kraft getreten ist, soll Benachteiligungen etwa wegen ethnischer Herkunft oder Religion verhindern. Seitdem habe es einige Kopftuchfälle gegeben, die bis vor das Bundesarbeitsgericht gekommen seien, so Schuster.
Für Fereshta Ludin ist der Wirbel um das Stück Stoff weitaus mehr als eine Frage der Gesetzeslage. „Es ist eine Mischung aus gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen Aspekten, die es schwierig machen, muslimische Frauen als gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft, und dazu gehört die Arbeitswelt, anzuerkennen“, sagt die aus Afghanistan stammende Muslimin.
Ludin führte jahrelang einen Rechtsstreit gegen das Land Baden-Württemberg, um mit Kopftuch an einer staatlichen Schule unterrichten zu dürfen. Sie gewann und verlor zugleich – denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erließen mehrere Bundesländer ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen. Erst im vergangenen Jahr wurden diese pauschalen Verbote gekippt.
Ein Kopftuch an einem Arbeitsplatz außerhalb des öffentlichen Dienstes zu tragen, ist rechtlich zwar erlaubt. Aber Ludin meint: Wirklich gesellschaftlich akzeptiert wird es nicht. „Am Arbeitsplatz werden sie entweder belächelt, für unterdrückt, politisiert oder gar gefährlich gehalten“, sagt sie über Musliminnen, die ihre Haare bedecken.
Aus ihrer Sicht sollte das Thema ad acta gelegt werden. „Viele muslimische Frauen fühlen sich in unsere Gesellschaft dann eingegliedert, wenn das Kopftuch kein Thema am Arbeitsplatz mehr wird.“
Allerdings könnte es noch lange Thema bleiben. Rechtsanwältin Schuster sagt, die Urteile des EuGH könnten große Relevanz für Deutschland haben. Im Falle der belgischen Klägerin gehe es darum, ob ein Neutralitätsgebot am Arbeitsplatz eine Ungleichbehandlung für Muslime mit Kopftuch darstelle – oder ob jeder Mitarbeiter dadurch gleichbehandelt werde.
Ein Urteil des EuGH müssten deutsche Gerichte berücksichtigen, sagt Schuster. Wenn es aus Sicht der Luxemburger Richter keine Ungleichbehandlung sei, „dann wird es künftig viel leichter für Arbeitgeber, in ihren Betrieben eine religiöse Neutralitätspflicht einzuführen“. Mit anderen Worten: Eine Firma kann dann leichter jegliche religiöse und politische Symbole verbieten. Auch in Deutschland. (dpa, iQ)