Der Großimam der Al-Azhar Universität in Kairo hält sich derzeit zu Gesprächen mit Vertretern aus Politik und Kirchen in Deutschland auf. In seinen Reden bekräftigt er die Verpflichtung der Religionen zum gemeinsamen Frieden.
Der Großimam der Al-Azhar-Universität von Kairo, Ahmed al-Tayyeb, hat im Bundestag zum gemeinsamen Einsatz für den Frieden aufgerufen. Muslime wie Nichtmuslime sollten gemeinsam jeglichen Extremismus und Terrorismus bekämpfen, um „dieser schrecklichen Epidemie Herr zu werden“, sagte al-Tayyeb am Dienstagabend. Es seien in erster Linie die Muslime, die den Preis des Terrors bezahlten.
Er äußerte sich im Großen Protokollsaal des Berliner Reichstagsgebäudes vor Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Vertretern der Religionsgemeinschaften und Wissenschaftlern zum „Friedenspotenzial des Islams“. Der Gelehrte mahnte einen Dialog zwischen den Religionen an. Dabei zitierte er die Aussage des Theologen Hans Küng: „Kein Frieden zwischen den Nationen, ohne Frieden zwischen den Religionen.“ Al-Tayyeb betonte die enge Verbindung der monotheistischen Religionen. Der Islam sei keine Religion des Krieges und des Schwertes, sondern glaube, dass Gott seine Barmherzigkeit für alle Menschen gelten lasse. Der Dschihad als äußere Gewaltanwendung sei nur im Falle der Verteidigung gerechtfertigt.
Al-Tayyeb dankte dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Nahen Osten. Zugleich lobte er sie für ihre „faire und mutige Haltung gegenüber den Muslimen“ und ihre Bekräftigung der Aussage von Altbundespräsident Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehöre. In einer anschließenden Fragerunde ging Al-Tayyeb auf das Thema der Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Eine mögliche Marginalisierung der Frau sei nicht auf den Islam, sondern andere Traditionen zurückzuführen. Nach islamischem Verständnis diene die Frau dem Mann aus Liebe, der Mann wiederum sei verpflichtet, den Lebensunterhalt der Frau zu sichern. Die Ehe einer muslimischen Frau mit einem Nicht-Muslim sei allerdings nicht möglich, da die Ehe ein religiöser Vertrag sei.
Der Scheich wandte sich zugleich gegen die Vorstellung eines europäischen Islams. Es gebe nur einen Islam, der überall praktiziert werden könne. Er wandte sich gegen eine Aufklärung, „die den Menschen über die Religion stellt“. Al-Tayyeb betonte die Glaubensfreiheit. Der Koran sehe keine bestimmten Strafen für Konvertiten vor. Allerdings verlangten einige Überlieferungen, Konvertiten zu bestrafen, sofern der Schritt eine Gefahr für die Gesellschaft darstelle.
Bundestagspräsident Norbert Lammert hob die besondere Verantwortung von Politik und Religion für den Frieden hervor. Mit Blick auf die Notwendigkeit eines interreligiösen Dialogs forderte er eine Einbeziehung der Juden. Sie hätten den gleichen Anspruch auf Toleranz und Frieden. Nur so sei auch Frieden im Nahen Osten zu erreichen.
Al-Tayyeb ist derzeit auf einer Europareise. Am Donnerstag will er das Islamzentrum in Münster besuchen und anschließend nach Rom zur Audienz bei Papst Franziskus weiterreisen. Der 70-jährige al-Tayyeb wurde 2010 zum Großimam der Al-Azhar ernannt und lehrt dort Philosophie und Theologie. Er gilt als Autorität des sunnitischen Islams. Dennoch wird der Großimam in manchen innermuslimischen Kreisen für seine Nähe zum autoritären Sisi-Regime in Ägypten kritisiert. (KNA, iQ)