Kübra Gümüşay ist Journalistin, Publizistin, Feministin und Mitinitiatorin der #ausnahmslos Kampagne. Warum die Aktion notwendig war und Deutschland ein Sexismus-Problem hat –auch in der muslimischen Community- erklärt Gümüşay im Interview.
IslamiQ: Sie sind Mitinitiatorin der Hashtagaktion #ausnahmslos, die nach der Kölner Silvesternacht entstanden ist. Warum sahen Sie die Notwendigkeit darin solch eine Aktion zu starten?
Kübra Gümüşay: Als die Berichterstattung zu der Silvesternacht begann, waren diejenigen am lautesten, die sich vorher nicht mit Sexismus oder Feminismus beschäftigt, bzw. es nicht ernst genommen hatten. Zahlreiche Rechtspopulisten taten nun plötzlich so, als stünden sie an vorderster Front und seien die Vertreter der Frauenrechte. Sie haben den Feminismus – oder vielmehr die sexualisierte Gewalt – für ihre rechtspopulistischen und zum Teil rassistischen Parolen instrumentalisiert. Das war mitunter ein Grund, dass wir die Aktion gestartet haben. Es ist grausam was in der Silvesternacht passiert ist, so etwas darf nicht wieder passieren. Deshalb müssen wir nachhaltige Maßnahmen ergreifen, keine zu kurz gegriffen populistischen Maßnahmen. Wir sollten vor allem nicht das Problem zu einem Problem „der Anderen“ machen, als beträfe uns das nicht und der Sexismus sei importiert. Gegen diese Denkweise und Debatte und das vermeintliche Ausspielen des Rassismus gegen den Feminismus wollten wir uns wehren. Denn wir stehen gegen sexualisierte Gewalt. Immer. Und überall. Ausnahmslos. Nicht nur dann, wenn die Tat in ein bestimmtes Denkmuster passt.
IslamiQ: Viele Frauen sind enttäuscht, dass ein wichtiges Thema wie Sexismus in eine Debatte gelenkt wurde, in der der „arabisch-nordafrikanische“ Mann im Fokus steht. Wird Sexismus in Deutschland ernst genommen?
Gümüşay: Wenn ich an dieser Stelle mal etwas polemisch sein darf: Scheinbar sind Politiker wie Seehofer dazu in der Lage das Thema Sexismus ernst zu nehmen. Das ist doch mal ein erster Schritt! Allerdings nur dann, wenn die Täter „die Anderen“ sind und die Opfer die eigenen „deutschen“ Frauen. Im Grunde zeigt uns das, dass es nur dann ernst genommen wird, wenn die Sexismusdebatte eine bestimmte Narrative pflegt, nämlich die des triebgesteuerten, sexistischen, gewalttätigen, rückständigen und barbarischen muslimischen Mannes.
IslamiQ: Genau dieses Bild des sexistischen, aggressiven und gefährlichen muslimischen Mannes hält sich hartnäckig. Wird sich dieses Bild ändern lassen können, wenn ja, wie?
Gümüşay: Ja durchaus, so wie es entstanden ist lässt es sich auch ändern. Dafür müssen aber zwei Dinge geschehen. Zum einen muss klar sein: Es gibt ein Sexismus-Problem in Deutschland – auch in der muslimischen Community. Behoben wird es durch ein ganzes Katalog an Maßnahmen – einige davon stellen wir ja bei #ausnahmslos vor. Vor allem muss aber präventiv gearbeitet und pädagogische Arbeit geleistet werden. Der zweite Punkt ist folgender: Leider ist es so, dass die verfügbaren Rollen, die muslimische Männer einnehmen können, sehr begrenzt sind. Sie sind auf das Bild beschränkt was ich zuvor erwähnt habe. Da muss es mehr Alternativen geben. Auch sensible, feinsinnige und intellektuelle muslimische Männer – die es selbstverständlich gibt – müssen stärkere mediale Präsenz erfahren. Nur Vielfalt, ein reales Abbild der Gesellschaft, kann ermöglichen, dass wir die Stereotypen, verfestigte Rollen und Bilder aufheben können.
IslamiQ: Sie kritisieren mitunter, dass die Berichterstattung nach der Kölner Silvesternacht populistischer und zum Teil rassistischer Art war. Wie kann man dem als Journalist und Adressat entgehen?
Gümüşay: Ich denke, man kann dem ausweichen, indem man nicht so tut als seien diese Menschen qua Natur, qua Religion, qua Kultur und qua Herkunft darauf programmiert sexistisch und gewalttätig zu sein. Allein diese Behauptung weist schon rassistische Argumentationsmuster auf. Darüber hinaus kann man über dieses Problem sprechen, indem man das Geschehene kontextualisiert und qualifizierte Personen zur Sprache kommen lässt. WissenschaftlerInnen oder FeministInnen beispielsweise, die sich seit Jahren auch mit der Lösung beschäftigen, und keine Polit-Populisten, die sonst nichts damit zu tun haben und die Probleme lediglich für ihre politischen Ziele instrumentalisieren.
IslamiQ: Es gibt viele Anlaufstellen, die explizit für die muslimische Frau ausgerichtet sind. Gibt es das gleiche Angebot auch für muslimische Männer oder gibt es da überhaupt Handlungsbedarf?
Gümüşay: Natürlich sind viele Männer stark von Rassismus betroffen und müssen empowert werden, viele antirassistische Projekte setzen da an. Dabei wird gesellschaftlich oftmals unterschätzt wie wichtig es ist, welche genderspezifischen Ausprägungen Rassismus im Alltag von Menschen haben kann. Männer haben zum Teil gänzlich unterschiedliche Rassismus-Erfahrungen als Frauen. Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. das Racial Profiling. Ich wurde als kopftuchtragende Muslime selten von der Polizei verdachtsunabhängig kontrolliert, aber muslimische Männer in meiner Umgebung ständig. Meine Erfahrung mit Rassismus ist eine fundamental andere, weil ich eine Frau bin. Muslime, Schwarze oder Frauen mit Migrationshintergrund gelten gemeinhin als Opfer ihrer Männer, vor denen man sie beschützen muss. Die Frau wird bemitleidet, muss ermächtigt, befreit werden, der Mann ist potentieller Täter, Aggressor und muss zurechtgewiesen und bestraft werden. Dieser Dynamiken müssen wir uns in unserer Arbeit bewusst sein.
IslamiQ: Die Aktion läuft nun schon mehrere Wochen. Wie bewerten Sie die Reaktionen auf die Hashtagaktion und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Gümüşay: Im Rahmen der Hashtagkation haben wir – viele unterschiedliche FeministInnen – ein klares Statement verfasst. Schnell wurde deutlich, dass sich eine große Masse an Menschen – auch in der Politik – nach einer kollektiv starken zivilgesellschaftlichen Stimme sehnte, die sich klar und unsmissverständlich gegen Rassismus und sexualisierte Gewalt positioniert. Denn gegen Sexismus kann nicht nachhaltig vorgegangen werden ohne andere Diskrimierungsformen zu berücksichtigen. Eine laute und besonne Stimme aus der Zivilgesellschaft heraus hatte zuvor einfach gefehlt. Die Tatsache, dass wir innerhalb kürzester Zeit sehr viele UnterzeichnerInnen hatten – 11.000 an der Zahl- hat das ganz deutlich gemacht. Darunter befinden sich auch viele Stimmen aus der Politik. Durch #ausnahmslos hatten sie die Möglichkeit in ihrer Arbeit auf die Zivilgesellschaft zu verweisen. Da war eine gewisse Dankbarkeit und Erleichterung von Seiten der Politik zu erkennen. Auch international haben wir viel Unterstützung und Zuspruch erfahren. Denn Deutschland besitzt über die Landesgrenzen hinaus eine gewisse Symbolkraft in Sachen Asylpolitik. Damit geht auch eine besondere Verantwortung einher.