Seitdem in der Kölner Silvesternacht nordafrikanische Migranten massenhaft Frauen belästigten, hat das Bild vom sexuelle enthemmten Muslim in deutschen Medien wieder Hochkonjunktur. Doch neu ist es nicht.
Plumper hätte man das Klischee vom muslimischen Mann nicht abbilden können: Auf dem Cover einer der auflagenstärksten Zeitschriften Polens steht eine blonde schreiende Frau, eingewickelt in die blaue Fahne der Euopäischen Union. Vom Bildrand greifen Männerhände nach ihr. Im Kontrast zur Frau sind sie dunkel und behaart. Und für all jene, die die wenig subtile Botschaft immer noch nicht verstanden haben, steht diese noch einmal in großen Lettern auf dem Cover: „Die islamische Vergewaltigung Europas.“
Knapp zwei Monate ist es her, als in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof vorwiegend nordafrikanische Migranten dutzende, vielleicht hunderte Frauen sexuell belästigten. Das Bild vom sexuell enthemmten muslimischen Mannes ist in deutschen Medien seitdem so präsent wie selten zuvor. Stereotype, die bisher allenfalls in rechtspopulistischen Nischenpostillen offen zelebriert wurden, finden Einzug in die Mainstream-Medien: Auf dem Cover des drittgrößten Nachrichtenmagazins FOCUS prangen schwarzen Handabdrücke auf einem weißen Frauenkörper. Noch immer diskutieren täglich Kolumnisten in den größten Tageszeitungen des Landes über die sexuellen Spezifika der fremden Gattung „Muslim“, sezieren Kommentatoren die vermeintlich triebhafte Seele des Typus „Migrant“; zeigen sich Politiker entsetzt darüber, wie man nur so viele Flüchtlinge ins Land lassen konnte, als habe man den Ausbruch einer tödlichen Epidemie nicht rechtzeitig bekämpft.
Das Bild vom unzivilisierten Muslim ist älter als der Islam
Neu ist das alles nicht. Das Bild vom unkultivierten, zivilisationslosen und triebgesteuerten muslimischen Mann gibt es schon länger als es überhaupt muslimische Männer gibt. In der Bibel verstößt Abraham seinen gottlosen und von einer Sklavin abstammenden Sohn Ismail. Es ist der Gründungsmoment des westlich-christlichen Gefühls zivilisatorischer Überlegenheit. Als die muslimischen Osmanen im 15. Jahrhundert Konstantinopel einnehmen, gelten diese in Europa als Rächer Ismails. Das Bild des aggressiven muslimischen Eroberers, der seine Religion nur mit dem Schwert verbreiten kann, verfestigt sich schließlich im 18. Jahrhundert. Ganz ohne islamisches Zutun entsteht es in den Büchern britischer Historiker als Analogie zu den christlichen Eroberungen in der neuen Welt, die den Unterworfenen oft nur die Wahl ließen zwischen Auswanderung, Zwangsmissionierung und Tod lassen.
Gleichzeitig entsteht das romantisierte und exotisierte Klischee einer zivilisationslosen islamischen Welt. „Der Islam“ wird zur Projektionsfläche von unbefriedigten christlichen Sehnsüchten: Der muslimische Mann als lustvoller, ständig potenter Dauerstecher, der sich einen lebenlang durch die Harems der arabischen Halbinsel vögelt, stets aber Gefangener seiner Triebe bleiben wird. Der Urvater des deutschen Orientalismus Ernest Renan erklärte 1883 die „Semiten seien zu wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen unfähig“. Es ist das gleiche Klischee, das Samuel Huntington 200 Jahre später für sein berühmtberüchtigten Werk „Clash of Zivilisations“ bemühen wird.
Die Türken wollen Deutschland mit der Samenkanone islamisieren
Den Tiefpunkt erfährt dieses Motiv im westlichen Mohammed-Bild: Der dauervergewaltigende „Kinderschänder“, dessen Prophezeiungen im epileptischen Wahn entstanden seien, ist ein Konstrukt der vatikanischen Propaganda des achten Jahrhunderts. Noch heute wird es von Rechtspopulisten ebenso wie von der bekannteste Frauenrechtler Deutschlands, Alice Schwarzer, aufgegriffen. Von „Macho-Männern“, die „die Frauen ohnehin eine untergeordnete Rolle zuweisen und allein reisende Frauen als Freiwild behandeln“, sprach sie nach der Silversternacht in Köln. Die Türken wollten Deutschland mit der „Samenkanone“ islamisieren, heißt das in den Worten des Chefs der Neonazi-Partei NPD, Udo Voigt. „Schützt unsere Kinder und Frauen vor den Fremden“ lautet die Variante jener Deutschen, die jede Woche meist in irgendeinem ostdeutschen Dorf mit Fackeln gegen ihre neuen Nachbarn demonstrieren.
Auch in der deutschen Philosophie, zum Beispiel bei Hegel und Machiavelli, findet sich das Motiv des launisches, gesetzlosen, sexuell ausschweifenden islamischen Autokraten als Gegenstück zum rationalen guten Fürsten. Westlicher Demokrat versus islamischer Diktator. Heute wird dieses Bild nicht nur durch politische Rhetorik am Leben gehalten, sondern auch durch Hollywood. In dessen Filmen schaffen es allenfalls Außerirdische dem fanatischen arabischen Terroristen den Rang als gleichermaßen geistig beschränkten Superbösewicht streitig zu machen, der stets nur einen weißen gut aussehenden Helden davon entfernt steht, die „zivilisierte Welt“ zu vernichten.
In Talkshows erklären „Islamexperten“ Muslimen ihre Religion
Doch nicht einmal „True Lies“, „Raiders of the Lost Ark“, „Rules of Engagement“ und „American Sniper“ zusammen haben das Bild des muslimischen Mannes so stark geprägt wie die Abenteuerromane Karl Mays. Zumindest im deutschen Sprachraum. Hundertmillionfach wurden seine Orient-Geschichten seit dem 19. Jahrhundert gelesen. Nirgends wird so gut deutlich, was der deutsche Kleinbürger über den „Orient“ zu wissen meint wie in Karl Mays Orient-Zyklus. Der Held seiner Abenteuer: Kara Ben Nemsi, ein gut gebildeter, kultivierter und argumentativ unschlagbarer Christ, der seinem Gegenspieler Hadschi Halef Omar – einem einfältigen lasterhaften Türken – nicht nur die Welt, sondern auch den Koran erklärt.
Es ist dieselbe Rollenverteilung, wie sie auch heute noch wöchentlich in Talkshows zu beobachten ist, in denen deutsche „Islamexperten“ Muslimen erklären, was es mit ihrer Religion eigentlich auf sich hat. Oder, warum die Übergriffe von Köln quasi schon im Islam angelegt seien, der „muslimische Mann“ kaum anders könne als Frauen zu vergewaltigen und nur eine strikte Einwanderungspolitik solche Übergriffe verhindern könnte. Die besonnen Stimmen, die fragen, wohin diese Stimmungsmache führe könne, gehen da meist unter. Eine Antwort könnte eingangs erwähntes Magazincover geben. Auch sein Motiv hat Tradition in Europa. In den 1930ern prangte es von Wahlplakaten der NSDAP.