Kopftuchstreit in Deutschland

„Die Verbote haben ganze Existenzen zerstört“

Vor rund einem Jahr gab das Bundesverfassungsgericht an, dass das pauschale Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen verfassungswidrig ist. Aktuell wurde die Klage einer kopftuchtragenden Lehrerin vom Arbeitsgericht Berlin abgewiesen. Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. bewertet im IslamiQ-Interview die aktuellen Entwicklungen rund um das Kopftuch.

17
04
2016
Portrait Gabriele Boos-Niazy © Boos-Niazy

IslamiQ: In Berlin wurden die Gesetze dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht angepasst. Daraufhin klagte eine kopftuchtragende Lehrerin. Jetzt wurde die Klage abgewiesen. Was bedeutet das für den Berliner Senat und für die betroffene Lehrerin?

Boos-Niazy: Innerhalb des Senats werden die Verbotsbefürworter vermutlich zuerst einmal aufatmen, auch wenn sie sicherlich davon ausgehen, dass damit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Für die betroffene Lehrerin bedeutet es, dass sie noch mehr Zeit und Energie investieren muss, um zu ihrem Recht zu gelangen. Zunächst muss man die schriftliche Begründung abwarten und dann kann man weitersehen. Sicher ist jedoch, dass die Vorstellung, es herrsche eine Gleichbehandlung, wenn an Schulen generell niemand sichtbare religiöse Symbole oder religiös motivierte Kleidungsstücke tragen dürfe, eine sehr oberflächliche und damit nicht sachgerechte Sicht der Dinge ist. Sie berücksichtigt z.B. nicht, ob eine Religionsgemeinschaft überhaupt eine religiös motivierte Kleidung geboten sieht (dies sah das BVerfG schon 2003 als für das Kopftuch gegeben) und das ist unabhängig davon, ob alle Anhänger dieser Religion das befolgen oder nicht. Existiert ein solches Gebot nicht, dürfte ein Gläubiger kaum in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn er sich einem staatlichen Verbot gegenüber sieht, d.h. seine Religionsfreiheit wird tatsächlich nicht eingeschränkt.

Es wird gern vergessen, dass wir hier auch von einem Kippa-Verbot sprechen und nicht nur von einem Kopftuchverbot.

Das Tragen eines Kreuzes ist so ein Beispiel im Vergleich zum Tragen einer Kippa. Da es eine religiös begründete Vorschrift für ersteres nicht gibt, für letzteres aber sehr wohl, ist es ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen, wenn man beides gleichsetzt und sagt, ein Verbot treffe beide Religionsgruppen gleichermaßen. Es wird gern vergessen, dass wir hier auch von einem Kippa-Verbot sprechen und nicht nur von einem Kopftuchverbot.

IslamiQ: In einigen Ländern wurden die Gesetzestexte nicht geändert, aber die Auslegung. Welche Gefahr birgt diese Vorgehensweise?

Boos-Niazy: Die Weigerung, die Gesetzestexte zu ändern, hat für die Betroffenen einen schalen Beigeschmack. Man könnte diese Weigerung als eine gesetzgeberische bzw. insgesamt politische Haltung interpretieren, die signalisiert, dass man sich nur zähneknirschend an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hält und geflissentlich ignoriert, dass den Frauen jahrelang Unrecht getan wurde. Man muss sich vor Augen führen, dass diese Verbote ganze Existenzen zerstört haben. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, dass der gleiche Gesetzestext, der ein Berufsverbot nach sich zog, das jetzt plötzlich nicht mehr tut. Wenn alles nur an der Auslegung liegt, dann gibt es keinen Schutz davor, dass nicht irgendwann wieder einmal Zeiten kommen, in denen die Auslegung wieder ein Verbot legitimiert. Ein solches Vorgehen schwächt das Vertrauen in diejenigen, die politische Verantwortung tragen und das ist immer schlecht, weil das letztendlich langfristig der Demokratie schadet.

IslamiQ: Gilt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht für Referendarinnen? Wieso müssen sie z.B. in Bundesländern wie NRW immer noch einen Ausnahmeantrag stellen?

Boos-Niazy: Der Beschluss nimmt keinen Bezug auf Referendarinnen, weil sie vom Verbot (theoretisch jedenfalls) nicht betroffen waren. Das liegt darin begründet, weil der Staat im Bereich der Lehrerausbildung ein Ausbildungsmonopol hat, d.h. die Ausbildung kann nicht abgeschlossen werden, ohne dass ein Referendariat abgeleistet wird. Hätte es also auch für Referendarinnen ein Kopftuchverbot gegeben, wäre das einem Berufsverbot gleichgekommen. Als ausgebildete Lehrerin hatte man immerhin theoretisch die Möglichkeit, an einer Privatschule mit Kopftuch zu unterrichten. Zugleich war das Kopftuch von politischer Seite ja als Symbol definiert worden, das den Eindruck erwecken könnte, die Trägerin stimme mit den Werten der Verfassung nicht überein. Eine „Bekundung“ von sich zu geben – in dem Falle ein Kopftuch zu tragen – die von einem Dritten als nicht verfassungskonform wahrgenommen werden könnte, ist im Schuldienst grundsätzlich verboten.

Daher wurde für das Referendariat eine Ausnahmeregelung geschaffen, sodass es mit Kopftuch abgeleistet werden konnte. Nach der Abschaffung des Verbots macht diese Ausnahmeregelung keinen Sinn mehr, denn das Kopftuch fällt ja nicht mehr unter die „Bekundungen“, die als nicht verfassungskonform gelten und nur per Antrag zugelassen sind. Dennoch wurde die Regelung aus keinem Schulgesetz entfernt. Das hat – allerdings ist uns kein Fall aus NRW bekannt – zu der absurden Situation geführt, dass von einer Referendarin mit Kopftuch ein Ausnahmeantrag verlangt werden kann, während schon ausgebildete Kolleginnen mit Kopftuch ohne einen solchen Antrag unterrichten dürfen. Was einst also als „Privilegierung“ aufgrund des staatlichen Ausbildungsmonopols gedacht war, kann jetzt zur Hürde werden. Wir gehen allerdings davon aus, dass in Kürze alle Sachbearbeiter in den verschiedenen Bundesländern darüber informiert sein werden, diese absurde Forderung zu unterlassen.

Die Ausnahmeregelung galt darüber hinaus für den Religionsunterricht. Damit sollte muslimischen Religionslehrerinnen die Möglichkeit gegeben werden, während des Religionsunterrichts ein Kopftuch zu tragen. Diese Ausnahmeregelung ist durch den Beschluss natürlich auch überflüssig, blieb jedoch ebenfalls in den Gesetzestexten erhalten. Aus unserer Sicht hätte es einfach für mehr Klarheit gesorgt, wenn der Satz entfernt worden wäre.

Das Interview führte Fatma Ertuğrul.

Wie hat sich der Kopftuchstreit in Deutschland entwickelt? Wir haben es in einemVideo zusammengetragen.

Kopftuchkarte2

 

Leserkommentare

muslimin sagt:
Frau Boos-Niazy , Sie haben längst ein riesengroßes Lob für ihr fachliches Engagement in dieser Sache verdient!! Alles was Sie sagen, hat Hand und Fuß und ist inhaltlich voll richtig. Wir Werden sehen was die Zukunft bringt. Die Kopftuchverbote sind absurd und gehören endlich der Vergangenheit an. Zeit, dass sich was ändert. Ich kann Ihnen aber versichern: Wenn sich die betroffenen konsequent wehren, wird es inshaallah bald Gerechtigkeit geben ..
17.04.16
20:26
Andreas sagt:
Es ist ein Armutszeugnis für unser Land, wenn trotz der verfassungsrechtlich garantierten freien Ausübung der Religion immer wieder versucht wird, diese durch Verbote zu unterminieren. Ein Gesetz, das scheinbar für alle gilt, aber dann doch nur Angehörige einer Religion trifft, kann wohl kaum als gerecht bezeichnet werden. Für Christen gibt es in der ganz überwiegenden Mehrheit zumindest im öffentlichen Raum keine Bekleidungsvorschriften. Insofern sind tatsächlich von entsprechenen Verboten einmal mehr nur Musliminnen betroffen (evtl. auch jüdische Männer, die eine Kippa tragen müßten, die bei dieser Diskussion aber untergehen). Noch erbärmlicher ist es, wenn der Bundesverfassungsgericht klarstellt, dass ein generelles Kopftuchverbot nicht verfassungskonform ist und dann nach juristischen Möglichkeiten gesucht wird, dieses Kopftuchverbot irgendwie doch nich zu retten. Ist das wirklich nötig?
17.04.16
22:50
Ute Fabel sagt:
Kopftücher kann man abnehmen, genauso wie man Kippas, Kreuzketten oder Parteiabzeichen ablegen kann. Existenzen wurden daher nicht durch das faire optische Neutralitätsprinzip zerstört,welches für alle Religionen und Weltanschauungen im gleichen Ausmaß gilt. Ihre Existenzen haben sich die unnachgiebigen Betroffenen schon selbst kaputt gemacht, die ihr Kopftuch zu einem unverrückbaren Dogma hochstilisieren. Ich halte es für ein großes Armutzeugnis, wenn Religion auf das strikte Einhalten von Bekleidungsvorschriften reduziert wird.Eigentlich sollte es bei Religion mehr um innere Werte und Überzeugungen gehen, oder?
18.04.16
11:20
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Es ist schön, dass Sie sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen. Denn tatsächlich machen Sie nichts anderes, als die Religion des Islam auf das Kopftuch zu reduzieren, gegen das Sie so vehement kämpfen. Warum eigentlich? Was schadet es Ihnen, wenn eine muslimische Frau ein Kopftuch trägt? Die Neutralität des Staates ist durch eine Frau mit Kopftuch jedenfalls nicht gefährdet. Im übrigen trifft das Verbot eben nicht alle Religionen und Weltanschauungen im gleichen Ausmaß. Es trifft nur diejenigen, für die es z.B. Bekleidungsvorschriften gibt, für alle anderen ist es irrelevant. Damit ist es aber auch ungerecht.
19.04.16
11:00
Ute Fabel sagt:
Ich finde es einfach nur nervig, wenn Leute ihre Religion oder Weltanschauung ständig vor sich hertragen wollen und sich dann auch noch als Opfer fühlen. Für mich ist das Zeichen eines aufdringlichen Fanatismus. Dabei denke ich keineswegs nur an das Kopftuch. Mich würde es genauso nerven, wenn ich einen Bürokollegen hätte, der sich tagein tagaus einen Button von "Greenpeace" oder "Vier Pfoten" anstecken würden. Persönliche Überzeugung kann man im privat ausleben, am Arbeitsplatz hat das nichts verloren. Es muss generell einen Schutz vor religiöser und weltanschaulicher Belästigung am Arbeitsplatz geben. Das Berliner Neutralitätsgesetz ist sehr vorbildlich.
19.04.16
11:16
Manuel sagt:
@muslimin: Und ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht zulassen werden, dass in Deutschland eine islamische Gesellschaftsordnung etabliert wird.
19.04.16
12:27
Manuel sagt:
@Andreas: Was ist den mit den indischen Sikhs, gibt es sicher auch einige Berlin, die haben auch eine Bekleidungsvorschrift, doch die scheinen mit dem Gesetz keine Probleme zu haben, im Gegensatz zu einer bestimmter, die offenbar nicht mit dem säkularen Charakter unseres Staates umgehen kann.
19.04.16
12:31
Andreas sagt:
@Manuel: Wieviele Sikhs kennen Sie? Konnten Sie diese befragen, ob sie mit dem Gesetz Probleme haben?
20.04.16
14:11
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Ein Button mit welcher Aufschrift auch immer ist eine Sympathiebekundung mit etwas, ein Kopftuch dagegen ist ein Kleidungsstück, das die Haare bedecken soll. Damit ist weder ein religiöses noch sonst weltanschauliches oder politisches Bekenntnis verbunden. Zu einem Bekenntnis machen nur wir Nicht-Muslime es.
20.04.16
14:13
Manuel sagt:
@Andreas. Kennen Sie irgendwelche Klagen von Sikhs oder Beschwerden von deren Religionsvertretern, ich nicht. Beschwerden und Klagen gibt es immer nur von einer Religion, weil diese immernoch meint die Religion, besonders ihre, stünde über dem Staat und den Menschen. Und außerdem immernoch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist, sondern lieber zurück ins finstere Mittelalter will, wenn ich mir die derzeitgen Entwicklungen in der Islamischen Welt ansehe, statt Fortschritt nur Rückschritt. Das Kopftuch ist auch ein religiöses Symbol, ja wird ja selbst im Islam so gesehen bzw. bezeichnet. Es symbolisiert ein gewisses Frauenbild und ein Geistesthaltung, die mag Ihnen gefallen, anderen eben nicht. Außerdem wird es zunehemnd auch ein Symbol des politischen Islam, siehe AKP in der Türkei, seit dort diese Islamisten an der Macht sind, werden auch bei uns die Kopftücher immer mehr.
21.04.16
15:27
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