Vor rund einem Jahr gab das Bundesverfassungsgericht an, dass das pauschale Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen verfassungswidrig ist. Aktuell wurde die Klage einer kopftuchtragenden Lehrerin vom Arbeitsgericht Berlin abgewiesen. Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. bewertet im IslamiQ-Interview die aktuellen Entwicklungen rund um das Kopftuch.
IslamiQ: In Berlin wurden die Gesetze dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht angepasst. Daraufhin klagte eine kopftuchtragende Lehrerin. Jetzt wurde die Klage abgewiesen. Was bedeutet das für den Berliner Senat und für die betroffene Lehrerin?
Boos-Niazy: Innerhalb des Senats werden die Verbotsbefürworter vermutlich zuerst einmal aufatmen, auch wenn sie sicherlich davon ausgehen, dass damit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Für die betroffene Lehrerin bedeutet es, dass sie noch mehr Zeit und Energie investieren muss, um zu ihrem Recht zu gelangen. Zunächst muss man die schriftliche Begründung abwarten und dann kann man weitersehen. Sicher ist jedoch, dass die Vorstellung, es herrsche eine Gleichbehandlung, wenn an Schulen generell niemand sichtbare religiöse Symbole oder religiös motivierte Kleidungsstücke tragen dürfe, eine sehr oberflächliche und damit nicht sachgerechte Sicht der Dinge ist. Sie berücksichtigt z.B. nicht, ob eine Religionsgemeinschaft überhaupt eine religiös motivierte Kleidung geboten sieht (dies sah das BVerfG schon 2003 als für das Kopftuch gegeben) und das ist unabhängig davon, ob alle Anhänger dieser Religion das befolgen oder nicht. Existiert ein solches Gebot nicht, dürfte ein Gläubiger kaum in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn er sich einem staatlichen Verbot gegenüber sieht, d.h. seine Religionsfreiheit wird tatsächlich nicht eingeschränkt.
Das Tragen eines Kreuzes ist so ein Beispiel im Vergleich zum Tragen einer Kippa. Da es eine religiös begründete Vorschrift für ersteres nicht gibt, für letzteres aber sehr wohl, ist es ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen, wenn man beides gleichsetzt und sagt, ein Verbot treffe beide Religionsgruppen gleichermaßen. Es wird gern vergessen, dass wir hier auch von einem Kippa-Verbot sprechen und nicht nur von einem Kopftuchverbot.
IslamiQ: In einigen Ländern wurden die Gesetzestexte nicht geändert, aber die Auslegung. Welche Gefahr birgt diese Vorgehensweise?
Boos-Niazy: Die Weigerung, die Gesetzestexte zu ändern, hat für die Betroffenen einen schalen Beigeschmack. Man könnte diese Weigerung als eine gesetzgeberische bzw. insgesamt politische Haltung interpretieren, die signalisiert, dass man sich nur zähneknirschend an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hält und geflissentlich ignoriert, dass den Frauen jahrelang Unrecht getan wurde. Man muss sich vor Augen führen, dass diese Verbote ganze Existenzen zerstört haben. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, dass der gleiche Gesetzestext, der ein Berufsverbot nach sich zog, das jetzt plötzlich nicht mehr tut. Wenn alles nur an der Auslegung liegt, dann gibt es keinen Schutz davor, dass nicht irgendwann wieder einmal Zeiten kommen, in denen die Auslegung wieder ein Verbot legitimiert. Ein solches Vorgehen schwächt das Vertrauen in diejenigen, die politische Verantwortung tragen und das ist immer schlecht, weil das letztendlich langfristig der Demokratie schadet.
IslamiQ: Gilt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht für Referendarinnen? Wieso müssen sie z.B. in Bundesländern wie NRW immer noch einen Ausnahmeantrag stellen?
Boos-Niazy: Der Beschluss nimmt keinen Bezug auf Referendarinnen, weil sie vom Verbot (theoretisch jedenfalls) nicht betroffen waren. Das liegt darin begründet, weil der Staat im Bereich der Lehrerausbildung ein Ausbildungsmonopol hat, d.h. die Ausbildung kann nicht abgeschlossen werden, ohne dass ein Referendariat abgeleistet wird. Hätte es also auch für Referendarinnen ein Kopftuchverbot gegeben, wäre das einem Berufsverbot gleichgekommen. Als ausgebildete Lehrerin hatte man immerhin theoretisch die Möglichkeit, an einer Privatschule mit Kopftuch zu unterrichten. Zugleich war das Kopftuch von politischer Seite ja als Symbol definiert worden, das den Eindruck erwecken könnte, die Trägerin stimme mit den Werten der Verfassung nicht überein. Eine „Bekundung“ von sich zu geben – in dem Falle ein Kopftuch zu tragen – die von einem Dritten als nicht verfassungskonform wahrgenommen werden könnte, ist im Schuldienst grundsätzlich verboten.
Daher wurde für das Referendariat eine Ausnahmeregelung geschaffen, sodass es mit Kopftuch abgeleistet werden konnte. Nach der Abschaffung des Verbots macht diese Ausnahmeregelung keinen Sinn mehr, denn das Kopftuch fällt ja nicht mehr unter die „Bekundungen“, die als nicht verfassungskonform gelten und nur per Antrag zugelassen sind. Dennoch wurde die Regelung aus keinem Schulgesetz entfernt. Das hat – allerdings ist uns kein Fall aus NRW bekannt – zu der absurden Situation geführt, dass von einer Referendarin mit Kopftuch ein Ausnahmeantrag verlangt werden kann, während schon ausgebildete Kolleginnen mit Kopftuch ohne einen solchen Antrag unterrichten dürfen. Was einst also als „Privilegierung“ aufgrund des staatlichen Ausbildungsmonopols gedacht war, kann jetzt zur Hürde werden. Wir gehen allerdings davon aus, dass in Kürze alle Sachbearbeiter in den verschiedenen Bundesländern darüber informiert sein werden, diese absurde Forderung zu unterlassen.
Die Ausnahmeregelung galt darüber hinaus für den Religionsunterricht. Damit sollte muslimischen Religionslehrerinnen die Möglichkeit gegeben werden, während des Religionsunterrichts ein Kopftuch zu tragen. Diese Ausnahmeregelung ist durch den Beschluss natürlich auch überflüssig, blieb jedoch ebenfalls in den Gesetzestexten erhalten. Aus unserer Sicht hätte es einfach für mehr Klarheit gesorgt, wenn der Satz entfernt worden wäre.
Das Interview führte Fatma Ertuğrul.
Wie hat sich der Kopftuchstreit in Deutschland entwickelt? Wir haben es in einemVideo zusammengetragen.