Die Debatte um die „Import-Imame“ hält an. Doch wie sieht das Berufsbild des Imams überhaupt aus und wie hat es sich im Laufe der Geschichte entwickelt? Im Gespräch mit Dr. Abdurrahman Reidegeld klären wir die wichtigsten Fragen um den heiß diskutierten Imam.
IslamiQ: Wer darf überhaupt bestimmen, welche Aufgaben ein Imam hat?
Reidegeld: Das können und müssen letztlich die islamischen Gemeinden und Gemeinschaften in Deutschland und allgemein in Europa selbst tun. Sie sind diejenigen, die ihre Religion praktizieren können müssen, und nur sie können wissen, welche theologischen und rituell-praktischen Erfordernisse und Kenntnisse das von dem Imam verlangt.
IslamiQ: Die meisten Imame gehören zum Personal der Moscheegemeinde. Wie beeinflusst dieses Angestelltenverhältnis das Wirken des Imams als Führer der Gemeinde?
Hier besteht ein wunder Punkt. Ist der Imam ein von der Gemeinde für bestimmte Leistungen bezahlter Angestellter, wagt er meist nicht, bestimmte Fehlentscheidungen des Vorstandes zu kritisieren. Je nachdem, welchen Einfluss er innerhalb der Gemeindeversammlung hat, kann er aber auf deren Meinung mehr einwirken als der Vorstand. Daher neigen manche Vorstände dazu, charakterlich schwache oder unauffällige Imame einzustellen, um leichter in der Gemeinde ihre Vorstellungen umzusetzen (etwa Bauvorhaben, Unterrichtsprojekte usw.). Das führt oft dazu, dass die traditionell starke Position des Imam unterminiert wird und sein Ansehen als Imam, nicht als Person, zu einer langsamen Aushöhlung der Imam-Aufgaben führt.
Immer mehr junge Menschen fühlen sich durch solche „Vorzeige-Vorbeter“ nicht angezogen und wenden sich logischerweise unabhängigen „Pseudogelehrten“ zu, die dann leichtes Spiel haben, die Jugendlichen zu verführen – speziell per Internet. Derzeit sind wir Zeugen eines gravierenden Paradigmenwandels, weg von dem persönlichen Kontakt mit Gespräch in der Gemeinde zum vereinsamten, individuellen Chat mit dem Internet-Scheich. Da kann auch der beste Imam kaum mehr viel gegensteuern.
IslamiQ: Ist es nicht problematisch, von Imamen auch sozialarbeiterische Aufgaben zu erwarten?
Reidegeld: Das können heutige Imame nur noch sporadisch leisten, meist in den nicht mehr jugendlichen Mitgliederkreisen, die noch das traditionelle Gemeindeleben aktiv mitgestaltet haben. Sozialarbeit, wie es von Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Sozialträgern geleistet – und bezahlt – wird, kann ein einfacher und unbezahlter Imam nicht in gleicher Qualität leisten. So sind ja auch mittlerweile in nichtmuslimischen Gesellschaftsgruppen auch professionalisierte Sozialarbeiter unterwegs und weniger der klassische Pastor oder Priester.
IslamiQ: Die Imam-Diskussion ist ein Teil der Debatten um den sogenannten „deutschen/europäischen/türkischen Islam“. Warum versuchen Staaten ständig die Religionen zu prägen?
Reidegeld: Weil der derzeitige innenpolitische Diskurs sich um den Islam als Problem, nicht als Chance, dreht. Wenn der genuine, originale, echte Islam den Muslimen nicht (mehr) bekannt ist, und die säkulare bzw. nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft einen „christianisierten“ Islam ohne gesellschaftlichen Impakt will, steht natürlich so mancher europäischer Politiker auf, der sich populistische Wählerkreise erschließen will, und fordert einen „europäischen Islam“ – den er aber genauso wenig aktiv definieren kann wie sonst jemand.
Dieser vermeintliche Islam ist nichts als ein genehmer Schatten des gelebten, friedlichen und eigenständigen Islam der Gemeinden und wird sich bei Muslimen niemals durchsetzen. Hier spielen Imame eine wichtige Schlüsselrolle: als Aufklärer über die Wirklichkeit des Islams, als Vermittler zwischen Gemeinde und Bevölkerungsmehrheit, als Diskussionspartner mit Stadtverwaltung und anderen wichtigen Akteuren der Zivilgesellschaft.
Wenn es gelingt, eine Imamausbildung mit islamisch-theologischer Qualität in Europa zu installieren, unter Wahrung unserer islamischen Werte, aber auch mit Augenmerk auf die Erfordernisse einer postmodernen, globalen, stark säkularen Mehrheitsgesellschaft, dann hat der Imam – als Berufung, nicht Beruf – eine enorm wichtige und positive Rolle inne, die wir alle uns wünschen sollten.
Das Interview führte Elif Zehra Kandemir.