Der Ramadan als Erfahrung der eigenen Grenze

Ramadan – Subtile Kritik an der Lebenshaltung

Im Ramadan sind Muslime, getragen von der Spiritualität des Fastenmonats, gepackt von der alljährlich gesegneten Atmosphäre. Inwiefern der Ramadan eine Erfahrung der eigenen Grenze ist und warum der Verzicht Reichtum bedeutet, erklärt Dr. Milad Karimi.

11
06
2016
Ramadan - spirituelle Nahrung für den Muslim
Symbolfoto: Spiritualität. Vor allem in der Kadr-Nacht von Bedeutung © by Jenny Poole auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

Der Monat, an dem die Muslime angehalten sind, in einer dezidierten Form, das Fasten zu begehen, ist mehr als bloß auf dieses und jenes Verzicht zu üben. Dieser neunte Monat im arabischen Mondkalender ist ein religiöser Topos. Vor allem mit der Herabsendung des Korans, jene erste Rührung der Offenbarung, die sich im Monat Ramadan ereignete, avanciert dieser Monat zu einer besonderen Vergegenwärtigung.

Das Fasten im Monat Ramadan lässt sich in kürzester Form als Unterbrechung beschreiben. Kein Stillstand, aber Stille. Das Alltägliche, der Stress, die Verstricktheit des Lebens mit seiner Umgebung, das Streben nach mehr und immer mehr, nach Fortschritt und Optimierung, das immerwährende Begehren, Konsum, üble Nachrede, kurz: zu leben, als würde man ewig leben, wird unterbrochen. Plötzlich ist alles anders, alles schlägt in sein Gegenteil um, der Verzicht findet nicht seine Realität dadurch, dass auf dieses oder jenes verzichtet wird, sondern im Grunde auf all das, was Leben generiert, mitten im Leben als Lebendige.

Ramadan ist ein Monat wie kein anderer, aber genau das soll er sein, ein Monat wie ein anderer. Der Monat dürfte sich nicht als Ausnahme im Jahr verstehen, sondern das ganze Jahr begleiten, im ganzen Leben gegenwärtig sein. Wenn die Fastenden im Monat Ramadan von einer einzigen Frage getragen wären, welche wäre sie? Fragen sind stets Wege, sie sind Aufgaben, Orientierungen, Erhellungen. Die Frage ist: Was hält mich in Wahrheit am Leben? Brot und Wasser sind es nicht, auch nicht alles Genussvolle, wonach wir sonst trachten. Nach welchem Glück, nach welchem Gut trachten wir zumeist im Leben? Worin besteht unsere Glückseligkeit? Was sind die Genüsse, die uns hier beflügeln, wonach wir streben? Was ist wert? Was hat Wert?

Wer sich im Islam beheimatet sieht, hadert mit sich selbst.

Muhammad al-Gazâlî (gest. 1111) erinnert an die Worte des ältesten Enkels des Propheten (Friede sei über ihn) in seiner Schrift Al-Mîzân al-Amal (Das Kriterium des Handelns), der sagte: „Die Genüsse des Diesseits beschränken sich auf die Speisen, die Getränke, das Sexuelle, die Kleider, die Wohnungen, die Düfte, die Töne und die sichtbaren Dinge. Von den Speisen ist der Honig die beste, obwohl er ein Produkt der Bienen ist. (…) Was die sexuellen Genüsse anbetrifft, so beziehen sie sich auf die Vereinigung von Organen, die dem Urinieren dienen. Es sollte dir als Beweis doch genügen, dass die Frau ihr Schönstes (das Gesicht) schminkt und man von ihr das Hässlichste will, (ihr Schoß). Der beste der Stoffe ist die Seide, obwohl sie das Produkt des Wurmes ist. Der beste unter den Düften ist Moschus, welcher dem Blut einer Ratte entnommen wird. (…) Die sichtbaren Dinge sind Schatten, die vergänglich sind“. Besteht nicht die Fragwürdigkeit solcher Glückszustände darin, dass man nach ihrer Erfüllung, wie al-Gazâlî sagte, von denen „sofort fliehen möchte“?

Das Fasten im Monat Ramadan versteht sich zugleich als eine subtile Kritik unserer Haltung zum Leben. Die Kritik bleibt nicht theoretisch, sondern Muslime vollziehen diese Kritik am eigenen Leib. Verschwendung, Hab- und Selbstsucht sind nur einige Begriffe, die hier im Mittelpunkt stehen. Wer sich im Islam beheimatet sieht, hadert mit sich selbst. Erschöpft sich die Lebensführung der Gläubigen im Hier und Jetzt, in der vergänglichen Welt, im Diesseits?

Doch damit wird das Leben hier und jetzt nicht entwertet, sondern gerade deshalb ins rechte Licht gerückt. Distanz zum Verwerflichen wird existentiell vollzogen, denn das Fasten und der Verzicht fungieren zugleich als korrektiv, so dass Muslime sich im Ramadan selbst näherkommen, sich ein Stück besser kennenlernen, zu sich selbst in Distanz gehen. Eine Einsicht, die einem sonst nur selten gewährt ist.

Der Prophet Muhammad (Friede sei über ihn), der die gesamte Erde mit einer Moschee verglich, ist Muslimen ein vorzügliches Vorbild, auch weil er den Blick verändert, die Haltung prägt, Demut lehrt, kurz: das Fasten im Monat Ramadan ist ein Sinnbild für den Islam überhaupt, in der Welt nicht in der Welt zu sein. Das Fasten scheint auf dem ersten Blick der Inbegriff einer negativen Freiheit zu sein, indem wir uns von allem entfesseln, frei sind von diesem und jenem, aber eigentümlicher Weise schlägt diese negative Freiheit in die positive Freiheit um, indem sich die Freiheit als Potenzial zum Guten, zum Wertvollen und zum Nachhaltigen offenbart. So lässt sich der Islam und im Konkreten das Fasten im Monat Ramadan als freiheitsstiftend begreifen, weil er die Unverfügbarkeit des Menschen bewahrt und stiftet, indem er die Erfahrung mit der eigenen Grenze in den Mittelpunkt rückt – in der lebendigen Hingabe vor Allah.

 

 

Leserkommentare

M.F sagt:
Das war wunderschön. Danke für diesen tollen Einblick in den gesegneten Monat Ramadan.
12.06.16
10:28
customer sagt:
der Artikel ist etwas verwirrend für mich, ich verstehe nicht ganz.... zuerst steht da: Was die sexuellen Genüsse anbetrifft, so beziehen sie sich auf die Vereinigung von Organen, die dem Urinieren dienen. Es sollte dir als Beweis doch genügen, dass die Frau ihr Schönstes (????) (das Gesicht) schminkt und man von ihr das Hässlichste (????) will, (ihr Schoß). Der beste der Stoffe ist die Seide, obwohl sie das Produkt des Wurmes ist. Der beste unter den Düften ist Moschus, welcher dem Blut einer Ratte entnommen wird. (…) Die sichtbaren Dinge sind Schatten, die vergänglich sind“. Besteht nicht die Fragwürdigkeit solcher Glückszustände darin, dass man nach ihrer Erfüllung, wie al-Gazâlî sagte, von denen „sofort fliehen möchte“? .. ich habe (????) gesetzt , aber immerhin noch verständlich,, unverständlich war mir dann aber mit dem nächsten .. z.B. : "Distanz zum Verwerflichen wird existentiell vollzogen, denn das Fasten und der Verzicht fungieren zugleich als korrektiv...", es indirekt wieder als richtig dargetan wurde : das "hässlichste" als ihr Schoß ?? ist es denn das Hässlichste ? ist denn das Urinieren hässlich, welches "korrektiv" ist gemeint ??
12.06.16
15:14
Ute Fabel sagt:
@ customuer: Wenn Muhammad al-Gazâlî der ältesten Enkel des Propheten war, dann muss das, was er gesagt hat, schon einfach deshalb wunderbar sein, auch wenn wir es nicht verstehen. Das dürfte der Zugang des Autors sein, der den Artikel verfasst hat. Der Satz "Was die sexuellen Genüsse anbetrifft, so beziehen sie sich auf die Vereinigung von Organen, die dem Urinieren dienen" drückt eine abwertende, negative Einstellung zur körperlichen Liebe aus, die ich völlig ablehne und die ich überhaupt nicht schön finde. Entschleunigung ist auch für mich ein wesentliches Lebensziel in unserer hektischen Welt - allerdings während des ganzen Jahres. Ich kann allerdings keinen Sinn darin sehen, einmal im Jahr ein Monat lang bei Tageslicht keinen Sex haben und nicht essen zu dürfen, nach Einbruch der Dunkelheit allerdings schon. Das ist nur Traditionspflege der Traditionspflege zuliebe. Das dient nur dem Gruppengefühl, man kann sich dann einreden man sei besser als die anderen, die das nicht machen. Der Menschheit insgesamt bringt das gar nichts. Andere Religionen, wie die Zeugen Jehovas, dürfen z.B. Geburtstage nicht feiern, weil das der Gott nicht will, an den sie glauben.
14.06.16
10:22
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Das schöne an Deutschland ist, dass es Religionsfreiheit gibt und jeder glauben darf, was er will. Folglich dürfen natürlich auch Sie den Ramadan für Unsinn halten.
16.06.16
12:00
L.T sagt:
Warum Fasten freiheitsstiftend sein soll, ist nicht begründet. Die Erfahrung ist eher anders: Im Ramadan herrscht überall in der muslimischen Welt eine kaum verborgene Aggressivität gegen diejenigen, die nicht fasten. Der wahre Wert des Fastens würde sich ja gerade darin ausdrucken, dass man auch dann mit einer inneren Ruhe und Gelassenheit fastet, wenn der Umwelt seine Freiheit gelassen wird, nicht fasten zu müssen. Momentan ist aber so, dass die Frommen, die fasten, das irdische Leben den Anderen zur Hölle machen, um selber ins Paradies zu kommen. Irgendetwas stimmt hier ethisch nicht.
17.06.16
12:21
Ruth sagt:
@L.T Mich hat hier noch kein Muslim aggressiv angegangen, weil er fastet und ich nicht. Wie es in der "muslimischen Welt" (wo genau liegt die?) ist, kann ich nicht beurteilen. Das ist mal wieder eines der Argumente, die sich nicht widerlegen lassen, weil sie frei erfunden und nicht (so leicht) nachprüfbar sind.
17.06.16
15:07
Das Bedenklichste sagt:
Die Gedanken des Dr.Karimi zum Ramadan sind sehr grundsätzlicher und in ihrer Kürze doch ziemlich plakativen Natur. Fast scheint es als wolle der Text mehr glänzen als wirken, vorallem zum Nachdenken anregen. Kann es sein, dass hier die Vorgabe mit wenigen Worten Wesentliches zum Thema Ramadan zu schreiben, am Wunsch alles zu sagen, scheiterte? Nur als Beispiel der letzte Satz, was hat die Freiheit zum Wertvollen und Nachhaltigen mit der Unverfügbarkeit des Menschen mit der Bindestrich Hingabe an Allah zutun? Je öfter ich es lese umso weniger verstehe ich, was der Autor mir damit sagen will!
20.06.16
3:48
Sarah sagt:
Wo liegt bitte die islamische Welt?? Der Islam ist kein Staat oder Politische Bewegung, also nicht wie die christliche "Welt" oder auch die jüdische. Oder gibt es etwa ein atheistisches Land?? Wenn ja wo soll das bitte liegen? Zu dem Punkt, in der Muslime nicht fastende heruntermachen. Wo bitte hast du Beweise? Falls ihr das von den Medien entnommen habt, wieso glaubt ihr so etwas aber nicht etwas was gegen euch gerichtet ist? Oder seht ihr euch immer als richtig an? Kein Mensch ist perfekt. Der Ramadan ist für viele die nicht fasten und ihren Gelüsten nachgehen und unter Gelüste ist NICHT nur sexuelles gemeint oder das Essen gemeint. Aber gut, das wäre zu komplex für euch, da noch tiefer einzugehen. Da ich mir sicher bin, wenn ihr euch mit eurem eigenen Ich beschäftigen würdet und eine ehrliche Selbstreflektion machen würdet, ihr würdet euer Benehmen und auch eure Lebens- und Denkweise verachten. Dann verstehe ich nicht warum euch das so sehr angreift wenn Muslime fasten. Steht irgendwie auf den Köpfen irgendein Kopftuch wo steht, "Hallo, ich faste!" Oder wie wollt ihr das Fasten negativ darstellen. Zudem fällt mir immer wieder auf, dass diejenigen Menschen die eigentlich mit dem Islam sich kaum beschäftigen wollen, dann doch zum Fastenbrechen kommen und mitessen, aber sobald sie vom Esstisch gehen, kehrt euer wahres Gesicht wieder. Mit Hass gegenüber "einer Religion", von der ihr nur Zitate aus den Medien und einigen Mitmenschen gehört habt. Ich würde nicht mit nichtmuslimen diskutieren, wenn ich kein Vorwissen über den Christentum oder das Judentum habe. Was man nicht will, das man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu! Der Hass ist nicht im Islam verankert! Der Muslim, der hassgefüllt ist muss sich deshalb im Ramadan ausreinigen, manche geraten an ihre Grenzen und lernen welche Fehler sie gemacht haben oder machen, für Nicht-Muslime ist es einfach unverständlich. Für euch wäre es eine Katastrophe mal nicht sein Frühstück zu haben. Ihr seid an weltliche Dinge gebunden, die euch unbemerkt versklaven.
25.06.16
18:46
Mads sagt:
@Sarah: Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn ein Busfahrer fastet und damit meine Sicherheit gefährdet, weil er sich nicht mehr richtig konzentrieren kann und mit den Gedanken schon beim iftar ist. Das gilt eigentlich für jeden fastenden Muslim, der Auto fährt. Auch geht es mich etwas an, wenn Muslime fordern, dass wir auf sie Rücksicht nehmen und nicht in ihrer Gegenwart essen oder trinken sollen. Wie soll das denn gehen? Im Ramadan lungern fastende Muslime in der Gegend rum, so dass man also gar nicht mehr in ein Straßencafé oder Restaurant gehen könnte, ohne in Anwesenheit eines Muslim zu essen oder zu trinken. Natürlich bin ich bereit, in dieser Zeit nicht in Dönerbuden zu gehen. Aber gänzlich zu verzichten? Nein danke! Warum soll ich in meinem Land zu Hause heimlich essen und trinken? Sollen doch die fastenden Muslime in ihren Wohnungen bleiben, wenn sie den Anblick Essender und Trinkender nicht ertragen können.
29.06.16
10:58
Sarah sagt:
xD Oh mann, das ist doch nicht tatsächlich dein ernster Kommentar dazu! Ich weiß nicht wie alt du bist, aber definitiv nicht älter als drei! Fantastisch und amüsant. Also liebe Mads, kontrollierst du mittlerweile wer gefrühstückt hat und wer nicht? Gab es in deinem Leben (falls du überhaupt lange gelebt hast), irgendein Unfall durch einen Fastenden. Hahaha das ist einfach herrlich. "Im Ramadan lungern fastende Muslime in der Gegend rum" dein Zitat! Hattest du vorher einen Zombiefilm gesehen oder warum schiebst du dir solche Filme? In einem Restaurant wirst du sowieso keinen Muslim sehen, das beweist, wie sehr dich tatsächlich so etwas beschäftigt. Und was macht der muslimische Dönerverkäufer? Auch hungern vor dem Spieß seines eigenen Ladens? xD Tut mir leid, aber deinen Kommentar kann man echt nicht als Kommentar mehr ernst nehmen.
29.06.16
23:08
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