Anlässlich des gestrigen Weltflüchtlingstages wurde das Leid der Flüchtlinge angesprochen. 63 Millionen Geflohene weltweit stellen einen traurigen Rekord auf. Doch hinter Zahlen verbergen sich Menschen. Nahla Osman schreibt über sie.
Was geht in den Geflüchteten vor? Woran denken sie und was beschäftigt, bedrückt und belastet sie? Nachdem sie in ihrer Heimat gejagt, verhöhnt, gedemütigt, geschlagen, gefoltert, verhaftet und täglich bombardiert wurden, nachdem sie auf dem Meer fast ertranken, tagelang zu Fuß durch Wälder und Gebirge umherirrten, von der ungarischen oder bulgarischen Polizei möglicherweise eingesperrt wurden und endlich Deutschland erreichten, müssen sie nun feststellen, dass es möglicherweise noch schwieriger wird.
Der Alltag mit den Sprachbarriere und dem harschen Ton in den hiesigen Behörden lässt viele – besonders Männer – dazu tendieren, lieber zurück in die Heimat zurückkehren zu wollen. Lieber an einen Ort, den man kennt und deren Sprache man spricht. Warum?
Die jungen Männer, die aus dem Ausland nach Deutschland fliehen, fallen nicht zuletzt durch die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln unter massiven Generalverdacht: diese jungen Männer würden nur verhüllte Frauen und „unsere Frauen“ nur als Objekte wahrnehmen usw.
Aber diese jungen Männer sind genauso „unsere“ jungen Männer in Deutschland. Manche sind zielstrebiger als die anderen, manche schlafen gerne lang und sind faul, wieder andere wenige begehen auch mal eine Straftat. Es sind dieselben Probleme wie wir sie auch in unseren Reihen verzeichnen. Geflüchtete sind keine Heiligen und keine Verbrecher, es sind Menschen mit einer traurigen Besonderheit: Sie sind gekennzeichnet durch Krieg, Zerstörung und der Flucht.
Die vielen Frauen, die mit Kindern nach Deutschland fliehen, suchen Halt. In der Heimat, so in Syrien, waren sie meist von ihren Ehemännern abhängig. Einkaufen, die Kinder in die Schule oder zum Arzt fahren, dies tat alles der Mann. Natürlich gibt es viele Gebildete unter ihnen, aber in Deutschland ist sie nun allein. Meist hat sie zwei oder drei Kinder und die Situation allein in der Fremde belastet sie sehr. Besonders wenn ein Kind erkrankt, der nächste Arzt erst 50 Minuten Fußweg entfernt ist und niemand da ist, der sie versteht.
Um die Kinder mache ich mir weniger Sorgen, denn obwohl sie so viel Leid erlebten, sind sie die ersten, die die deutsche Sprache erlernen, die Witze verstehen und Freunde finden. Sie werden ihren Weg gehen.
Aus meinen zahlreichen Begegnungen mit Flüchtlingen, habe ich viele Lebensgeschichten der Männer, der Frauen und den Kindern persönlich erzählt bekommen, die mich zeitweise tieftraurig gestimmt haben. Kommen wir beispielsweise zu dem Geschäftsmann, der sein Leben bis vor Kurzem noch erfolgreich in Aleppo oder Homs verbrachte, der ein Auto, einen Beruf hatte und durch die Welt reiste. Dieser Mann muss jetzt nun von SGB II leben, wird in den Behörden angeschrien- ja angeschrien, wenn er versucht, sich in seinem einwandfreien Englisch zu verständigen, denn Amtssprache sei ja „Deutsch“. Dieser Mann ist es nicht gewohnt, dass man ihn respektlos ansieht und würdelos behandelt. Solche Männer spreche ich immer wieder und das schmerzhafteste ist in der Tat, solch ein Mann weinen zu sehen.
Einen Mann, der es nicht wahrhaben kann, alles verloren zu haben. Dem der Neuanfang in Deutschland mit Wohnsitzauflagen, den komplizierten Businessplänen, den Integrations-und Deutschkursen und dem Wohnraumproblem nur erschwert wird. Ein Mann wie Herr Mohamed.
Herr Mohamed kommt mit Ehefrau und drei Kindern, zwei Töchtern (23 und 19 Jahre ) und dem Sohn (14 Jahre) im Rahmen des Landesaufnahmeprogamms NRW mit einer Verpflichtungserklärung seines Schwagers nach Deutschland. In Syrien besaß er drei Lebensmittelläden, seine Töchter studieren Medizin und sein Sohn besuchte eine Privatschule. Bis zum Jahr 2011. Bis zu diesem Zeitpunkt besuchte der Schwager mit seiner deutschen Ehefrau jedes Jahr die Familie in Syrien für mehrere Wochen. Er schöpfte die Gastfreundschaft selbstverständlich voll aus und nun wendete sich das Blatt. Die fünfköpfige Familie verlor alles in Syrien und zog zunächst in die 3 Zimmerwohnung des Schwagers.
Herr Mohammed wollte mit seinem eigenen Geld auch in Deutschland ein Geschäft eröffnen, aber musste zunächst versuchen eine Wohnung zu finden.
Nachdem es nun ganze zehn Wochen dauerte bis er endlich seinen Aufenthalt für 2 Jahre erhielt, musste er feststellen, dass er nur in NRW leben darf. Zudem kann er mit diesem Aufenthalt keine selbständige Tätigkeit ausüben und das Miteinander in der Dreizimmerwohnung wurde zu einem Albtraum. Ständig stritt man sich, die Direktheit des Schwagers und dessen Ehefrau kränkten die Familie immer mehr, sodass die Ehefrau beschloss, zurück nach Syrien zu reisen.
Da auch die 23 jährige Tochter feststellen musste, dass ihre 4 Jahre Medizinstudium hier nicht anerkannt werden und sie zunächst eineinhalb Jahre Deutsch lernen müsste, ihre Kommilitoninnen in Syrien dann aber bereits mit ihrem Studium fertig wären, entschloss sie sich, mit der Mutter in den Bombenhagel zurück zu reisen und zu versuchen, zu Ende zu studieren.
Der Vater war nun mit Tochter und pubertierendem Sohn allein bei dem genervten Schwager.
Nach ein paar Monaten mietete er sich endlich eine Zweizimmerwohnung an. Doch das war die einzige positive Entwicklung: In der zuständigen Behörde versteht man nicht, dass er sich selbständig machen möchte – oder will es nicht verstehen, der Schwager redet nicht mehr mit ihm und die Ehefrau und Tochter sind mittlerweile seit über 21 Tagen in Syrien nicht mehr zu erreichen.
Diese Menschen benötigen unser Ohr, unser Herz und unsere Geduld. Sie haben so viel verloren, dass jedes falsche Wort, eine falsche Geste verheerend sein könnte. Dieses Willkommensgefühl, dass den Geflüchteten entgegengebracht wurde, darf nicht am Bahnhof enden. Die steigenden fremdenfeindlichen Vorfälle auf Flüchtlinge müssen von jedem verurteilt werden und Wiederholungen müssen präventiv ausgeschlossen werden. Sie müssen in Deutschland Ausnahmen bleiben. Ich hoffe, wir alle ermöglichen den Flüchtlingen überall in Deutschland ein neues zu Hause in Sicherheit, Frieden und mit Zukunftsperspektiven. Denn das ist doch das mindeste.