Autoren schreiben hunderte Seiten, doch was passiert wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Amina Luise-Becker und ihr Buch „Spurensuche“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Spurensuche“ gerne schenken und warum?
Becker: Innerhalb meines Projektes „Integration durch Religion“ würde ich mein Buch den Jugendlichen, die daran teilnehmen, näherbringen wollen. Darüber hinaus hoffe ich, dass sich Lehrpersonen in den muslimischen Gemeinschaften und in den Moscheen das Buch zulegen.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Becker: Aktuell vergeht kein Tag, an dem nicht medial zum Thema Islam berichtet wird. Leider ist diese Berichterstattung mehrheitlich nicht objektiv. Eine ganze Reihe von international anerkannten Untersuchungen bestätigt die vielfache Diskriminierung der Muslim_innen in Europa. Die gesellschaftliche Meinung weiter Teile der europäischen Bevölkerung zum Islam wird erschreckenderweise mehr und mehr islamophob.
In den zugelassenen Schulbüchern finden sich zum Thema Islam teilweise immer noch diskreditierende, rassistische Darstellungen des Islams, die schon vor zwei Jahrzehnten durch anerkannte Studien als diskriminierend entlarvt wurden, weil sie dem Anspruch einer objektiven Darstellung des Islams nicht entsprachen. Auch diese Kritiker verwechselten – ob absichtlich oder durch Unwissen – die Lehre mit dem Brauchtum.
Muslim_innen müssen jedoch auch selbst mehr auf die genuin islamische Erziehung und Bildung ihrer Jugend achten. Sie sollten die Heranwachsenden stärken, in dem diese mittels eines gründlichen Wissens über die islamische Lehre und Lebensweise sowie eines breiten gesellschaftlichen Allgemeinwissens die Defizite ausgleichen können. Dies dient ihrem Seelenfrieden, aber auch um auf Kritik sachlich antworten und sich in die Gesellschaft einbringen zu können. Auf der anderen Seite wäre es gut, wenn die Gesellschaft wahrnähme, dass durch die Lehre des Islams Andersdenkenden keinerlei Schaden entsteht, im Gegenteil ein produktives Miteinander gefördert würde. Eine Veränderung in der negativen Haltung gegenüber dem Islam kann nur durch authentisches Wissen auf beiden Seiten erreicht werden. Integration bedeutet Mitsprache. Sie ist keine Einbahnstraße.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Becker: Ich denke Voltaire hat Recht. Bücher die das Innere des Menschen nicht berühren wären besser nicht geschrieben worden, ausgenommen vielleicht Sachbücher. Heute ist der Markt überfrachtet mit Literatur, welche die problematischen gesellschaftlichen Trends in einer neoliberalen, kapitalistischen Gesellschaft befeuern; einer Gesellschaft in der Gewinnmaximierung die Grundmaxime des Lebens geworden ist. Das ist nicht ungefährlich für die ethische Entwicklung der Menschen. Den Muslim_innen wird es verunmöglicht hierauf Einfluss zu nehmen und Selbstdarstellungen mit einzubringen; sie werden nicht beteiligt. In Diskussionen geht es meistens nicht um Problemlösungen, im Gegenteil, Muslim_innen sollen sich für ihre Lebensweise rechtfertigen.
Muslim_innen müssen daher selbst mehr für islamkonforme Literatur Sorge tragen. Es gibt zwar zunehmend einiges an Büchern für muslimische Jugendliche in der Sprache, in der diese sich täglich in Schule und Freizeit artikulieren, jedoch müssen wir beachten, welche pädagogischen Leitlinien diese Bücher beinhalten. Bücher, die überwiegend oder gar ausschließlich normative Inhalte vermitteln, haben kaum eine Chance die heutigen religiösen Bedürfnisse der Jugend zu befriedigen. Sie entsprechen auch wenig dem koranischen Menschenbild. Religion ist Befreiung. Wenn sie durch überbordende normative Erziehung zur Bedrückung wird, stimmt etwas nicht.
IslamiQ: Ihr Buch „Spurensuche“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Becker: Pädagogisch lehrreich, wissenschaftlich/authentisch, unterhaltsam.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Sie haben auf Grundlage des Korans, islamische Rätselgeschichten und Krimis geschrieben. Wollten Sie so einer jüngeren Leserschaft einen alternativen Zugang zum Koran bieten?
Becker: Ja, die Geschichten beruhen alle auf koranischen Texten. Junge Muslim_innen kennen mehrheitlich koranische Aussagen in deren Bedeutung für ihr Leben nicht; sie kennen auch wenig von ihrer Geschichte. Es wird ihnen manchmal auch ein problematisches Gottesbild vermittelt. Schüler_innen finden zu den klassischen islamischen Lehrbüchern und Unterrichtsmethoden kaum noch einen Zugang. Die Differenz zu ihrer Lebenswelt ist viel zu groß. Solche Werke lassen viele eher traurig und frustriert zurück. Wir müssen Literatur entwickeln, welche das Interesse der jungen Menschen an Religion weckt und deren Bedeutung für ihr Leben offenlegt. Das gelingt nur, wenn wir von ihrer Lebenswirklichkeit ausgehen, denn lassen wir diese außer acht, verstärken wir ein dualistisches Weltbild.
Auch der Koran spricht in den seinerzeit vorgefundenen Kontext hinein und setzt sich mit ihm auseinander. Wenn wir dies nicht bedenken, erzieht die Gesellschaft die Jugendlichen im Sinne der Alltagsrealität und die Moschee zu einer davon. Wir finden im Koran beide Welten: die des Alltags und der Religion. Heute werden aber den Schüler_innen meistens beide Welten getrennt und mit völlig anderen Lehrmethoden vermittelt. Das Resultat ist, dass sie sich im Alltag zurechtfinden, in der Welt der Religion aber nicht, oder sie haben zu ihr nur einen statischen Zugang. Zur notwendigen Veränderung an pädagogisch und didaktischen Methoden wollte ich einen praktischen Beitrag leisten.