München, Kabul und Syrien. Terror und Tod sind Vokabeln unserer Zeit. Jeder geht anders damit um. Esra Lale schreibt wie sie den Freitagabend, als die Bluttat in München geschah, erlebt hat und was solche Nachrichten anrichten.
Ich sitze mit zwei Freundinnen im Eiscafe und bestelle mir einen großen Sommerbecher. Entspannt lehne ich mich zurück und blicke in den himmelblauen Himmel, ein perfekter Freitagabend, ein wohlverdienter Feierabend. Schnell noch auf das Handy blicken –eine berufsbedingte Neurose- und da steht es. München. Schüsse. Terror.
Ich blicke meine Freundin an, auch sie hat ihr Handy in der Hand und unsere Blicke kreuzen sich. Der entrüstete Blickaustausch nach der Erkenntnis, dass es wieder passiert ist. Man redet von einer Terrorlage. Es gleicht schon fast einem Automatismus zu hoffen, dass es nicht schon wieder ein „islamistischer“ Terroranschlag ist. Traurig. Vor allem, weil wir uns dran gewöhnt haben. An Terror –egal welcher Art.
Wir beschließen unsere Handys nicht anzurühren und unseren Feierabend zu genießen. Keine Kraft sich damit zu befassen. Keine Kraft zu verfolgen wie Opferzahlen von Stunde zu Stunde ansteigen. Wie egoistisch denke ich mir noch, doch diese Anschläge machen mich kaputt. Wir wollen München einfach für ein paar Minuten ausblenden, einfach nicht dran denken.
Die Kellnerin hat inzwischen den Sommerbecher gebracht, ein vages „Dankeschön“, gefolgt von der Vorfreude auf das Eis und dann schon wieder. München. Meine Gedanken wollen einfach nicht ruhen. Auch meine Freundin hat ihr Handy wieder in der Hand. Wir wollen, aber können nicht. Sie muss später mit dem Zug nach Duisburg fahren aber fürchtet sich: „Weißt du wie unangenehm es ist, nach so einer Nachricht als erkennbare Muslima in der Bahn zu sitzen?“, „komm lass uns einfach das Eis geniessen“, erwidere ich. Also zwinge ich mich dazu wieder glücklich zu sein und diesmal schaffen wir es auch für circa 15 Minuten einfach nur drei Freundinnen im Eiscafe zu sein.
Dann blinkt mein Handy wieder. „Was geht in dieser Welt ab?“ schreibt eine andere Freundin und ich schließe meine Augen, seufze und sehe ein, dass ich nicht ignorieren kann, was vor meinen Augen passiert. Wir fragen nach der Rechnung, bezahlen und verabschieden uns voneinander und innerlich freue ich mich, dass ich nur ein paar Schritte brauche und nicht mit dem Zug fahren muss.
Ich versuche zu reflektieren was gerade passiert und versuche meine Gedanken zu sortieren. Ich fühle mich schlecht, weil ich unbedingt meinen Feierabend genießen wollte. Wut kommt in mir auf, weil ich an Syrien denken muss. Wut, weil mir bewusst ist, dass ich von Glück reden kann, dass ich überhaupt einen Feierabend haben, ein Eis essen und mich mit Freunden treffen kann. Dann nehme ich mir wieder das Handy in die Hand und verfolge die Geschehnisse in München. Später in der Nacht dann die Erkenntnis, dass es kein „islamistischer“ Anschlag war. Ich freue mich. Im gleichen Moment frage ich mich, wie falsch es ist sich darüber zu freuen. Außerdem weiß ich, dass meine Freundin in der Bahn trotzdem blöd angeguckt wurde.
Wie falsch es ist, sich darüber zu freuen, wird mir etwas später klar. Zu klar. Ich lese, dass ein 18-jähriger gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund getötet hat. Er habe Breivik nachahmen wollen. Genau fünf Jahre nach dem schrecklichen Blutbad in Norwegen. Unter den Toten in München soll ein 15-jähriges Opfer, das von hinten angeschossen wurde zu den Rettungskräften gesagt haben: „Ich will nicht sterben, aber ich sterbe jetzt“. Ich lese diese Zeilen und meine Augen füllen sich mit Tränen. Zuletzt musste ich weinen, als ich ein Video angeschaut habe, das zeigte wie syrische Kinder im Alter von fünf und sieben den Tod ihres dreijährigen Bruders beweint haben. Der Älteste erklärt, dass sie doch nur Fußball spielten und plötzlich eine Bombe einschlug. Ich wische mir die Tränen weg und lese weiter.
Es geht eben immer weiter. Tod, Terror, und Bomben sind nun mal Vokabeln unserer Zeit. Noch in dem Moment indem meine Augen trocknen, weiss ich, dass ich irgendwann nicht mehr weinen werde. So wie ich es heute geschafft habe den Sommerbecher auszulöffeln. Das macht mir Angst. Ich möchte nicht noch weiter abstumpfen und mich dran gewöhnen. Ich lege mein Handy endgültig weg und mache das Licht aus. Jetzt möchte ich einfach nur Ruhe im Kopf. Möchte schlafen. Da ist mir noch nicht bewusst, dass am nächsten Tag wieder mindestens 80 Menschen bei einem Selbstmordanschlag in Afghanistan sterben werden.