Das Bild des kleinen Omran, der in Aleppo nach einem Bombenangriff gerettet wurde, erschüttert die Welt. Aber was kann es bewirken? Oder ist es bald schon wieder vergessen?
Ein kleiner Junge sitzt blutverschmiert und voller Staub von Bombentrümmern in einem Rettungswagen. Das Bild aus Aleppo geht um die Welt. Für den Krieg in Syrien ist es nach mehr als fünf Jahren und Hunderttausenden Toten ein Schlüsselfoto. Die Zeitungen heben es auf den Titel, im Internet verbreitet es sich rasant.
Ähnlich war das im Spätsommer 2015, als das Bild des drei Jahre alten Aylan viele Menschen erschütterte. Seine Leiche wurde an einen türkischen Strand gespült. Der syrische Junge war einer von Hunderten von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertranken. Es wurde eines der Symbolfotos der Flüchtlingskrise – in dem Sommer, als Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren berühmten Satz sagte: „Wir schaffen das.“
Was kann das Foto von Omran aus Aleppo bewirken? Sicher ist: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Sicher ist auch: Ein Omran allein kann den Krieg nicht stoppen.
Der Medienethiker Alexander Filipović meint: „Es kann viel bewirken, weil es dem Leid ein Gesicht gibt.“ Es erhöht aus seiner Sicht den Druck in der Öffentlichkeit und könnte der Politik einen Schub geben.
Die ethische Debatte um Omran ist anders als bei Aylan. Der Junge aus Aleppo wurde aus den Bombentrümmern gerettet, er hat überlebt. Bei Aylan wurde diskutiert, ob man ein totes Kind überhaupt so zeigen darf. Ist das respektlos? Nimmt es ihm seine Würde? Dass der chinesische Künstler Ai Weiwei das Bild des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen später am Strand einer griechischen Insel nachstellte, fanden manche ziemlich daneben.
Die Bilder aus Aleppo entstehen generell nicht ganz zufällig. Medien-Aktivisten suchen Motive mit dem Ziel, ikonische Bilder zu schaffen. Sie wissen sehr genau um die Wirkung, die von den Aufnahmen ausgehen kann. Im Fall von Omranwar es das oppositionelle Aleppo Media Center, das am Mittwochabend nach einem Luftangriff ein Video aufnahm. Der Fotograf Mahmud Raslan war dabei.
Natürlich löse das Bild von Omran Mitleid aus, sagt Marion Müller, Professorin für Massenkommunikation an der Jacobs University Bremen. Aber es sei eine zweischneidige Sache: „Ein einmal gesehenes Bild können wir nicht löschen.“ Es bestehe die Gefahr der emotionalen Abstumpfung.
Anders als im Sommer 2015, als es bei den Toten im Mittelmeer eine offensichtliche Möglichkeit zum Handeln gab, könne es diesmal eine Ohnmacht auslösen, nach dem Motto: „Wir schaffen es eigentlich nicht. Die Welt ist schlecht, wir können nichts tun.“ Wichtig ist für sie, dass die Medien das Bild nicht wie jedes andere Pressebild behandeln, sondern in einen genauen Kontext setzen – und dabei nicht „leidenspornografisch“ und voyeuristisch sind.
Bilder von Kindern: Das löst oft große Emotionen aus. So war es vor Jahrzehnten bei den Hungerbäuchen von afrikanischen Kindern, auch als Biafra-Bäuche bekannt. Berühmt ist das Bild der neunjährigen Vietnamesin Kim Phúc, die nackt vor einem Napalmangriff flieht. Es wurde 1972 ein Symbol für das Grauen des Krieges in Vietnam.
„Schockbilder erwecken Aufmerksamkeit und rütteln wach“, sagt Rudi Tarneden, Sprecher von Unicef Deutschland. „Aber sie überfordern oft auch und erzeugen Abwehr und Angst.“ Auf die Spendenbereitschaft hätten sie daher wenig Einfluss. „Als Hilfsorganisation zeigen wir Bilder, die dokumentieren, wie trotz schwierigster Situationen Kindern geholfen werden kann.“
Gibt es sie also, die Macht der Bilder? Sie ist begrenzt, sagt Karen Fromm, Professorin für Fotojournalismus in Hannover. Im täglichen Mediengeschäft würden die Bilder des Tages zuvor leider schnell von immer wieder neuen eingeholt.
Die Problematik solcher Aufnahmen sei, dass sie für die unterschiedlichsten politischen, kommerziellen und religiösen Zwecke funktionalisiert würden. Auch bei dem „unendlich traurigen“ Bild von Omran sieht Fromm diese Gefahr. Und: „Es geht nie nur darum, dass etwas gezeigt wird, sondern immer auch darum, wie, wann, warum und wo etwas gezeigt wird und wer es zeigt. Und, was eben gerade nicht gezeigt wird.“ (dpa, iQ)