Interview mit Ibrahim Olgun

„Vielfalt der Muslime als Einheit begreifen“

Ibrahim Olgun ist neuer Vorsitzender der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Im IslamiQ-Interview spricht Olgun über den innermuslimischen Diskurs in Österreich, seine Rolle als Brückenbauer und das neue Islamgesetz.

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08
2016
Ibrahim Olgun © Facebook Konder Avusturya Konyalilar Der

IslamiQ: Sie sind zum Vorsitzenden der größten islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gewählt worden. Wie sehen Ihre zukünftigen Pläne aus?

Ibrahim Olgun ist neuer Vorsitzender der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Der 28-Jährige studierte islamische Theologie in Ankara. Nach seinem Abschluss setzte er sich als Integrationsbeauftragter für den interreligiösen Dialog ein. Ab 2014 arbeitete er als Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht.

Ibrahim Olgun: In Österreich liegt im Status staatlicher Anerkennung eine große Chance und gleichzeitig eine große Verantwortung. Ich möchte die Institution der Islamischen Glaubensgemeinschaft zum Wohle aller Musliminnen und Muslime stärken – ganz gleich, wie stark sie die Religion praktizieren oder aus welchem Land sie ursprünglich kommen. Schon jetzt sind wir im Bildungsbereich durch den Islamunterricht an öffentlichen Schulen sehr stark. Doch hier lässt sich die Attraktivität des Unterrichts immer noch verbessern. Junge Menschen erwarten einen lebensnahen Unterricht, der Orientierung bei praktischen Fragen des Alltags gibt. Dieser Unterricht soll auch mehr Wertschätzung von außen erfahren und damit Vorurteile gegen Muslime abbauen helfen.

„Muslime sind hierzulande so integriert, dass sie längst anderen helfen können, in der Gesellschaft ihren Platz zu finden“.

Darüber hinaus möchte ich die Projektarbeit verstärken. Hier setze ich auf mehr Koordinierung und Ressourcenbündelung im islamischen Vereinsleben. So wie es Caritas und Diakonie gibt, brauchen wir endlich ein Sozialprogramm, das auf muslimischer Seite einen ähnlichen Anspruch erheben kann. Gerade in der Flüchtlingsfrage leisten Muslime unbemerkt von der Öffentlichkeit sehr viel Arbeit. Das wollen wir durch mehr Zusammenarbeit und eine neue Struktur effizienter und sichtbarer. Darin liegt schließlich auch eine wichtige Botschaft: Muslime sind hierzulande so integriert, dass sie längst anderen helfen können, in der Gesellschaft ihren Platz zu finden. Das würde endlich auch zeigen, dass das Integrationsthema längst viele Erfolgsgeschichten vorweisen kann und wir nicht auf der Stelle treten, wie das manche suggerieren wollen. Selbst einem Kind der zweiten Generation, das hier geboren und aufgewachsen ist, möchte ich das immer wieder in Erinnerung rufen.

IslamiQ: Sie beschreiben sich als Brückenbauer zwischen Muslimen und Österreichern. Glauben Sie, dass es dieser Brücken nach so langer Zeit immer noch bedarf?

Ibrahim Olgun: Allerdings! Gerade die Ereignisse der letzten Wochen haben in einer Stimmung, die ohnehin von Verunsicherungen (Terror, Wirtschaftsprobleme, Sorgen um die Zukunft) geprägt ist, wurden Ressentiments und tief sitzende Ängste nach oben gespült. Aus Islamfeindlichkeit wird zunehmend auch Türkenfeindlichkeit. Es ist gut, dass wir durch unsere Anstrengungen im Dialog heute auf viele Partner setzen können. Denn es wäre ein Trugschluss je anzunehmen, dass Dialog nicht mehr gebraucht würde.

IslamiQ: Worin sehen Sie Ihre Aufgabe als Brückenbauer genau?

Ibrahim Olgun: Der innermuslimische Diskurs ist mindestens so wichtig wie jener nach außen. Daher möchte ich mich in meiner Funktion als IGGiÖ-Vorsitzender auch dafür einsetzen, dass sich die muslimische Gemeinschaft in all ihrer Vielfalt stärker als Einheit begreift. Dazu muss man aber auch zu Unterschieden stehen können und diese untereinander diskutieren – ohne zu meinen, Muslime müssten immer einer Meinung sein. Weil der Diskurs so stark von außen bestimmt wird, müssen wir darauf achten, auch unsere eigenen Fragestellungen nicht aus den Augen zu verlieren. Wir dürfen gewisse von außen erlebte hysterische Versteifungen nicht mitmachen.

Gleichzeitig müssen wir dran arbeiten, theologisch konkret zu zeigen, dass es vereinbar ist sich muslimisch zu begreifen und dabei zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Menschenrechten zu stehen. Dabei geht es auch um all die Alltagsfragen, die dabei auftauchen können und authentische Antworten, die aber frei davon sind, es irgendjemandem vorrangig „recht machen zu wollen“.

IslamiQ: Kritiker sprechen von einer „undemokratischen, gesetzeswidrigen Wahl“. Wie kommt das?

Ibrahim Olgun: In Österreich scheinen Wahlanfechtungen gerade in Mode zu sein… Aber ganz ernsthaft: Es ist gerade ein Zeichen einer funktionierenden Demokratie, wenn auch Gegenstimmen ihre Meinung zur Debatte stellen können. Allerdings weiß ich und viele andere Mitglieder, die bei der Wahl dabei waren, dass sie sehr professionell, demokratisch und verfassungsgemäß durchgeführt wurde, gerade weil man damit rechnen musste, dass einige Unzufriedene sie später in Frage stellen würden. Man hat auch den wahlanfechtenden Kultusgemeinden vor den Wahlen ein Platz im Obersten Rat angeboten, aber die haben es abgelehnt und haben sich für die Anfechtung entschieden.

IslamiQ: 2015 wurde in Österreich das neue Islamgesetz verabschiedet. Welche Aspekte befürworten Sie, welche nicht?

„Scheuklappen vor einer Wirklichkeit, wo ca. ein Drittel der Bevölkerung Muslime nicht als Nachbarn wollen, bringen ebenso wenig, wie sich selbst zu bemitleiden“.

Ibrahim Olgun: Bis heute halten wir mit unserer Kritik nicht hinter dem Berg, wenn es um die Punkte geht, wo wir das Prinzip der Gleichbehandlung mit anderen anerkannten Religionsgemeinschaften nicht ausreichend eingehalten sehen. Wir werden in unseren Gremien natürlich detailliert besprechen, welche Punkte es unter diesem Gleichbehandlungsprinzip fallen. Diesbezüglich werden wir konstruktive Gespräche mit den Vertretern der Politik führen. Die Politik hat auch mehr Rechtssicherheit durch das Gesetz versprochen. Als Muslime werden wir sehr genau beobachten, ob das im Alltag auch hält.

IslamiQ: Nach der knappen Niederlage des rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidaten Norbert Höfer (FDO) ist die Atmosphäre in Österreich angespannt. Wie soll man als muslimischer Bürger mit dieser Situation umgehen?

Ibrahim Olgun: Konstruktiv. Scheuklappen vor einer Wirklichkeit, wo ca. ein Drittel der Bevölkerung Muslime nicht als Nachbarn wollen, bringen ebenso wenig, wie sich selbst zu bemitleiden. Dann kämen wir nur in eine Opferrolle hinein, mit der wir uns selbst als handlungsunfähig hinstellen. Wir sind alle aufgerufen, Vorurteile und Ängste durch unser lebendiges Beispiel im Alltag zu brechen. Als Islamische Glaubensgemeinschaft versuchen wir hierzu Mut zu machen, melden uns selbst immer wieder entschieden in der Öffentlichkeit zu Wort und wollen insgesamt ein „Wir-Gefühl“ in einer immer pluralistischeren Gesellschaft stärken.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Er kommt von der ATIB und die ATIB ist gleich AKP-Islamisten ist gleich Erdogan! Also!
30.08.16
19:07
Ute Fabel sagt:
Ich bin zwar eine eingefleischte Religionskritikerin, Herr Olgun ist mir bisher mit seinen Äußerungen nicht negativ aufgefallen. Auch wenn man - wie ich meine - an etws Falsches glaubt, schließt das ja natürlich nicht aus charakterliche Stärken haben zu können. Obwohl ich eine erklärte Islamgegnerin bin, schätze ich auch Herrn Mouhanad Khorchide oder den neuen Londoner Bürgermeister Sadiq Khan persönlich durchaus.
31.08.16
12:15
Charley sagt:
Herr Ibrahim Olgun sagt: "Gleichzeitig müssen wir dran arbeiten, theologisch konkret zu zeigen, dass es vereinbar ist sich muslimisch zu begreifen und dabei zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Menschenrechten zu stehen." Welche "Menschenrechte" meint er denn? Diejenigen, die die UNO zu ihrer Grundlage hat und die 1948 von der Generalversammlung der UNO beschlossen wurde? Oder meint er die 1990 den Außenministern der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) beschlossene Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (KEMR)? Oder meint er die Arabische Charta der Menschenrechte, verabschiedet 1994 durch den Rat der Liga der arabischen Staaten? "Menschenrechte" klingt sehr schön in europäischen Ohren, aber was meint Her Olgun damit? Da gibt es nämlich islamische Varianten, unter denen ich es ablehne zu leben!
05.09.16
15:36
Moritz sagt:
Islam und Menschenrechte gehen nicht zusammen. Zumindest nicht in Staaten, in denen der Islam vorherrschend ist. Menschenrechte werden lediglich gefordert, wenn Muslime in der Minderheit sind. In der Regel sind dann damit aber auch nur die Rechte gemeint, die Muslimen zustehen. Diese sollen dann auch uneingeschränkt gelten. Die Meinungsfreiheit z.B. schränken Muslime immer dann gerne ein, wenn es sich um negative Meinungen über den Islam handelt. Oder nehmen wir das leidige Thema "Kopftuch". Muslime haben kein Problem damit, dass z.B. im Iran eine Frau ohne Kopftuch nicht auf die Straße gehen darf. Wird hingegen umgekehrt gefordert, dass eine Frau nur ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit darf, ist der Aufschrei groß. Insbesondere Länder, die Frauen Kopftücher vorschrieben, schelten dann ein vermeintliches Verbot im Westen.
06.09.16
13:45
Charley sagt:
Lustig in diesem Zusammenhang ist, dass soeben der Großmufti Saudi-Arabiens alle Schiiten im Iran zu Ungläubigen, zu "Söhnen der Magier" erklärt hat! ..... die Vielfalt als was bitteschön... "Einheit"?
07.09.16
21:13