Institutionelle Islamfeindlichkeit

„Weil du ein Kopftuch trägst, bist du eine unterdrückte Frau und merkst das nicht einmal“

Kulturelle Diversität im Lehrerzimmer wird gefordert, doch wird sie auch angenommen? Prof. Dr. Karim Fereidooni ist in einer Studie dieser Frage nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, dass vor allem muslimische Lehrer*innen antimuslimischen Rassismus erfahren.

10
09
2016
Kopftuch Muslima Pride
Symbolbild: Junge Frauen mit Kopftuch halten Plakate hoch und demonstrieren für ihr Recht selbst zu bestimmen wie sie sich für Frauen einsetzen
© MuslimaPride

„Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund (…)“ konstatiert Bundeskanzlerin Merkel und wiederholt damit eine bildungspolitische Forderung, die seit einigen Jahren von unterschiedlichen Akteur*innen der (Bildungs)Politik, Bildungsadministration, Institution Schule und Gewerkschaften aufgestellt und immer wieder aufs Neue proklamiert wird. Vor allem vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Anzahl von Schüler*innen „mit Migrationshintergrund“ und ihrer Bildungsbenachteiligung im deutschen Schulwesen, werden Lehrer*innen, die einen „Migrationshintergrund“ besitzen als Bereicherung und Notwendigkeit gesehen.

Doch wie verhält es sich mit der Perspektive ebenjener Lehrkräfte? Bisher wurde ihre Sichtweise – vor allem von wissenschaftlicher Seite – zu wenig berücksichtigt. Dem wollte ich mit meiner Studie zu „Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen von Referendar*innen und Lehrer*innen ‚mit Migrationshintergrund‘ im deutschen Schulwesen“ entgegenwirken und entgegen der vielseitigen Erwartungen an diese Lehrkräfte, ihre spezifischen Erfahrungen erörtern und analysieren.

Werden muslimische Lehrer*innen benachteiligt?

Dieser Beitrag widmet sich explizit der folgenden Frage: Erfahren (angehende) Lehrer*innen muslimischen Glaubens bzw. ebenjene Lehrkräfte, denen der muslimische Glaube zugeschrieben wird, antimuslimischen Rassismus in ihrer Ausbildung und/oder in ihrer Tätigkeit als ausgebildete Lehrkraft?

Aus den Ergebnissen wird klar, dass die Mehrheit der untersuchten Lehrkräfte (60,4 Prozent)  Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen am Arbeitsplatz erlebt haben. Bei den Ergebnissen der Studie muss zwischen institutionellen und direkten Diskriminierungserfahrungen unterschieden werden. Ersteres weist darauf hin, dass (angehende) Lehrkräfte, die muslimischem Glaubens sind bzw. denen der muslimische Glaube zugeschrieben wird, in ihrer Tätigkeit als Referendar*in oder Lehrer*in aufgrund der „Kopftucherlasse“, die es kopftuchtragenden Lehrerinnen in vier Bundesländern[1] verbieten, in der Schule das Kopftuch zu tragen, institutionell und direkt rassistisch diskriminiert werden. Direkte Diskriminierungserfahrungen beziehen sich auf diese, die direkt von ihren Kollege*innen und Vorgesetzten diskriminiert werden. Schüler*innen und ihre Eltern wurden bei den Ergebnissen eher nachrangig als Diskriminierende benannt.

Direkte und institutionelle Diskriminierungserfahrungen

Die quantitativen Ergebnisse belegen, dass Lehrkräfte muslimischen Glaubens im Vergleich zu angehenden Lehrer*innen aller anderen Konfessionen bzw. den konfessionslosen Lehrpersonen stärker diskriminiert werden. Allerdings existiert daneben  auch ein konfessionsübergreifender Zusammenhang zwischen den Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen der Lehrer*innen und der Einhaltung religionsbezogener Genuss- und Kleidungsvorschriften sowie dem Gottesdienstbesuch, weil diejenigen Untersuchungsteilnehmer*innen, unabhängig ihrer Konfession, die ihre Lebensmittel religionskonform verspeisen, die die religionsbezogenen Kleidungsvorschriften beachten und die den Gottesdienst ihrer jeweiligen Religion besuchen, vergleichsweise öfter diskriminiert werden als Lehrkräfte, die dasselbe nicht tun.

Des Weiteren werden sämtliche acht Kopftuch tragende Lehrerinnen, die an dieser Studie teilgenommen haben, in ihrem Berufskontext rassistisch diskriminiert.

Es kann also zusammenfassend konstatiert werden kann, dass diejenigen Lehrer*innen, die sich der islamischen Konfession zurechnen, vergleichsweise stärker diskriminiert werden, als Lehrkräfte mit christlichem Glauben; sowie auch Lehrkräfte mit einer sonstigen Religionszugehörigkeit und konfessionslose Lehrer*innen durchschnittlich mehr Diskriminierungen erfahren als christliche Lehrpersonen.

„Ihr Kopftuch ist ein Zeichen der Unterdrückung“

Ein nachfolgendes Beispiel soll diesen Umstand konkret darstellen. Yasemin Pir[2], eine kopftuchtragende muslimische Referendarin gibt ihre Erfahrungen wieder, die sie zu Beginn ihres Vorbereitungsdienstes mit einer Ausbildungslehrerin gemacht hat.

„Dann hat sie gesagt: „Ich will mit dieser Person nichts zu tun haben.“ (.) Dann hat sie zu mir gesagt: „Ja, ich will nicht mit Ihnen zusammenarbeiten, weil das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung der Frau ist.“

Eine ähnliche Erfahrung machte die muslimische Referendarin mit einem anderen Lehrer: „Im Lehrerzimmer meinte er zu mir: „Frau Pir, merken Sie eigentlich nicht, dass ich nicht mit Ihnen zusammenarbeiten will? Ich würde mein Kind auch nicht in eine Schule schicken, wo eine Kopftuch tragende Lehrerin tätig ist.“

Frau Pir leitet ihre Schilderung mit der Information des empfundenen Akzeptanzmangels seitens ihrer Kolleg*innen ein. Die Ursache für den erfahrenen Akzeptanzmangel belegt Yasemine Pir mit der Narration über eine Begebenheit mit einer Ausbildungslehrerin[3] zu Beginn ihres Referendariats: Nach der ersten Hospitation im Unterricht der Ausbildungslehrerin, ist ihre Abwehrreaktion gegenüber der Kopftuch tragenden Referendarin derart groß, dass sie sich beim Schulleiter das Einverständnis einholt, um nicht weiterhin Frau Pir auszubilden bzw. die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden. Als Grund hierfür gibt die Ausbildungslehrerin die durch ihre Imagination konstruierte Unterdrückung von Frau Pir aufgrund des Kopftuchtragens an.

Diese Argumentation erfährt eine Bestätigung seitens des weisungsbefugten und vorgesetzten Schulleiters, denn die Zusammenarbeit zwischen Frau Pir und der betreffenden Ausbildungslehrerin wird unverzüglich, nach der Unterredung mit dem Schulleiter, von Seiten der Ausbildungslehrerin beendet. Damit wird die Ausbildungslehrerin in ihrer ablehnenden Position gegenüber Frau Pir bestärkt. Die Weigerung der Ausbildungslehrerin Frau Pir auszubilden, resultiert aus rassismusrelevanten Vorbehalten gegenüber Frau Pir als Kopftuch tragender Frau, denn die Ausbildungslehrerin setzt das Kopftuchtragen per se mit der Unterdrückung der Kopftuch tragenden Frau gleich.

Wie kam es überhaupt bis zu diesem Punkt? Wir haben den jahrzehntelangen Kopftuchstreit in einem Video zusammengefasst. Klicken Sie auf das Bild, um zum Video zu gelangen.

Kopftuchkarte2

Imagination ist die Beurteilungsgrundlage

Das Paradoxe an der Situation ist, dass die Ausbildungslehrerin natürlich gar nicht weiß, ob Frau Pir tatsächlich unterdrückt bzw. zum Kopftuchtragen gezwungen wird oder nicht, sodass bei ihrer Beurteilung nicht die Realität, sondern ihre Imagination die Beurteilungsgrundlage darstellt. Die zugeschriebene Unterdrückungserfahrung geschieht demnach vor der Folie rassismusrelevanter Sichtweisen auf die Motivation des Kopftuchtragens, welche muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, als unemanzipierte und unselbständige Opfer konstruieren, die von ihren Vätern, Ehemännern oder Brüdern gezwungen werden, das Kopftuch anzulegen. Die Folge einer solchen Sichtweise ist, dass die imaginierte Unterdrückung zu einer faktischen Unterdrückung führt, weil der Referendarin das Recht auf Ausbildung von der Ausbildungslehrerin, im Einverständnis mit dem Schulleiter, verwehrt wird.

Die Ausbildungslehrerin bedient sich eines paternalistisch-rassistischen Handlungsduktus, weil sie ihre Weiblichkeitsvorstelllung gegenüber der Referendarin durchsetzen möchte. Der Subtext der Kooperationsverweigerung der Ausbildungslehrerin lautet: „Weil du ein Kopftuch trägst, bist du eine unterdrückte Frau und merkst das nicht einmal. Du benötigst mich, damit ich dir das bewusst mache. Sieh mich an. Ich bin nicht unterdrückt. Ich bin emanzipiert. Ich bilde nur Frauen aus, die wie ich, nicht unterdrückt sind.“ Damit schließt die Ausbildungslehrerin kategorisch die Möglichkeit aus, dass sich Frau Pir selbständig für das Kopftuchtragen entschieden hat und konstruiert eine Dichotomie zwischen Kopftuch tragen und Emanzipation. Demnach ist eine Kopftuchträgerin per se fremdbestimmt und unemanzipiert. An diesem Beispiel wird die Intersektionalität von Rassismus und Sexismus deutlich, weil Frau Pir nicht alleinig aufgrund ihrer Religion antimuslimischen Rassismus erfährt, sondern außerdem, aufgrund ihres Geschlechts, als Kopftuch tragende Muslima, sexistisch und rassistisch von der Ausbildungslehrerin und dem Schulleiter diskriminiert wird. Der verweigerte Kooperationswille der Ausbildungslehrerin, der von dem Schulleiter legitimiert wird, versetzt Frau Pir in eine Abhängigkeitslage, in der ihr die für eine Veränderung notwendige Handlungsmacht fehlt.

Die empfundene Abhängigkeitslage intensiviert sich, weil es Frau Pir nicht gelingt, eine*n andere*n Ausbildungslehrer*in zu finden. Zunächst sieht Frau Pir darin nicht einen weiteren Beweis der gemeinschaftlichen Abwehrreaktion des Kollegiums und dessen Weigerung, eine Kopftuch tragende Frau auszubilden, bis sie schließlich eine abermalige, erneut unmissverständlich vorgetragene, Weigerungshaltung eines Kollegen erfährt, sie auszubilden. Die Kooperationsverweigerung wird damit erklärt, dass eine Kopftuch tragende Frau einen schädlichen Einfluss auf die Schüler*innenschaft habe. Der Subtext der Botschaft des Kollegen lautet: „Eine Kopftuch tragende Lehrerin ist eine Gefahr für Kinder. Eine Kopftuch tragende Lehrerin würde mein eigenes Kind gefährden. Deshalb bilde ich keine Kopftuch tragenden Referendarinnen aus.“ Dieses Argumentationsmuster konstruiert Frau Pir als Gefahr für das Wohlergehen von Kindern, sodass sie, zusätzlich zur ersten Begegnung, in der sie als Opfer konstruiert wurde, in der zweiten Begegnung als Täterin imaginiert wird. Die latente Gefahr, die der, als unterdrückt geltenden, Referendarin zugeschrieben wird, wandelt sich zu einer manifesten Gefahr durch die Konstruktion als Täterin.

Das Grundgesetzt wird missachtet

Außerdem werden die im Grundgesetz verankerten Werte wie Religionsfreiheit (Art 4 Abs. 1 und 2 GG) und Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) von den verbeamteten Ausbildungslehrer*innen und dem Schulleiter grob missachtet, obwohl Beamt*innen für die Einhaltung ebenjener Werte Verantwortung tragen, indem sie beispielsweise einen Treueeid auf die Verfassung ablegen. Sie verhalten sich nicht verfassungskonform, weil sie sowohl im Kleinen (innerhalb des Kollegiums) als auch im Großen (der bundesdeutschen Gesellschaft) von dem tradierten „Common Sence“ der Ablehnung des Kopftuchs ausgehen können. Die Rassismuserfahrungen, die von Frau Pir in beiden Geschichten dargestellt werden, münden in der subtexuellen Assimilationsforderung: „Lege dein Kopftuch ab.“ In der Schilderung von Frau Pir wird die Imagination der deutschen Schule als monoreligiöse Institution als auch die Konstruktion der ‚unterdrückten und gefährlichen Muslimin‘ zwischen den unterschiedlichen Personen verhandelt. Während sich Frau Pir versucht, von den antimuslimischen Zuschreibungen zu lösen, nehmen die Kolleg*innen und der Schulleiter diese als Grundlage für ihre Bewertung und Ablehnung von Frau Pir.

Was tun?

Die Befragten meiner Studie erfahren nicht nur antimuslimischen Rassismus von ihren Kolleg*innen  und  Vorgesetzten; vielmehr sind diese beiden Personengruppen auch die wichtigsten Ansprechpartner*innen, wenn Lehrkräfte ebensolche Erfahrungen gemacht haben. Letztlich geht es darum, einen diskriminierungs- und rassismussensiblen Schulraum zu schaffen, in dem sich alle Akteur*innen diskriminierungs- und rassismussensibel verhalten, damit die Ausbildung aller Lehrkräfte gewährleistet werden kann. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn sich die in dem Raum tätigen Personen eigenständig mit ihren diskriminierungs- und rassismusrelevanten Wissensbeständen kritisch auseinandersetzen. Neben rassismuskritischen Studien, die ihren Fokus auf die Gesamtgesellschaft richten, müssen Desiderate bezüglich der rassismuskritischen Ausbildung von Lehrer*innen beseitigt werden, die dazu beitragen, die Leerstelle zwischen der unzureichenden rassismuskritischen Ausbildung von Lehramtsstudierenden und der anschließenden Erwartung rassismussensiblen Handelns von Lehrer*innen in der schulischen Praxis zu schließen.

Der Vorbereitungsdienst muss nachhaltig demokratisiert werden kann, indem man beispielsweise die Etablierung unabhängiger Beschwerdestellen für Lehramtsstudierende, Studienreferendar*innen und Lehrer*innen anstößt. Die vornehmliche Aufgabe der rassismussensiblen Schule der Zukunft ist, eine Sprache zu finden, um über Rassismus und Rassismuserfahrungen gemeinsam in einen Dialog zu geraten.

Der Diskrepanz zwischen (bildungs)politischem Wunsch nach Diversifizierung des Lehrpersonals und der schulischen Wirklichkeit von Lehrer*innen „mit Migrationshintergrund“ die, wie in der Studie ermittelt worden ist, von zum Teil massiven Diskriminierungserfahrungen betroffen sind, muss (bildungs)politischer Aufmerksamkeit geschenkt werden, indem sich an die Forderung nach der Erhöhung der Anzahl von Lehrer*innen „mit Migrationshintergrund“ die folgende Frage anschließt: „Was muss getan werden, um Lehrer*innen ‚mit Migrationshintergrund‘ vor Diskriminierung und Rassismus im Berufsleben zu schützen?“

 

[1] Ausbildete muslimische Lehrerinnen dürfen gegenwärtig in den folgenden Bundesländern ihrer Tätigkeit nicht mit Kopftuch nachgehen: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Saarland. Ausgenommen von dieser Regelung sind Referendarinnen, die auch in diesen Bundesländern das Kopftuch tragen können. Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 27.01.2015, welches die generellen Kopftuchverbote für ausgebildete Lehrerinnen als verfassungswidrig einstufte, war das Kopftuchtragen für ausgebildete Lehrer*innen in acht von 16 Bundesländern verboten.

[2] Der Klarname der Interviewpartnerin wurde anonymisiert.

[3] Ausbildungslehrer*innen besitzen eine wichtige Funktion in der Ausbildung und Benotung von Referendar*innen, weil sie den angehenden Lehrer*innen im Rahmen der Unterrichtshospitation die Möglichkeit geben sollen, durchgeführten Unterricht zu beobachten. Somit fungieren die Ausbildungslehrer*innen als Rollenvorbilder. Zudem sollen sie den Referendar*innen Hilfestellung bei der eigenen Unterrichtskonzeption bieten und ihnen ermöglichen, eigenen Unterricht durchzuführen. Ferner schreiben die Ausbildungslehrer*innen Gutachten über die betreuten Referendar*innen und benoten diese. Diese Noten haben Einfluss auf die schulische Gesamtbenotung, die von der Schulleitung vorgenommen wird.

 

Die Studie kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen.

Leserkommentare

gregek sagt:
@ Disch ganz so eindeutig ist die Sache nicht. Der europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Unternehmen ein Kopftuchverbot fordern dürfen. Auf der Arbeit darf ich auch nicht in Clownklostüm zur Arbeit kommen, darf ich mich jetzt diskrmiminiert fühlen? Gruß Grege
19.09.16
19:10
Johannes Disch sagt:
@an die Rassisten sagt Ich finde es erfrischend, wie salopp Sie hier ihre Meinung sagen. Nun, ob diese Religion die anerkannteste bei Gott/Allah ist, das ist wohl eine Glaubensfrage. Ein Jude und ein Christ könnten wohl mit demselben Enthusiasmus und mit guten Argumenten dasselbe über ihre Religion sagen. So lange der Absolutheitsanspruch im spirituellen Bereich bleibt ist das alles okay. Aber Sie werden sicher einräumen müssen, dass in der islamischen Welt nicht alles in Butter ist. Djihadistische Islamisten berufen sich bei ihren Gräueltaten nun mal auf den Koran, und beanspruchen für sich, den angeblich "wahren Islam" zu vertreten. Dass sie damit ihre Religion pervertieren, das steht außer Frage. Aber ich denke, Ihnen ging es in ihrem P um die Tatsache, dass viele hier jedes islamische Symbol (Kopftuch, etc.) gleich in die Nähe des Fundamentalismus rücken. Und das ist in der Tat nicht in Ordnung. Die meisten Muslime, die bei uns leben, verstehen und praktizieren ihre Religion friedlich. Eine Selbstverständlichkeit, die man mittlerweile aber immer wieder hervorheben muss.
20.09.16
0:10
Johannes Disch sagt:
@grege -- "Der europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Unternehmen ein Kopftuchverbot fordern dürfen." (grege) Ganz so einfach ist es nicht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus. Die Generalanwältin hat eine Stellungnahme zu der Thematik abgegeben, der das Gericht bei der Urteilsfindung in aller Regel folgt. Sie sagt, ein Kopftuchverbot ist nur dann zulässig, wenn das Unternehmen alle Zeichen religiöser, philosophischer und politischer Überzeugung untersagt. Das ist dann-- ironisch formuliert-- Diskriminierung für alle. Aber auch hier gibt es ganz besondere Voraussetzungen: Das Verbot dürfe nicht auf Vorurteilen gegen eine Religion gründen. Und das Gericht müsse bei seinem Urteil die Verhältnismäßigkeit prüfen. Und bei der Verhältnismäßigkeit beginnt auch schon das Problem. Die Kette am Kreuz: Ja. Das Kopftuch: Nein? Der kleine Buddha auf dem Schreibtisch: Ja. Das jüdische Käppi: Nein? So wie es ausschaut, wird wohl auch dieses Urteil das Problem nicht wirklich lösen. Und dem EuGH scheint klar zu sein, in welcher Zwickmühe er sich befindet, weshalb es wohl auch so lange dauert, bis endlich ein Urteil kommt. Klagen gegen ein Verbot können die Betroffenen auch noch nach diesem Urteil. Wie gesagt: Es ist sicher kein Zufall, dass auch 7 Monate nach dem Statement der Generalanwältin des EuGH ein Urteil noch immer aussteht.
21.09.16
0:37
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Ich bin nicht der Meinung, das das Kopftuch ein Zeichen des Extremismus ist. Genausowenig bin ich der Meinung, dass es ein Zeichen des Extremismus ist, wenn sich ein Sozialdemokrat eine rote Nelke ins Knopfloch steckt. Wenn am Arbeitsplatz rote Nelken am Knopfloch nicht erwünscht sind, ist das weder diskriminierernd noch "rassistisch".Wenn am Arbeitsplatz Kopftücher nicht erwünscht sind, ist das ebenfalls weder diskriminierend noch "rassistisch". Religion und Weltanschauung sind allerdings Privatsache und gehören ins Privatleben. Niemand hat das Recht am Arbeitsplatz seine Religion oder Weltanschauung auffällig zur Schau zu stellen und damit Kollegen aufzudrängen. Das ist einfach rücksichtslos gegenüber Andersdenkenden. Ich finde es sehr egomanisch, wenn manche Kopftuchträgerinnen immer nur an ihre eigenen Befindlichkeiten denken. Für mich ist das eine Form des Faustrechts, die keine Unterstützung verdient.
21.09.16
7:44
Mali Nannhuber sagt:
Liebe Kritika und liebe andere Kopftuch-Kritiker, jemanden zu verurteilen, weil er ein Kopftuch als "Fahne des Islam" trägt, finde ich richtig. Das Kopftuch wird in sehr vielen Fällen nicht getragen, weil die Frau damit Ihre Religionszugehörigkeit präsentieren will, sonder oft, weil sie sich damit geschützt fühlt, oder aus Gewohnheit, oder weil es ihr gefällt. Ich habe sowohl muslimische, als auch jüdische Freundinnen, die das Kopftuch deshalb tragen, weil sie sich dadurch mit ihrem Mann verbundener fühlen, da ihre Haare eigentlich etwas sind, das jeder sehen kann. Mit dem Kopftuch verbergen sie es vor Außenstehenden und fühlen so eine besondere Verbindung zu Ihrem Ehemann und Ihrer Familie, wenn sie es zuhause abnehmen. Bei mir zuhause (ich lebe in einem kleine österreichischen Dorf, das sehr katholisch geprägt ist) gibt es mehrere ältere Frauen, die Kopftuch tragen - auch in der Kirche. Sie sind es so gewöhnt, empfinden es auch als angenehm und fühlen sich einfach gut damit. Auch sehr viele junge Bäuerinnen tragen bei uns Kopftuch, wenn auch oft nur aus praktischen Gründen z. B. im Stall. Ich selbst trage auch öfter Kopftuch. Z. B. im Winter wenn es kalt ist - mit gefällt das Kopftuch besser als eine Mütze, oder einfach weil ich gerade eines Tragen möchte Und es gibt mehrere Gründe, warum ich gerade ein Kopftuch tragen will: - mir gefällt es (so wie andere Mädchen heute ihre blauen Stöckelschuhe anziehen, weil sie ihnen gefallen) - mit ist kalt (andere setzen halt eine Mütze auf, oder ziehen eine Kaputze über) - es fühlt sich gut an (so wie sich auch der Lieblingspullover gut anfühlt) - es fühlt sich gut an, sich mal vor der Welt zu verstecken und dann nach Hause zu kommen und das Kopftuch abzunehmen, meine Haare wieder zu zeigen (wie fasten, wer einige Zeit auf Schokolade verzichtet, dem schmeckt sie hinter wieder besser, er weiß sie mehr zu schätzen - man wird dankbarer - in meinem Fall für die wunderbare Beziehung zu meinem Mann) - ich fühle mich heute von der Welt überfordert und das Kopftuch gibt mir das Gefühl, ein wenig von negativen Energien abgeschirmt zu sein. Bitte denkt einmal darüber nach, bevor ihr das Kopftuch oder seine Trägerin verurteilt. Es gibt bestimmt noch mehr Gründe, ein Kopftuch oder sonst irgendeine Kopfbedeckung zu tragen. Vielleicht fallen euch noch ein paar ein :) Und mal ganz abgesehen davon, finde ich es auch nicht richtig jemanden wegen seiner Religion zu kritisieren/zu verurteilen - oder was haltet ihr von einem Kind, das eine Schutzengel-Halskette trägt? von einer Frau, die sich den Rosenkranz umgehängt hat, aus welchem Grund auch immer. Soll das alles Verboten werden weil das als "Fahne des Christentums" nicht religiöse Menschen stören könnte? Ich wünsche euch, dass meine Gedanken auch euch noch mal zu nachdenken anregen und einen wunderschönen Sonntag :) Mali
25.09.16
8:50
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Wenn am Arbeitsplatz Kopftücher nicht erwünscht sind, ist das ebenfalls weder diskriminierend, noch rassistisch" (Ute Fabel) Unsere Rechtsordnung sieht diese Dinge nun mal anders.
25.09.16
14:56
grege sagt:
@ Herr Disch, die bisherige Praxis zeigt, dass der europäische Gerichtshof in den meisten Fällen der Einschätzung des Generalstaatsanwalt folgt. Dieser hat m.e. plausibel dargelegt, dass Mitarbeiter ihr Geschlecht, ihre sexuelle Orientierung, ihre Rassenzugehörigkeit oder ihre Ethnie schlecht an der Gaderobe ablegen können. Weltanschauliche Zurückhaltung kann aber sehr wohl erwartet werden. Daher wäre es auch keine Diskirminierung, wenn Kopftücher, Kippas oder sonstige religiöse Kleidersymbole am Arbeitsplatz untersagt sind. Ansonsten könnte jede Bekleidungsvorschrift von Unternehmen als diskriminierende Handlung gewertet werden. Auch hier müssen Muslime lernen, solche Regeln auch zu aktzeptieren und nicht sofort lauthals Diskiminierung beklagen.
25.09.16
21:26
grege sagt:
-- "Wenn am Arbeitsplatz Kopftücher nicht erwünscht sind, ist das ebenfalls weder diskriminierend, noch rassistisch" (Ute Fabel) Unsere Rechtsordnung sieht diese Dinge nun mal anders. wie gesagt, für den europäischen Gerichtshof ist die Sache weniger eindeutig. Wie sollten auch Bekleidungsvorschriften durch Unternehmen diskriminierend sein? Unsere Rechtsordnung scheint mir da etwas abenteuerlich zu sein.
25.09.16
21:30
Johannes Disch sagt:
@Mali Nannhuber Hervorragende Ausführungen, die ich voll unterschreibe. Ich wünsche Ihnen ne schöne Woche.
25.09.16
23:59
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Die EuGH Generalanwältin Kokott hat kürzlich in einem wegweisenden Gutachten betreffend einer belgischen Firma für Sicherheits- und Rezeptionsdienste erkannt, dass in der privaten Arbeitswelt eine generelles optisches Neutralitätsprinzip in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht nicht diskriminierend ist. Es besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung aller, aber kein Anspruch auf Sonderbehandlung gerade für das Kopftuchtragen. "Gleich viel" oder "gleich wenig" an sichtbarer Religion im Betrieb - beides ist legitim. Die Unternehmen müssen sich entscheiden. Gilt "gleich wenig" an sichtbarer Religion, besteht kein Anspruch auf eine Extrawurst.
26.09.16
9:02
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