Vor 10 Jahren wurde die Deutsche Islam Konferenz (DIK) einberufen. IslamiQ beleuchtet in einer Beitragsreihe die Hintergründe und Entwicklungen. Heute ein Interview mit Sven Speer über die DIK und die deutsche Islampolitik.
IslamiQ: Im Jahre 2006 sagte Wolfgang Schäuble, dass der Islam Teil Deutschlands und Europas ist. Nach Hans-Peter Friedrich war das eine Tatsache, die sich nie belegen ließ. Thomas de Maizière meinte, dass der Islam keinen gleichen Stellenwert in der deutschen Kultur einnehmen werde wie das Christen- und Judentum. Warum streiten Politiker so oft und so verschieden über diese Aussage?
Speer: Politiker ziehen aus der symbolischen Ausgrenzung des Islams politisches Kapital, weil diese vielleicht ein Gefühl von Sicherheit gibt, ganz gewiss aber Ängste der Bevölkerung bestätigt. Über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, lässt sich endlos streiten, da in der Regel nicht definiert wird, was eigentlich unter „zu Deutschland gehören“ zu verstehen ist. In Deutschland leben etwa vier Millionen Muslime, die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Muslime und der Islam sind Teil der deutschen Realität, ganz gleich ob dies in den jeweiligen Ideen von Deutschland, der Einzelne oder Gruppen anhängen, anerkannt wird oder nicht.
Das Grundgesetz als konstitutives Element unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterscheidet nicht zwischen Religionen, die „zu Deutschland gehören“, und jenen, die „nicht zu Deutschland gehören“. Die Rahmenbedingungen sind für alle gleich. Über sein Bekenntnis oder Nichtbekenntnis zu einer Religion selbst zu entscheiden, garantiert das Grundgesetz jedem in Deutschland (Art. 4 I GG).
IslamiQ: „Islamkritiker“ fordern eine Reform des Islams, um die angeblich im Namen des Islams begangene Gewalt zu verhindern. Nicht selten unterstützt die Politik solche Anliegen. Kann die Politik einer Religion vorschreiben, wie sie aussehen soll?
Speer: Politische Appelle bewirken in meinen Augen nicht viel und dienen eher der politischen Selbstdarstellung. Wie Staaten Religionen beeinflussen können, ist in der Wissenschaft noch weitestgehend unerforscht, auch wenn es einzelne Ansätze gibt. So lässt sich zeigen, dass eine Ausgrenzung von Religion aus Staat und Öffentlichkeit nicht zwangsweise zu einer Säkularisierung, sondern zu einer Polarisierung der Gesellschaft führt. Ein Paradebeispiel hierfür sind der Katholizismus und jüngst der Islam in Frankreich und Belgien. Die Öffnung des Staates für Religionen scheint hingegen zu einer Mäßigung beizutragen – und ist in Europa die Regel, nicht die Ausnahme, trotz aller Beschwörungen des „säkularen“ Staates.
Auch eine direkte Beeinflussung der Theologie durch den Staat bringt keineswegs immer die gewünschten Ergebnisse. So haben die Calvinisten den Staat massiv zur Aufrichtung von Gottesstaaten instrumentalisiert. Heute gehören die betroffenen Staaten jedoch zu den freiheitlichsten Europas und der Welt (Großbritannien, Schweiz, Niederlande). Die Salafiyya hingegen trug an der Wende zum 20. Jahrhundert durchaus auch reformistische Züge, während sie heute extrem konservativ und reaktionär ist. Die kausalen Beziehungen in diesen Entwicklungen können wir noch nicht vollständig verstehen – und daher selbst dann nicht politisch steuern, wenn wir es wollten.
Letztlich verfehlt eine religionspolitische Bearbeitung von Sicherheitsproblemen jedoch häufig die eigentlichen Ursachen: Fast jeder Fünfte aus dschihadistischen Gründen aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak Ausgereiste ist in keiner muslimischen Familie aufgewachsen. Nur jeder Dritte war in Moscheen aktiv, zu salafistischen Kreisen hatten jedoch 68 Prozent Kontakt. Türkeistämmige sind zudem unterdurchschnittlich repräsentiert. Die Zahlen entlassen niemanden aus seiner Verantwortung, aber sie zeigen, dass das Sicherheitsproblem „Dschihadismus“ nicht über Religionspolitik gelöst werden kann. Der vermutlich rassistisch motivierte Anschlag in München verdeutlicht zudem, dass die Methoden des Dschihadismus auch von anderen Strömungen übernommen werden können.