Vor 10 Jahren wurde die Deutsche Islam Konferenz (DIK) einberufen. IslamiQ beleuchtet in einer Beitragsreihe die Hintergründe und Entwicklungen. Heute ein Beitrag von Luis Manuel Hernandez Aguilar über den rassistischen Diskurs der DIK im Dialog mit den Muslimen.
Die Definition von Rassismus ist, wie bei fast jeder Art der Definition, eine sehr umstrittene Sache. Die Diskussion begann mit jenen, die behaupteten, dass dieses Phänomen nur auf ideologischen Unterschieden in Bezug auf die Hautfarbe basiert. Sie setzte sich fort mit jenen, die meinten, dass der Gebrauch dieser Kategorie, die Kultur als Mittel zur Spaltung und Unterordnung von Menschen einsetzt. Wie ich später darlegen werde, haben genauere Untersuchungen aber ergeben, dass die Komplexität dieses Phänomens, einen historischen Zusammenhang mit laufenden Neugestaltungen und Kategorien hinsichtlich Klasse, Geschlecht, sexueller Neigung, Religion besitzt.
Muslime werden im Westen in zunehmendem Maße Ziel von Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus. Angefangen von verbalen Beleidigungen, Bigotterie, Stereotypisierung bis hin zu gewaltsamen Angriffen und Tötungen, ist das Mainstream-Narrativ weiterhin in der rassistischen Vorstellung verhaftet, dass das Muslimsein dem Dasein als Problem entspricht. Obwohl die Geschichte der Feindseligkeit und Anfeindung gegen den Islam und die Muslime sehr lang und komplex ist, wurde diese durch die Angriffe vom 11. September und dem anschließenden „Krieg gegen den Terror“ verschärft.
Der 11. September bildete die Basis für neue Wellen der Gewalt, rassistische Diskriminierung und Prozesse der Ausgrenzung und der staatlichen Eingriffe mit dem Fokus unmittelbar auf jene, die als Muslime wahrgenommen werden. Und um es noch einmal klarzustellen, damit ist nicht gemeint, dass der Rassismus gegen Muslime erst nach dem 11. September auftrat, sondern dadurch intensiviert wurde. Dem 11. September folgt die weitreichende Verbreitung von Diskursen, die den Muslim als Feind außerhalb und innerhalb der Nation darstellen, wodurch die Möglichkeiten für staatliche Eingriffe geschaffen wurden. In Deutschland werden nur Muslime als „Fremde“ und „Migranten“ bezeichnet, anstatt als deutsche Staatsangehörige.
Als Reaktion und Antwort auf das ideologische Konstrukt, das die muslimische Existenz problematisiert, haben verschiedene europäische Regierungen versucht, den Islam durch die Einrichtung von nationalen Räten zu integrieren, die idealerweise unter anderem als Mediatoren zwischen Staaten und der muslimischen Bevölkerung dienen. Diese hatten die Aufgabe, eine moderate Version des Islams zu fördern, mit nationalen Sicherheitsbehörden zu kooperieren und insgesamt das verringern sollten, was als nicht übereinstimmendes oder gegensätzliches soziales Zusammenleben zwischen Muslimen und „Europäern“ erachtet wurde. In Deutschland fand eine solche Entwicklung 2006 mit der Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) statt.
Eines der Hauptaspekte der DIK bezieht sich auf seine Selbstdarstellung als Ort des Dialoges, Austausches zwischen Repräsentanten der muslimischen Gemeinden und jenen des deutschen Staates. Was jedoch oftmals bei solchen Selbstbeschreibungen ausgeblendet wird, ist, dass die DIK vom deutschen Staat konzipiert und geleitet wurde und als deshalb auch die Ziele, Agenda und Parameter vom Staat diktiert wurden. Dies bleibt oftmals unbemerkt und ist einer der Effekte der DIK: dies unterminiert ihre eigene Autorität.
In diesem Sinne machten Repräsentanten der DIK, auch wenn dieser als Dialog auf Augenhöhe dargestellt wurde, eine Reihe von rassistischen Annahmen gegenüber Muslimen und dem Islam deutlich. Am Vorabend der Einrichtung der DIK erklärte ihr Gründer, der ehemalige Innenminister Wolfgang Schäuble, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, „Wir wollen aufgeklärte Muslime in unserem aufgeklärten Land.“ Durch das Narrativ der Aufklärung zeichnet Schäuble eine zeitliche Unterscheidung und Grenze zwischen Muslimen und Deutschen, wodurch er unterschiedliche historische Werdegänge suggeriert: Der eine ist fortschrittlicher als der andere.
Der Reiz der Aufklärung besteht in einem Wir-Sie-Narrativ und hat den Effekt, diskursiv eine Repräsentation von zwei in sich geschlossenen Gruppen anzubringen. Auf der einen Seite die, aufgeklärten Deutschen, auf der anderen Seite die umnachteten Muslimen. Hierbei wird vergessen, dass laut DIK die Hälfte der muslimischen Bevölkerung die deutsche Staatsangehörige besitzt. Somit gibt Schäubles Rede einen der internen Widersprüche der Aufklärung wieder, und zwar die intellektuelle „Überlegenheit“ der Europäer über diejenigen, die als Nicht-Europäer erachtet werden und somit einen „unterlegenen“ Status aufweisen.
In diesem Sinne ist der strategische Einsatz der Aufklärung durch Schäuble ein Mittel, um einen historischen und zeitlichen Unterschied zwischen Deutschen und Muslimen zu zeichnen – ein typisches Beispiel für rassistischen Historismus. Laut David T. Goldberg ist Rassistischer Historismus eine Vorgehensweise, bei der Geschichte und historische Entwicklungen ausgespielt werden, um Unterschiede zwischen Menschen und Hierarchien zu konstruieren. Rassistischer Historismus bringt deshalb ethnisierte Subjekte hervor, indem auf historische Argumente zu Entwicklung und Fortschritt zurückgegriffen wird.
An anderer Stelle habe ich bereits untersucht und detailliert dokumentiert, wie die Architektur der DIK arbeitet. Sie folgt im Allgemeinen der Begründung Schäubles, dem Bedarf Muslime mittels pädagogischer und integrativer Mittel in die deutsche Moderne zu bringen.
Ein weiterer entscheidender und mit dem „historischen Mangel der Muslime“ verbundener Aspekt der DIK bezieht sich auf ihre Selbstdarstellung. Demnach sei sie eine Reaktion auf die Probleme, die Muslime in Deutschland darstellen. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die DIK in einem Rahmen in Erscheinung trat, in dem die Präsenz der Muslime in Deutschland auf verschiedenen diskursiven Arenen stark problematisiert wurde. Vom Tragen des Kopftuches von Lehrkräften in Schulen und als Symbol der Unterdrückung, den Bau von Moscheen auf deutschem Boden, die Existenz von islamischen Hasspredigern als Faktoren der sozialen Polarisierung, die hohe Geburtenrate der muslimischen Gemeinde, den Anstieg von Extremismus und Radikalisierung, die Entwicklung von „Parallelgesellschaften“, mangelnde Sprachkenntnisse der deutschen Sprache, das Problem der politischen Mitgliedschaft und Loyalität – die Liste ist lang. Muslime werden aufgrund ihrer Ethnie und ihres Daseins als Problem aufgefasst, dessen letztendliche Begründung in der Verwehrung ihrer Einbürgerung liegt.
Zum Beispiel ruft der Zwischenbericht der DIK von 2008 zur Stärkung der Integration von Muslimen auf, da in den vergangenen Jahren Deutschland „Schwierigkeiten in Bezug auf das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen“ erlebte. Diese Art von Aussagen deuten jedoch drauf hin, dass Kulturen in sich geschlossene Einheiten bilden, deren Kontakt oder Fehlen soziale Konflikte hervorbringt, die wiederum durch staatliche Eingriffe auf muslimische Subjekte gemildert werden müssen. Aber wie auch schon Edward W. Said in seinem Werk Covering Islam prägnant formulierte: „Mit ein klein wenig Empathie ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass sich ein Muslim eventuell unwohl von dem unnachgiebigen beharren darauf – auch wenn dies im Rahmen einer Debatte geschieht – dass sein oder ihr Glaube, die Kultur und das Volk als Gefahrenquelle betrachtet werden und dass sie oder er entschlossen mit Terrorismus, Gewalt und „Fundamentalismus“ in Verbindung gebracht wird.“