Vor 10 Jahren wurde die Deutsche Islam Konferenz (DIK) einberufen. IslamiQ beleuchtet in einer Beitragsreihe die Hintergründe und Entwicklungen. Heute ein Interview mit Prof. Dr. Schirin Amir-Moazami über die DIK und den Dialog zwischen Staat und Muslime.
IslamiQ: Sie haben sich mit der Kopftuchdebatte in Deutschland und Frankreich befasst. Wie bewerten Sie die aktuelle Debatte um ein Verbot der Vollverschleierung?
Amir-Moazami: Diese Debatte ist offensichtlich ein Ausdruck der Ratlosigkeit weiter Teile der Gesellschaft, wie dem globalen Terror zu begegnen ist. Es ist aber absurd zu meinen, dass man mit Kleiderverboten Gefahren bannen oder symbolpolitische Warnungen aussenden könnte. Besonders irritierend bei der gegenwärtigen Diskussion finde ich, dass alle genau zu wissen meinen, was sich hinter dem Vollschleier verbirgt. Es gilt als gesicherte Wahrheit, dass die Ganzkörperverhüllung eine Absage an „unsere Werteordnung“ oder eine „Rückkehr ins Mittelalter“ darstellt. Stets wird die Vollverschleierung als Fremdkörper deklariert und in ein symbolisches Außen gehievt. Die Frauen selbst braucht man dann gar nicht mehr zu befragen.
Bei diesen Debatten müssen wir in erster Linie nach den Funktionen fragen: Warum wird ausgerechnet jetzt erneut ein Verbot der Vollverschleierung diskutiert? Es handelt sich nach wie vor um ein äußerst marginales Phänomen. Diese Diskussionen auf höchster politischer Ebene erzeugen jedoch den Eindruck, demnächst sei ganz Europa vollverschleiert und dem müsse man rechtzeitig geschlossen Einhalt gebieten. Man teilt also seine Aversionen gegen das Andere und schafft damit Gemeinschaft. Weil man nun weiß, wo der Feind lauert, kann man sich gemeinsam auf liberale Errungenschaften besinnen, die „unsere Wertegemeinschaft“ ausmachen. Die Frage ist allerdings, ob solcherlei Regulierungen des öffentlichen Raumes liberale Freiheiten tatsächlich schützen oder sie einhegen. Wir wissen außerdem aus Frankreich, wie problematisch diese Verbote nicht nur in praktischer, sondern auch in politischer Hinsicht sind. Der französische Staat verstrickt sich hier ständig in Widersprüche, weil er sich einerseits strikt von allem Religiösen fernzuhalten vorgibt, zugleich aber das Religiöse durch solcherlei Eingriffe immer wieder aufs Neue selbst produziert.
IslamiQ: Die Flüchtlingskrise wird zunehmend im Rahmen der „Islamfrage“ diskutiert. Kann man von einer Ethnisierung des Islams sprechen?
Amir-Moazami: Eine solche Ethnisierung ist schon seit längerem im Gange. Ich würde sogar eher von einer „Rassialisierung“ sprechen, denn Zugewanderte aus islamisch geprägten Ländern werden nahezu „natürlich“ als Muslime verhandelt. Auf staatlicher Ebene hat sich dies bereits 2006 beim Einbürgerungstest in Baden-Württemberg gezeigt, der im Volksmund als „Muslimtest“ galt. Bis 2011 wurden hier ausschließlich KandidatInnen aus islamisch geprägten Ländern vor der Einbürgerung in einem offenen Leitfaden mit höchst problematischen Suggestivfragen nach ihrer Verfassungsloyalität befragt. Die Rassialisierung von Muslimen macht sich aber auch generell im Integrationsdiskurs bemerkbar. Die Integrationsfrage ist im Wesentlichen zu einer Islamfrage geworden.
Die Flüchtlingsfrage hat diesen Trend lediglich bestätigt und befördert, nicht aber hervorgebracht. Jedes Fehlverhalten von Geflüchteten wird rasch als „kulturbedingt“ interpretiert und damit früher oder später auf den Islam zurückgeführt. Wenn Geflüchtete zum Christentum konvertieren – und dies scheint keine Seltenheit zu sein – wird indes meistens allein von den Ausgrenzungen muslimischer Eiferer berichtet, denen sie ausgesetzt seien. Der Bekehrungseifer der Kirchen, die ja durchaus um Mitglieder und Legitimation ringen, wird überhaupt nicht thematisiert.
IslamiQ: Islamische Religionsgemeinschaften bemühen sich um die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften. Ihnen werden aber andere Forderungen gestellt, darunter die Bekämpfung von religiösem Extremismus, der Abbruch der Verbindungen zum Herkunftsland, das Bekenntnis zu „deutschen“ Werten etc. Wann wird ein Muslim als ein „vollständiger Bürger“ akzeptiert?
Amir-Moazami: Sie sprechen hier einen ganz zentralen Mechanismus an: Politische Autoritäten reichen Muslimen scheinbar anerkennend die Hand und bekennen, der Islam gehöre zu Deutschland. Im nächsten Atemzug aber bemühen sie entweder von der christlich-jüdischen Vergangenheit oder ein sie sprechen ein dehnbares Repertoire an Bedingungen aus, das Muslime zunächst erfüllen müssen, um wahrhaftig vollständige Bürger zu werden. Gerade diese Konditionalität macht es nicht immer einfach, zwischen Ein- und Ausschluss zu unterscheiden. Die geforderte und geförderte Integration als bewegliches staatliches Instrument des Ein- und Ausschlusses kennzeichnet nationalstaatliche Mechanismen grundlegender.
Integrationsdiskurse und -praktiken produzieren immer notwendigerweise Normalität und Abweichung, weil sie zwischen Mehrheit und Minderheit unterscheiden. Auch die wohlwollende Geste des Einschlusses markiert immer zugleich auch das Partikulare und das vermeintlich allgemeine und operiert mit Differenzierung. Hier wirkt ein tradiertes Assimilationsparadox nach, das Soziologen wie Zygmunt Bauman schon vor langer Zeit äußerst treffend im Hinblick auf die „Judenfrage“ im 19. Jahrhundert analysiert haben.
Wie Sie selbst andeuten, ist außerdem auffällig, dass man Muslime einerseits immer wieder daran erinnert, sie mögen sich zu den Normen und Werten europäischer Freiheiten bekennen, sie aber im nächsten Schritt ständig als suspekt und außergewöhnlich markiert. Auch hier haben wir es auch mit einem allgemeinen Spannungsverhältnis zwischen allgemein gültigen liberalen Freiheiten und nationalstaatlichen Ordnungen zu tun, das sich bei der „muslimischen Frage“ gegenwärtig aufs Neue zeigt. Für um Anerkennung ringende Muslime ist die Garantie staatsbürgerlicher Rechte zugleich gekoppelt an die Bedingung, zu gefügigen Bürgern zu werden. Diese Bedingungen wandeln sich jedoch stets. Außerdem bleiben Muslime dennoch weiterhin außergewöhnliche Bürger. Dies zeigt sich selbst bei den sogenannten „IslamkritikerInnen“, die lauthals liberale Werte preisen und sich mit aller Kraft ihren Markierungen als Muslime zu entledigen versuchen. Auch sie werden letztlich immer wieder als Muslime zum Sprechen gebracht.