Vor 10 Jahren wurde die Deutsche Islam Konferenz (DIK) einberufen. IslamiQ beleuchtet in einer Beitragsreihe die Hintergründe und Entwicklungen. Zum Abschluss ein Interview mit dem ehem. DIK-Teilnehmer Ali Kızılkaya über die Höhen und Tiefen der DIK und persönliche Einblicke.
Die erste DIK wurde 2007 einberufen. Wie kam es zu ihrer Gründung?
Die Gründung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) wurde vorher nicht groß angekündigt. Hintergrund waren wahrscheinlich Anschläge, vor allem der an dem holländischen Künstler Van Gogh. Multikulturalismus, für das die Niederlande als Paradebeispiel galten, wurde als gescheitert erklärt. Vermutlich hat man infolgedessen darüber nachgedacht, wie das Verhältnis zum Islam gestaltet werden könnte.
Die großen islamischen Religionsgemeinschaften wurden dann zu einem Informationsgespräch eingeladen, ohne dass es unter diesen eine interne Beratung gegeben hatte. Die Muslime haben sich quasi bei der DIK getroffen. Als Teilnehmer haben wir nicht erfahren, wie es genau zur Idee der Gründung der DIK gekommen ist.
Gab es damals keine Gremien, in denen die Themen der DIK hätten diskutiert werden können?
Es gab kaum eine institutionelle Verankerung des Islams. Natürlich hat man mit den islamischen Religionsgemeinschaften gesprochen und teilweise auch auf unterer Ebene zusammengearbeitet. Jedoch gab es keine Partizipation der Muslime in gesellschaftlichen Diskursen, die von der Politik gewürdigt worden wäre. Daher war die DIK erst einmal zu begrüßen.
Der DIK wird Asymmetrie vorgeworfen. Der Dialog werde nicht auf Augenhöhe geführt. Stimmen Sie dem zu?
Ich kann für den Islamrat sagen, dass wir von Anfang an ahnten, wie die Verhältnisse sein würden. Sicher war die erste DIK nicht geeignet, um muslimische Anliegen angemessen zu diskutieren. Dafür war weder die Besetzung noch die Themensetzung geeignet. Allerdings bat sich mit der DIK erstmals die Möglichkeit, in den Dialog mit dem Staat zu treten. Denn bis dahin hatte der Staat die Muslime nicht als Gesprächspartner gesehen, sondern mehr oder weniger als ausländische Bürger, die sich an die Rechtsordnung halten, sich aber auch mit weniger Rechten zufrieden geben mussten.
Dieses Verständnis hat sich in der DIK immer wieder bemerkbar gemacht, obwohl die islamischen Religionsgemeinschaften „deutsche Gemeinschaften“ sind. Das sagt ja schon der Name des Islamrats, der eine Gemeinschaft für die Bundesrepublik Deutschland ist. Das wurde aber vom Staat nicht so wahrgenommen, weshalb man die muslimischen Gemeinden ehr als „Ausländerorganisationen“ betrachtet hat. Anders kann ich mir die zeitweilige oberlehrerhafte Haltung des Staates nicht erklären. Die Muslime sollten in der DIK die deutsche Rechtsordnung und deutsche Werte lernen.
Woran machen Sie das fest?
An der aufoktroyierten Tagesordnung und der Teilnahme säkularer und areligiöser Einzelpersonen oder Organisationen. Manche Namen waren schon damals kaum einem Muslim bekannt. Aber sie sollten bei der DIK für die Muslime sprechen, obwohl sie selbst sagten, keine Religionsgemeinschaften bzw. Muslime zu sein. Das habe ich als höchst irritierend empfunden. Diese Personen haben über ihre Teilnahme an der Konferenz auch einen „staatlichen TÜV“ bekommen und galten nun als die besser integrierten Mustermuslime. Hier hat der Staat versucht, Autoritäten ohne jede Basisanbindung aufzubauen. Damit sollten die sog. „konservativen Verbände“ in die Schranken gewiesen werden. Eine auch nur annähernd ähnliche Plattform für den Austausch mit den großen Kirchen wäre undenkbar. Meine dahingehende Frage ist bis heute unbeantwortet geblieben.
Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir kein Problem mit kritischen Stimmen zum Islam haben. Aber wie ich als Gemeinschaft mein Moscheeleben gestalte und was ich unter einem verantwortungsbewussten religiösen Leben verstehe, das sollte den muslimischen Gelehrten und Gemeinschaften überlassen werden. Der Grad der Integration kann nicht daran festgemacht werden, wie viel Haut man im Alltag oder im Schwimmunterricht zeigt.
Was ist mit den muslimischen Teilnehmern? Haben sie die Asymmetrie vielleicht verstärkt?
Da es einen Dialog mit dem Staat auf Bundesebene nicht gab, musste sich in großen Teilen mancher Gemeinschaften eine selbstbewusste Haltung erst herausbilden. Hinzukommt, dass man zu vielen Themen keine ausgearbeitete Position hatte. Diese musste erst intern gefunden und im Falle des KRM intern beraten werden. Sicherlich hat auch das zur Asymmetrie beigetragen.
Der Islamrat, dessen Vorsitzender Sie damals waren, ist 2009 aus der DIK ausgestiegen? Wieso?
Die Vertreter des Islamrats waren sehr kritische DIK-Teilnehmer. Wir haben einigen Positionen widersprochen, die nicht im Interesse der Muslime und kaum im Einklang mit der Verfassung standen. Das galt insbesondere dann, wenn der Islam an sich zum Problem gemacht wurde und damit eigentlich der Generalverdacht gegenüber Muslimen befördert wurde. Unser Einspruch richtete sich auch gegen die Arbeitsmethode, etwa wenn ohne ausreichende Diskussion Beschlüsse gefasst werden sollten.
Mit nicht nachvollziehbaren Begründungen wurde der Islamrat von der zweiten DIK ausgeschlossen. Genauer gesagt, hat man uns eine ruhende Mitgliedschaft angeboten, d. h. wir hätten nicht am Tisch gesessen, müssten aber alle Entscheidungen mittragen. Das war natürlich nicht akzeptabel, vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der ersten DIK. Deshalb sind wir ausgetreten.
Zuvor hatten wir uns in einer 15-seitigen Stellungnahme kritisch mit den Beschlüssen der DIK-Arbeitsgruppe 1 „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ auseinandergesetzt und unsere Unterschrift verweigert. Sehr bemerkenswert war, dass unsere schriftlich vorgelegten Bedenken nicht in das offizielle DIK-Protokoll aufgenommen wurden, obwohl das hätte geschehen müssen. Das ist nochmal ein deutliches Zeichen für die Asymmetrie und hat darüberhinaus einen schalen Beigeschmack.
Ist das von allen Teilnehmern so wahrgenommen worden?
Die Wahrnehmung ist unterschiedlich. Für die einen ist es eine Anerkennung, bei der DIK dabei zu sein. Damit kann man hausieren gehen. Für uns war es ein Gremium, Gleichbehandlung für die Muslime zu erreichen. Die anderen islamischen Religionsgemeinschaften haben das besagte DIK-Papier unterschrieben.
Hat sich der Aufwand – auch auf muslimischer Seite – gelohnt?
Unterm Strich hat es sich gelohnt, denn die DIK war trotz der Geburtsfehler eine intensive Bemühung, sich gegenseitig kennenzulernen. Der Staat hat natürlich versucht, die Muslime per Order – und nicht per Dialog – zu „integrieren“. Aber trotz allem: Der historische Verdienst der DIK war, unabhängig von diesen Ungereimtheiten, dass der Staat seine muslimischen Bürger zu Kenntnis nimmt und mit ihnen spricht. Gemeinsam sucht man Wege und Möglichkeiten des besseren Zusammenlebens, auch wenn man andere Vorstellungen davon haben mag.
Von großer Bedeutung ist auch die Feststellung, dass der Islam – nicht nur die Muslime – Teil Deutschlands ist, wie der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble deutlich formuliert und staatsmännisch daran festgehalten hat. Damit wurde ein Prozess des Kennenlernens angestoßen: Vor der DIK gab es ein Nebeneinander, danach ein versuchtes Miteinander. Erst ab dann kann man von einer wie immer gearteten Islampolitik sprechen. Es sind nicht mehr die Ausländer, die gesetzestreu, aber unbeteiligt daran in Deutschland leben, sondern muslimische Bürger, die mitgestalten wollen und sollen. Deshalb denke ich, dass sich der Aufwand insgesamt gelohnt hat.
Was ist der größte Erfolg der DIK?
Die DIK hat eine Dynamik in den Bundesländern und Kommunen angestoßen, z. B. in puncto Religionsunterricht, Staatsverträge oder Bestattungswesen. Die Hemmschwelle in der Kommunalpolitik, islamische Gemeinschaften als Partner anzuerkennen wurde gesenkt, es wurde nicht mehr aufgeschoben. Seit der DIK gibt es in einigen Bundesländern islamischen Religionsunterricht, der mehr oder weniger den Ansprüchen des Grundgesetzes entspricht, auch wenn es noch viel Verbesserungsbedarf und einige „Kinderkrankheiten“ gibt. Wir haben sog. Staatverträge bzw. Vereinbarungen, die allerdings den Verträgen mit anderen Religionsgemeinschaften hinterherhinken.
Was ist der größte Misserfolg der DIK?
Nicht alles, was die DIK angestoßen hat, ist erfolgreich. Die Zentren für Islamische Studien wurden über Beiräte gegründet, in denen sich die Religionsgemeinschaften die Kompetenz mit nicht basislegitimierten Teilnehmern teilen müssen – so als hätte man einen Bewährungshelfer an seiner Seite.
Bei der zweiten DIK, an der der Islamrat nicht teilgenommen hat, kam es dann zum größten Schaden überhaupt, nämlich dem Vertrauensschaden. Die Islamkonferenz mutierte zu einer Sicherheitskonferenz. Die berühmte Vermisst-Kampagne, bei der die gesamte muslimische Gemeinschaft unter Generalverdacht geriet, ist der Gipfel dieses Eklats. Noch trauriger ist aber, dass auch die muslimischen Teilnehmer an dieser Kampagne beteiligt waren.
Ist das heute im Zeitalter der Prävention anders?
Wir alle brauchen Sicherheit und der Staat ist verantwortlich, sie aufrecht zu erhalten. Die Frage ist, ob dies auch die Aufgabe der Religionsgemeinschaften ist und was sie damit zu tun haben. Wenn ein Verbrecher christlichen Glaubens ist, sind dann die Kirchen dafür verantwortlich? Verbrechen und Terror muss mit aller Härte des Rechtsstaates verfolgt werden. Muslimische Religionsgemeinschaften dürfen aber nicht als „Hilfspolizisten“ betrachtet werden. Ganz im Gegenteil: Auch muslimische Bürger sind potenzielle Opfer, die der Staat zu schützen hat. Wenn muslimische Religionsgemeinschaften als Sicherheitspartner fungieren, habe ich das Gefühl, sie werden als Kronzeugen oder Mitwisser gesehen.
Nachdem die erste und zweite DIK nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hatte, wurde sie umgekrempelt. Wie bewerten Sie die dritte DIK heute?
Man hat natürlich aus den Fehlern gelernt. Mit der Vermisst-Plakataktion ist die DIK gegen die Wand gefahren, der Vertrauensschaden war einfach zu groß. Angesichts der berechtigten starken Kritik von allen Seiten konnten sich weder die Politik noch die muslimischen Teilnehmer eine unveränderte Fortsetzung leisten. Als Folge davon hat Innenminister De Maizière die muslimischen Gemeinschaften zur dritten DIK eingeladen und über die zukünftigen Themen beraten. Als Themen wurden islamische Wohlfahrtsarbeit und „islamische Seelsorge“ festgelegt. Daran arbeiten nun die Teilnehmer zusammen mit Experten. Bei der Besetzung mussten die muslimischen Gemeinschaften allerdings Kompromisse eingehen: Wieder dabei waren säkulare und nichtmuslimische Organisationen. Das war Bedingung.
Sicherheit, Integration, Bildung und Wohlfahrt – sind das die wichtigsten Themen der Muslime in Deutschland?
Die DIK ist sicher nicht der Ort, an dem alle Themen besprochen und Probleme gelöst werden können. Das wäre auch eine Entmündigung der Muslime, vieles könnte und sollte innermuslimisch diskutiert werden. Außerdem wird in der Bundesrepublik Deutschland vieles auf Länderebene geregelt, darunter auch Religionsangelegenheiten. Das gilt auch für muslimische Belange. Man muss endlich erkennen, dass Muslime keine speziellen Gremien benötigte. Ihre Anliegen sollten dort besprochen werden sollten, wo auch die Themen anderer Bürger diskutiert werden. Muslimsein muss zur Normalität werden.
Apropos Normalität. Trotz zehn Jahren DIK wird gefragt, ob der Islam zu Deutschland gehört.
Trotz der langen Vergangenheit des Islams und der Muslime in Deutschland müssen Muslime immer noch um gesellschaftliche Akzeptanz kämpfen. Dabei ist der Islam ein selbstverständlicher Teil Deutschlands. Warum auch nicht? In einem religionsneutralen Staat gehören alle Religionsgemeinschaften dazu.
Bis zur DIK waren wir keine anerkannten Gesprächspartner des Staates. Mit der staatlichen Anerkennung kommt aber nicht unbedingt die gesellschaftliche Akzeptanz. Es gibt leider noch ein sehr starkes Misstrauen und eine Unbeholfenheit, wie mit dem Islam umzugehen ist. Trotz des halben Jahrhunderts schienen die Menschen sich noch nicht zu kennen.
Der Muslim scheint für den deutschen Nachbarn immer noch ein unbekanntes Wesen zu sein. Das Muslimsein wird zu sehr über die Medien wahrgenommen, obwohl zwischen den Nachbarn nur ein Gartenzaun steht. Hier sind auch Muslime in der Pflicht, diese ungünstige Situation zu ändern. So oder so müssen beide Seiten sich um Empathie bemühen und aufeinander zugehen. Vielleicht hat die DIK dazu beigetragen.
Kann die DIK als Teil des Projekts „deutscher Islam“ gesehen werden?
Ja, das denke ich schon. Zumindest der Versuch seitens des Staates ist immer gegenwärtig gewesen. Form und Inhalt zeigen, dass die DIK hätte zu einem staatlich erwünschten Ziel führen sollen. Das Ziel war ein der deutschen Leitkultur angepasster Islam. Man wollte den Islam – über das Bekenntnis zur Verfassung hinaus – in Übereinstimmung mit den sog. „deutschen Werten“ bringen, die aber nicht so genau definiert sind. Denn Werte sind bekanntermaßen variabel. Da braucht man nur ein paar Jahrzehnte in die Vergangenheit zu schauen. Die Frage ist: Muss ich meine Religion immer wieder so verändern, dass sie in der Öffentlichkeit allgemein akzeptabel ist?
Genau das wurde aber erwartet. In der DIK wurden teilweise religiöse Normen diskutiert und in Frage gestellt. Das haben wir zurückgewiesen, weil es dem religionsneutralen Staat nicht zusteht, religiöse Inhalte zu bestimmen. Solche Vorstöße zeigen, dass man hier schon versucht hat und immer noch versucht, einen „deutschen Islam“ zu kreieren.
Dialog verlangt Einsicht, aber auch Anpassung. Wie hat der Dialog den Staat und die Muslime verändert?
Ich denke, dass die DIK zu mehr gegenseitiger Empathie geführt hat. Das halte ich für einen großen Gewinn. Die DIK hat dazu beigetragen, dass der Staat nun den direkten Kontakt zu den Muslimen gesucht hat und nicht mehr über den Umweg über die Kirchen.
In der DIK haben die Religionsgemeinschaften gelernt, die Möglichkeiten und Grenzen des Staates besser einzuschätzen. Ihnen ist aber auch klar geworden, dass das religiöse Selbstbestimmungsrecht großes Gewicht hat. Am Anfang war wohl nicht allen bewusst, dass zivile Organisationen mitbestimmen können und auch eine andere Position vertreten können als der Staat. Das wiederum hat dem Staat deutlich gemacht, dass die Gemeinschaften sich durchaus hier verorten und sich mit Deutschland identifizieren.
Was haben Sie persönlich in Ihrer Zeit bei der DIK gelernt?
Ich hätte mir ein einheitlicheres Auftreten gewünscht. Daran mangelt es leider immer noch. Denn wir haben einen Schritt übersprungen und sind in der DIK zusammengekommen, ohne vorher zusammen zu sein. Das hat sich leider nicht gebessert.
In der DIK habe ich gesehen, wie stark die Vorbehalte gegenüber dem Islam tatsächlich sind. Ich war davon ausgegangen, der Staat sei in der Beurteilung der Muslime weiter als die Gesellschaft, musste aber lernen, dass dies nicht der Fall ist. Das staatliche Obrigkeitsdenken gegenüber Muslimen hat man deutlich zu spüren bekommen. Auch wenn wir an einem runden Tisch saßen, saß der Staat auf erhöhten Stühlen. Bis zur vollen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung, wie dies bei anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist, haben wir noch einen weiten Weg.
Meine größte Enttäuschung war, dass man von Muslimen mehr erwartet als von anderen Bürgern. Über die Treue zur Verfassung hinaus verlangt man auch die Verinnerlichung der vielbesagten, aber nicht einvernehmlich definierten „deutschen Werte“. Die aktuelle Loyalitätsdebatte zeigt erneut, dass sich da nicht viel verändert hat.
Ihr abschließendes Statement?
Der Generalverdacht und das Misstrauen gegenüber Muslimen besteht leider fort – und nimmt eher zu. Man gewinnt den Eindruck, Muslime seien Bürger auf Bewährung. An einem gelungenen Zusammenleben müssen wir gemeinsam weiterarbeiten. Dieser Prozess muss fortgeführt werden.
Das Interview führte Ali Mete.