Gauck-Nachfolge

Dürfen nur Christen Bundespräsident werden?

Die Frage nach der Religionszugehörigkeit des neuen Bundespräsidenten scheidet die Geister. Die Meinungsskala reicht von „Na klar!“ bis „völlig abwegig“. Rechtlich ist die Antwort eindeutig, sagt Jurist Burak Altaş.

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2016
Joachim Gauck
Alt-Bundespräsident Joachim Gauck © Ministério da Cultura/CC 2.0/flickr, bearbeitet by IslamiQ.

Seit der noch amtierende Bundespräsident Joachim Gauck gegenüber dem Evangelischen Pressedienst einen muslimischen Bundespräsidenten für „grundsätzlich denkbar“ erklärte, wird über die Religionszugehörigkeit seiner Nachfolge diskutiert. Die Debatte darüber scheint viele Politiker zu überraschen. So etwa den thüringischen Regierungschef Bodo Ramelow (Linke): „(…) Egal, ob Friese, Sorbe, Sinti, Katholik, Protestant, Hindu, Atheist, Veganer, Radfahrer oder Moslem. Denn all das sagt nichts über die Fähigkeit und Persönlichkeit.“ Dennoch kann die Diskussion nicht als unbedeutend abgetan werden, da es hier weniger um das konkrete Amt des Bundespräsidenten geht als vielmehr darum, dass eine Glaubensüberzeugung als Abgrenzungs- und augenscheinlich Ausgrenzungskriterium erachtet werden kann.

In Art. 54 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) heißt es bezüglich des Bundespräsidentenamtes: „Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat.“ Diese Kriterien sind abschließend. Eine Auslese hinsichtlich der Religionszugehörigkeit kann außerdem bereits deswegen nicht stattfinden, weil Art. 4 GG die Religionsfreiheit garantiert und von dieser Garantie Anwärter des Bundespräsidentenamtes nicht ausgenommen werden. Dass dies trotz dieser Deutlichkeit noch bestritten wird, kann nur auf eine bewusste Ausblendung verfassungsrechtlicher Vorgaben zurückgeführt werden.

Ein  kurzer und prägnanter Tweet der Jungen Union (JU) spricht diesbezüglich Bände: „In einem christlichen Land ein Christ zum Bundespräsident!“ Diese Aussage hat Andreas Scheuer (CSU) auf dem sogenannten Deutschladtag der JU getroffen. Angesichts der gravierenden Sachfehler in einem derart kurzen, aus 8 Wörtern und 15 Silben bestehenden Statement könnte die Kritik bereits aus Verzweiflung ausstehen, wenn der Inhalt dieser parolenartigen Forderung nicht so gefährlich und leider auch mehrheitsfähig wäre. Zuerst sei nur kurz angemerkt, dass Deutschland kein christliches, sondern säkulares Land ist. Das müssten Scheuer und die Jugendorganisation der größten deutschen Partei aber auch wissen, selbst wenn sie ein „C“ im Namen tragen. Des Weiteren haben wir glücklicherweise die Zeiten überwunden, in denen Ämter nicht (nur) nach Kriterien der Befähigung und Leistung vergeben wurden, sondern sachfremde, diskriminierende Erwägungen ausschlaggebend waren.

Ausgerechnet diese diskriminierende Denkweise auf die heutige und hiesige Demokratie zu projizieren, ist eine gefährliche Klientelpolitik, die nur dazu beiträgt, gesellschaftliche Gräben weiter zu vertiefen und bestehende Ängste zu bedienen. Scharfzüngigkeit, und dazu noch inhaltlich  fehlerhaft, können wir überhaupt nicht gebrauchen.

Leserkommentare

Charley sagt:
Ich möchte noch einmal zurück kommen zu der Frage: Welchen Wert hat es für wen, wenn ein BP einen islamischen "Hintergrund" (wie auch immer) hätte?
26.10.16
14:49
Johannes Disch sagt:
@Charley Ich weiß, wer das gesagt hat. Und ich bin über die Entwicklung in der Türkei nicht begeistert. Vor allem der Einfluss der türkischen Religionsbehörde "Dyianet" auf die Moscheegemeinden in Deutschland ist bedenklich. Und noch bedenklicher ist, dass die DITIB das abstreitet.
26.10.16
23:59
Charley sagt:
@Johannes Disch: Welches Problem hätte die Türkei mit einem kurdischen Staat? Und anders herum: Warum kann die Türkei den Kurden nicht diejenige Autonomie bieten, die diese brauchen, ggf innerhalb der Türkei? Das war ja schon alles mal auf gutem Weg, bis die Freiheiten zurück gedreht wurden. (Ist zwar nicht die Frage dieses Artikels, würde mich aber doch schon interessieren.)
27.10.16
10:22
Grünschnabel sagt:
@Charley: "Ich möchte noch einmal zurück kommen zu der Frage: Welchen Wert hat es für wen, wenn ein BP einen islamischen "Hintergrund" (wie auch immer) hätte?" Es geht doch nicht um einen Wert/Vorteil/Privileg, den man sich durch die Wahl eines muslimischen Bundespräsidenten verspricht. Ungeachtet seines Glaubens, seiner ethnischen Herkunft etc. hat dieser ohnehin neutral zu sein. Von daher verbietet sich dieser Gedanke. Das, was hier thematisiert wird, ist die Frage nach dem gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern. Wenn jemand nur deswegen nicht Bundespräsident werden darf/soll, weil er Muslim ist, ist das Diskriminierung. Hier wird die Verwendung des religiösen Hintergrunds als Ausgrenzungskriterium kritisiert.
27.10.16
11:13
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Die Türkei ist keine Demokratie mehr, in einer Demokratie sperrt man nicht einfach Menschen ein, die einem nicht passen oder verbietet kritische Medien. Seit der Machtergreifung der AKP-islamisten geht die Türkei in Richtung islamistische Diktatur. Und nur weil die AKP-Islamisten gemäßigter auftreten, sind sie nicht weniger gefährlich als die Saudis!
27.10.16
11:31
Charley sagt:
@Grünschnabel: Dass "Muslim-Sein" ein Ausschlusskrterium für einen BP ist, sagt sicherlich niemand Namhaftes, denn das würde - wie du und ich auch schreiben - ein Missverstehen des Amtes bedeuten, denn - ja -. es ist und hat zu sein unwichtig, welchen religiösen Hintergrund jemand hat. Nur, und da ist vielleicht auch mal etwas Reflexion nötig, warum wird diese Frage denn hier erhoben, genauso wie die "Kopftuchfrage" beim Richteramt (Wir hatten die Diskussion mal). Wenn jemand es nötig hat, seine Folklorezwänge (und öffentliche Religions- und Glaubenszugehörigkeitssymbole zur Schau zu stellen, stellen zu müssen zähle ich sehr wohl dazu) dann ist er für ein Amt, dass da Neutralität gebietet, unegeeignet. Da gilt es auch auch auf Empfindlichkeiten derjenigen Rücksicht zu nehmen, denen man als Amtsträger begegnet. Ich kenne genügend Muslime, die ihre Religion wirklich im Inneren tragen und ansonsten es nicht nötig haben, mir oder sich etwas durch Äußerliches zu beweisen. Mit mir müsste man auch sehr lange diskutieren, bis man merkte, dass ich Christ bin und dann auch, welcher Art mein Verständnis von Christentum ist. D.h. ich habe es (vermutlich) in ein gesundes Verhältnis zu meiner Person gebracht und muss nicht Sektenzugehörigkeit zeigen, um mir selbst zu beweisen, welchen Geistes ich bin. Wäre also ein BP gleichzeitig Muslim, so würde es mich nur interessieren, ob er ein authentischer Mensch und sich fachlich auskennt (oder gut beraten ist). Dass Religion ein innerer Weg ist, ist wenig bekannt und vor allem wohl bei den Artikelschreibern hier auf islamiq nicht. Da wird ganz oft Folklore-Islam und ideologischer Islam vertreten und spiritueller Islam als innerer Weg kaum erwähnt (vielleicht auch wenig bekannt). Diese 3 Arten Religion zu leben gibts übrigens überall. Und weil der Islam so sehr ideologisch konzipiert ist (gesellschaftlicher Machtanspruch, Zwanghaftigkeit, Religion äußerlich leben (Kopftuch, Schweinfleisch, Gebetszeiten usw.usf..... zu müssen), fällt er in Deutschland ständig damit unangenehm auf. Ein wirklich innerer Weg kommt nie mit äußeren Bedingungen in Konflikt. Ich würde es sogar begrüßen, wenn ein Muslim BP würde, weil er damit zeigen würde, dass er entweder seinen muslimischen Hintergrund zurück gelassen hätte oder ihn total verinnerlicht hätte (und dadurch ein edlerer Mensch geworden wäre). Nur würde er damit auch für viele nicht mehr als "Einer-von-uns!" von Moslems bejubelt werden könne (vielleicht sogar abgelehnt werden), weil er dem Folklorezirkus und der Ideologie abgesagt hat, während andere sich noch gänzlich mit diesen "Religionsstilen" identifizieren.
27.10.16
14:15
Charley sagt:
Ein jeder Mensch hat aus sich heraus beurteilt zu werden. Sobald ich ihn aufgrund äußerer Kongruenz mit anderen Menschen beurteile (Geschlecht, Hautfarbe, Alter, dick-dünn, Sprache, Behinderung, "Ungläubige" :-))j, Bildungsgrad, Religionszugehörigkeit.... usw.usf.......) beurteile ich ihn als Gruppenwesen (was der Mensch ganz sicher auch ist). D.h. ich habe natürlich Eigenschaften als Gruppenwesen. Insofern ist es berechtigt, wenn Wissenschaftler über "Frauen"/"Männer" usw.usf. forschen. Denn diese Gruppeneigenschaften sind vorhanden, wirken. Wenn ich den "Wert", Bedeutung, Qualität, Kompetenz usw. eines Menschen auf diese Gruppenzugehörigkeiten zurück führe, fängt sofort (!) der Rassismus an. Denn ein Mensch kann all seine Gruppenzugehörigkeiten komplett überwunden haben und sich darüber emanzipiert haben. Das ist er, weil er eine Individualität ist, die sich selbst erkennen und in der Folgen dann auch bestimmen kann. Einen Menschen zu erkennen bedeutet also zu schauen, wie sich die Individualität(skraft) im Umkreis ihrer Bedingungen/Bedingtheiten darstellt. (Bei Schuld-Reue-Fragen z.B. spielt das vor Gericht eine Rolle...). Nicht auf die Individualität zu schauen, ist unmenschlich. Die Individualität für möglich zu halten, sie zu schätzen, sie für "erkennbar" zu erachten, sehe ich als Grundlage der abendländischen Kultur an. Dieser Gedanke ist so urmenschlich, dass kann man in der Begegnung mit jedem Menschen aus jeder Kultur sofort erleben. Insofern ist das, diese Haltung (wenn man es so bezeichnen will) größer als "das Christentum", welches allerdings diese Ich-Kultur immanent eingebaut hat. Ich meine sogar, dass dieser Individualitätsgedanke, diese Individualitätswertschätzung von jedem Menschen auf der Welt ersehnt wird, für sich, für seine Mitmenschen, seine Kultur und seine Gesellschaftsordnung. Unerträglich war das Christentum für andere Kulturen dann, wenn es nicht auf diese Dimension setzte (welche kommuniziert wird durch die Kraft der Liebe). Das würde auch die geistige Höhe eines Bundespräsidenten ausmachen, der ein GG vertritt, dessen erster Satz heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!" Das "Ich" des Menschen als einen Funken aus dem "Flammenmeer Gottes" zu erkennen ist aber im Islam Frevel ("Allah hat keinen Sohn!"). So hat der Islam das Problem eingebaut, dass er Individualität pflegen will (mit seinen hohen ethischen Ansprüchen und Regeln), diese zu erkennen aber zugleich ein Denkverbot eingebaut hat.
27.10.16
14:38
Johannes Disch sagt:
@Charley Welches Problem mit einem kurdischen Staat hätte? Nun, Sie wollen ihre nationale und territoriale Einheit behalten. Was man auch verstehen kann. Nur war Erdogan da schon einmal auf einem besseren Weg, als er den Kurden Autonomie zubilligte. Andererseits darf man die Schuld hier nicht nur bei Erdogan suchen. Die PKK ist auch kein Kind von Traurigkeit. Genauso gut wie Sie fragen, welches Problem Erdogan mit nem Kurdenstaat hätte könnten sie die Spanier fragen, welches Problem sie mit nem eigenen baskischen Staat hätten. Wenn jede ethnische Minderheit ihren eigenen Staat aufmacht, dann hätten wir bald einen europäischen Flickenteppich.
28.10.16
3:31
Charley sagt:
@Johannes Disch: Das Problem ist mal wieder das der Identität! Welche Identität bietet mir mein Staat an? Als Kurde eine türkische, als Baske eine spanische? Wenn von Staats wegen das Spektrum der Identität zu eng gesehen wird, so muss man einige ausschließen, die damit "automatisch" zu "Feinden" werden. Wenn die staatsprägenden Persönlichkeiten groß und freilassend genug denken, dann kann sich auch jeder in dem Staat "wohl" fühlen. Denn wirtschaftlich macht Vereinigung ("Brüderlichkeit") absolut einen Sinn, während es im Kulturellen keinen Sinn macht, da gilt das Ideal der "Freiheit", die das Ideal, die Möglichkeit der Individualisierung mit einschließt. Wenn diese drei Staatselemente Wirtschaft, Rechtsleben, Kulturleben mit den Idealen Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit falsch verbunden werden, muss Unfrieden entstehen! So hatte der Kommunismus mit dem Ideal der Brüderlichkeit total recht, er scheiterte aber, weil er dieses Ideal auch auf das Kulturleben (wo Konkurrenz gelten muss!) und auch Rechtsleben (wo Brüderlichkeit zu "Seilschaften" führt) ausdehnte.... Weil das nicht begriffen wird, gibt es so viele sog. "ethnische" Konflikte in der Welt. Und weil Erdogan das Ideal des Menschsein im seiner Auffassung von "Türke-Sein" sieht, ist er für die Konflikte verantwortlich. Er hätte die Macht, der PKK total den Wind aus den Segeln zu nehmen! Seine Enggeistigkeit ist das Problem, aus dem die anderen Probleme entstehen! Ein Staat, der die Freiheit nicht achtet (und das passiert bewusst oder nicht bemerkt vielerorts) programmiert automatisch Konflikte und Krieg.
28.10.16
12:02
Johannes Disch sagt:
@Charley Nachdem Erdogan offenbar die Todesstrafe tatsächlich wieder einführen will und dazu auch noch den Friedensvertrag von Lausanne bezweifelt und türkische Gebietsansprüche auf die griechischen Inseln Kos und Rhodos geltend machen will, hat sich das Thema EU-Beitritt der Türkei wohl erledigt. Kein Staat, der die Todesstrafe im Repertoire hat, kann Mitglied der EU sein oder Mitglied der EU werden. Ich bin noch immer der Meinung, die Zukunft der Türkei liegt in der EU. Und ich denke, dass auch der überwiegende Teil des türkischen Volkes das so sieht. Aber unter den gegenwärtigen Umständen geht es nun mal nicht. Aber dieses Problem muss die Türkei selbst lösen.
31.10.16
10:06
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