Krieg in Syrien

Aleppo – Die legendäre Stadt

Aleppo wurde fast komplett zerstört. Doch es gibt noch Menschen die an die Stadt, an ihre Heimat glauben. Wie Lina Shamy, die für IslamiQ die letzten Jahre in Aleppo und ihren Widerstand gegen Assad auf Papier gebracht hat.

05
11
2016
Aleppo City © C.C 2.0/flickr/ Ed Brambley

Aleppo, Sommer 2010, halb zehn abends. Eine leichte, kühle Brise umweht uns. Ich versuche, den Blicken der Leute auszuweichen. Eine Gruppe syrischer und japanischer Studenten, die hier in Syrien einen Ferienkurs machen. Auf unserem Weg durch die Altstadt von Aleppo lärmen wir, lachen laut. Die Geschäfte im großen Souk der Altstadt schließen allmählich. Das Pflaster der Straßen unter unseren Füßen ist jahrhundertealt. Der Mond lächelt über unseren Köpfen, die Gebäude murmeln und flüstern. Jedes Fleckchen, jeder Duft an diesem Ort erzählt eine Geschichte. Dein Herz zerreißt jedes Mal, wenn du fortgehst.

Sommer 2011: Ich renne so schnell wie nie zuvor. Ich spüre meine Beine nicht mehr. Nur weg von diesen Monstern, den Schlägertrupps des Regimes, bekannt als „Shabiha“. Das Lied, das ich während der Demonstration gesungen habe, klingt noch immer in meinem Kopf. Die „Shabiha“ greifen uns an, jagen uns. Mein Herz schlägt so hart und laut. Wenn ich stehen bleibe, ist es mit mir vorbei. Sie verfolgen mich mit dem Auto. Ich kann nur rennen!

Völlig erschöpft schlüpfe ich in einen Hauseingang. Hier werden sie mich nicht finden, denke ich. Hier bin ich in Sicherheit. Ich klopfe an irgendeine Tür, bitte den alten Mann, mich hinein zu lassen. Dann der Schock! Er schließt die Tür. Ich beginne zu schreien, wie wild gegen die Tür zu hämmern. Die Eingangstür fällt krachend hinter mir zu. Ich erstarre. Die Shabiha haben mich gefasst und übergeben mich Assads Sicherheitsabteilung.

Im selben Jahr, es ist Herbst. Ich wurde entlassen. Die Schule hat gerade wieder begonnen. Ich sitze am Schreibtisch, lege die letzte Prüfung ab.

Draußen wartet eine junge, fremde Frau auf mich. Als ich aus dem Prüfungsraum komme, lächelt sie, hält mich an und bittet um ein kurzes Gepräch in einem der Hörsäle. Ich folge ihr. Kein Problem, hier ist schließlich meine Uni.

Sie bringt mich ins Büro der Baath-Partei auf dem Campus. Diese Partei ist die einzige echte Partei in Syrien, die Partei des Regimes. Ein Mann wartet hinter dem Schreibtisch. „Setz dich bitte.“ Sie selbst nimmt mir gegenüber Platz. Beide sind freundlich, bis der Mann aufsteht und die Tür schließt. „Weißt du, wer ich bin?“, fragt er mich. „Entschuldigung, ich bin überrascht. Was wollen Sie?“

Er wedelt mit einem weißen Papier. „Ich will ganz klar und offen sein: Wenn mir zu Ohren kommt, dass du an Demonstrationen oder anderen schmutzigen Sachen teilnimmst, die unserer nationalen Sicherheit schaden, genügt ein Federstrich und dein Studium ist beendet. Du wirst in Zukunft nicht mal mehr existieren.“

Januar 2013. Die Stadt ist in zwei Hälften geteilt. Ich bin immer noch im westlichen Teil, der vom Regime gehalten wird. Flugzeuge bombardieren den östlichen Teil der Stadt, den die „Freie Syrische Armee“, der bewaffnete Widerstand gegen Assad, kontrolliert.

Ein paar Monate später, die Freie Syrische Armee hat 60% Aleppos eingenommen, beginnen wir erneut für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde für alle Syrer zu demonstrieren. Die Aleppo-Universität liegt im vom Regime verteidigten Teil der Stadt. Zwei Monate vor der Befreiung, am 17. Mai 2012, findet hier eine der größten Demonstrationen statt.

Ich stecke gerade in meinem Semesterabschlussexamen in Design. Es ist ein sonniger Tag. Ich bin damit beschäftigt zu zeichnen und meine chaotischen Skizzen zu überarbeiten. Hoffentlich werde ich rechtzeitig fertg! Plötzlich werden meine Zeichnungen unter Staub begraben, das Fenster, neben dem ich sitze, zerbrichtt. Ich hebe meinen Kopf, drehe mich entsetzt nach meiner einzigen Freundin um. Ist sie am Leben? Ich kann kaum glauben, dass ein Luftangriff die Universität nur zehn Meter von unserem Gebäude entfernt getroffen hat. Eine klare Botschaft des Regimes an uns: Das erwartet euch, wenn ihr weiter demonstriert.

September 2014: „Ost-Aleppo“, inzwischen die „gefährlichste Stadt der Welt“. Meine Mitbewohnerin ist schwer krank. Die ganze Nacht kühle ich ihren Körper mit nassen Tüchern, aber die Temperatur geht nicht zurück. Es geht ihr schlechter und schlechter. Ich habe Angst. Wir sind ganz allein, nur sie und ich. Mein Handy hat keinen Empfang. Elektrizität gibt es schon lange nicht mehr. Über uns kreisen Assads Helikopter, bombardieren alles. Ich habe keine Wahl, als ihr beim Anziehen zu helfen. Während wir die Treppen hinunter gehen, schwillt der Bombenlärm an. Draußen auf der Straße setzt sich meine Freundin auf den Bordstein, während ich versuche, ein Auto anzuhalten, dass uns zum nächsten Krankenhaus bringt.

Unglaublich, dass ich mich am nächsten Abend fertig mache, um ins Theater zu gehen. In einer vom Tod erfüllten Stadt.

August 2015. Aleppo, „östlicher Teil“: Ich bin seit zwei Monaten verheiratet. Es ist früh am Morgen. Ich liege im Wohnzimmer neben meinem Mann. Das Geräusch der Flugzeuge und Bombardements ist furchtbar, verbreitet Schrecken. Plötzlich hören wir direkt über uns das besonders laute Dröhnen eines Flugzeugs. Die Menschen auf der Straße fangen an zu schreien: „Achtung, die Fassbombe fällt!“ Ich glaube unser letzter Augenblick ist gekommen. Ich umarme Yusuf ganz fest. Dann schlägt sie ein. Das Gebäude bebt, die Druckwelle ist unglaublich. Die Bombe hat nur 30 Meter von uns entfernt eingeschlagen. Nach einer Weile lächeln wir uns an. Ein weiteres Mal haben wir den Kampf gegen den Tod gewonnen.

Später in diesem Jahr werde ich Mitglied der Theatergruppe „Bread Way“. Im Dezember führen wir unser zweites Stück im östlichen Teil Aleppos auf.

Oktober 2016. Ich mache mir Kaffee auf Holzfeuer, nachdem uns das Gas ausgegangen ist. Ich sitze auf meinem Stuhl und nippe an dieser goldenen Kostbarkeit wie eine Königin. Nach drei Monaten Belagerung durch Assads Truppen ist Kaffee rar in dieser Stadt. Um mich herum riecht es nach Tod. Ich höre das Dröhnen der russischen Flugzeuge und der des Regimes. „Wer ist der Nächste?“, denken wir. Ein anderer Geruch kriecht in meine Nase. Es ist „Widerstands-Geruch“, der Gestank von verbranntem Plastik, um Assads und Russlands Luftwaffe die Sicht zu vernebeln.

Plastik, das Leute zur Energieerzeugung benutzt haben, wird nun dazu gebraucht, um Widerstand zu leisten.

Diese Menschen sind unbesiegbar. Sie werden nicht schwächer, egal welche Methoden dieses kriminelle Regime anwendet. Sie sind in ihrem Land verwurzelt wie Bäume, sie gehen nirgendwo hin. Sie bleiben an den Orten der Massaker, neben den Gräbern ihrer Liebsten, neben den Ruinen ihrer Häuser. Sie hüten das Feuer der Vergeltung und kämpfen für Menschlichkeit und Freiheit im Namen der ganzen Welt.

Leserkommentare

Grünschnabel sagt:
Ein hervorragender und einzigartiger Erfahrungsbericht! Beim Lesen kann man die Gefühle der Autorin förmlich auf der Haut spüren. Gerne mehr von ihr! Umso trauriger ist es, dass sich die Weltgemeinschaft um das Leid der Menschen in Aleppo und Syrien kaum schert. Diese Verantwortungslosigkeit könnte uns allen zum Verhängnis werden. Menschlich gesehen ist es eine Katastrophe, dass man so tut, als handle es sich dabei um einen innerstaatlichen Konflikt.
09.11.16
12:47