Heute vor vier Jahren unterzeichnete Hamburg als erstes Bundesland den Staatsvertrag mit Muslimen, auch in Bremen besteht er schon seit zwei Jahren. Welche Auswirkungen sie hatten und warum Muslime in einer Krise stecken, erklärt SCHURA-Vorstandsvorsitzender Norbert Müller.
„Anerkennung“ ist immer zentrales Ziel des organisierten Islams in Deutschland gewesen: Die Erlangung gesicherter Rechtspositionen, damit der Islam im gesellschaftspolitischen Gefüge vom Objekt zum handelnden Subjekt werden kann. Neben rechtlichen Notwendigkeiten wie etwa beim schulischen Religionsunterricht ergibt sich das Erfordernis gesicherten Rechtspositionen aus der durchgehenden Tendenz des öffentlichen Islamdiskurses, muslimische Selbstorganisation in Gemeinden zu delegitimieren und stattdessen über die Angelegenheiten der Muslime ohne deren Beteiligung zu verhandeln. Kurzum: Das Ringen um institutionelle Anerkennung ist auch ein wesentlicher Teil des Kampfes der Muslime um die Deutungshoheit über ihre eigenen religiösen Angelegenheiten.
Die Anerkennung von SCHURA, DITIB und VIKZ als Religionsgemeinschaft (mit der späteren Option Körperschaft des öffentlichen Rechts) ist deshalb auch das wesentliche Ergebnis der Staatsverträge in Hamburg und Bremen. Die Verträge enthalten viele Sachregelungen wie die Anerkennung von Ramadanfest, Opferfest und Aschura als religiöse Feiertage, zur islamischen Bestattung, Gefängnisseelsorge, Repräsentation in Rundfunkräten sowie in Hamburg zum schulischen Religionsunterricht. Vieles davon wurde schon vorher praktiziert. Die Wirkung der Staatsverträge ist hier weniger spürbar. Spürbar ist dagegen tatsächlich eine veränderte politische und mediale Wahrnehmung und Behandlung der islamischen Religionsgemeinschaften. In vielen Bereichen sind sie jetzt als legitime Akteure in einer viel selbstverständlicheren Weise Teil des politischen Prozesses. Es ist bisweilen eher organisatorischen Schwächen der Religionsgemeinschaften geschuldet, wenn praktisch nicht mehr daraus gemacht wird. Überhaupt ist schon ein anderes gesellschaftliches Klima spürbar, welches etwa der Al-Nour-Gemeinde ermöglicht, eine ehemals evangelische Kirche in eine Moschee umzubauen.
SCHURA in Hamburg und Bremen
Der Staatsvertrag hatte aber auch seine Voraussetzungen, organisatorisch das Bestehen von Landes-Religionsgemeinschaften. Während DITIB und VIKZ als Landesverbände von Bundesorganisationen in Hamburg wie Bremen nur eine Minderheit der Moscheegemeinden stellte, war in beiden Städten SCHURA der entscheidende Akteur. In SCHURA Hamburg (gegründet 1999) wie SCHURA Bremen (2006) finden sich sowohl Moscheegemeinden, die wie die IGMG-Gemeinden, Bosnier, Albaner, Marokkaner und Schiiten auch Bundesverbänden angehören, als eine Vielzahl „freier“ Gemeinden der Afrikaner, Kurden, Pakistanis, Afghanen u.a. Es findet sich das gesamte Moscheenspektrum des sunnitischen und schiitischen Islam des Bundeslandes, so dass die Religionsgemeinschaft tatsächlich repräsentativen Charakter besitzt und eine darauf aufbauende Verhandlungsmacht einbringen konnte.
Rechtliche Voraussetzung für das Bestehen einer Religionsgemeinschaft ist die dort praktizierte „umfassende Glaubensverwirklichung“ – deren Ort im Islam die Moscheegemeinde ist – und die für die Mitglieder identitätsbildende Funktion des Verbandes. Diese Voraussetzung wurde in Hamburg vor Vertragsabschluss durch rechtswissenschaftliches (Prof, Heinrich de Wall) und ein religionswissenschaftliches Gutachten (Prof. Gritt Klinkhammer) umfassend wie akribisch geprüft. Seitens SCHURA hat man die Gutachten nur bestanden, weil frühzeitig und zielorientiert darauf hingearbeitet hat, die Strukturen einer Religionsgemeinschaft aufzubauen. Dazu gehört es nicht nur, möglichst alle Moscheen vor Ort auch einzubinden und die kleinen und schwachen organisatorisch zu stärken, sondern eine identitätsbildende Gemeinschaft jenseits nationaler Grenzen auch zu leben. Hierfür wird vieles getan von einem regelmäßigen Treffen der Imame über einen gemeinsamen Ramadankalender bis zu Veranstaltungen und Tagungen zu religiösen und politischen Anlässen.
Dazu gehörte aber auch die Bereitschaft von Verbänden wie IGMG, die eigenen Gemeinden in die SCHURA organisatorisch einzubringen, sie als Repräsentant der Gemeinden in Hamburg zu sehen und folglich auf eigenprofilierendes Verhalten weitgehend zu verzichten.
Ein wichtiger Faktor war und ist eine breite gesellschaftspolitische Präsenz der SCHURA in Hamburg wie in Bremen: Vom Interreligiösen Forum über Kooperationen mit Wohlfahrtsverbänden bis zum linken „Bündnis gegen Rechts“ ist in Hamburg das Spektrum vielfältiger Aktivitäten nur grob beschrieben. Basis für SCHURA Hamburg war eine klare gesellschaftspolitische Positionierung: Schon 2004 hatte SCHURA sich in dem Grundsatzpapier „Muslime in einer pluralistischen Gesellschaft“ eindeutig zu einem Islam im Einklang mit der Werteordnung des Grundgesetzes bekannt. Gerade während des Verhandlungsprozesses war der ständige Dialog mit allen Parlamentsparteien (CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke) wesentlich. Immerhin begann man die Verhandlungen mit einer allein regierenden CDU, setzte sie mit einem schwarz-grünen Senat fort und am Ende wurde der Vertrag mit einer SPD-Regierung abgeschlossen. Am Ende gab es in beiden Bundesländern breite Mehrheiten für die Verträge. Nur die CDU in Bremen bzw. Teile der CDU und die FDP in Hamburg verweigerten sich.
Reaktionen in der Öffentlichkeit
Bei Abschluss der Staatsverträge in Hamburg und Bremen waren die mediale Berichterstattung sowie die Reaktionen in Politik und Gesellschaft bis auf wenige Ausnahmen sehr positiv oder wenigstens sachlich neutral. Dies befeuerte bei den Muslimen in Hamburg den Optimismus, mit dem Staatsvertrag ein Modell geschaffen zu haben, perspektivisch in allen Bundesländern der institutionellen Integration des Islam einen gewaltigen Schritt näher zu kommen. Immerhin standen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und später Rheinland-Pfalz Landesverbände von SCHURA, DITIB und VIKZ in gleicher Konstellation als Vertragspartner bereit. In Berlin, Hessen oder Baden-Württemberg hoffte man, dortige Verbände (IFB, IRH, IGBW) nach dem SCHURA-Modell weiter zu entwickeln. Koordiniert wird dies über die Konferenz der islamischen Landesverbände (KILV).
Und tatsächlich: Schleswig-Holstein startete Staatsvertragsverhandlungen und kurz darauf folgte die Landesregierung in Niedersachsen; später kündigte die Regierung in Rheinland-Pfalz an, alsbald damit beginnen zu wollen. Was vielversprechend begann, ist nun in eine Krise geraten. Zunächst stockten die Verhandlungen in Schleswig-Holstein bis Vertreter des zuständigen Ministeriums erklärten, für einen Staatsvertrag kein politisches Votum mehr zu haben. In Rheinland-Pfalz wurde ein im September angesetzter Verhandlungsauftakt kurzerhand abgesagt und die Verhandlungen bis auf weiteres ausgesetzt. In Niedersachsen laufen Verhandlungen weiter und im Frühjahr liegt der Entwurf eines Staatsvertrage vor. Hierin äußert vor allem die CDU Kritik. Daraufhin wird noch einmal nachgearbeitet, wobei SCHURA und DITIB erhebliche Zugeständnisse machen. Statt nun zuzustimmen begründet die CDU ihr Ablehnung mit neuen Einwänden – Lage in der Türkei – und die rotgrüne Landesregierung zieht nun das ganze Projekt zurück, obwohl die FDP weiter zustimmen würde und man daher im Landtag eine deutliche Mehrheit hätte. Grund nun: Angeblich mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz wie Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) unumwunden im Taz-Interview (4.9.16) einräumt.
Die AfD und ihre Auswirkungen
Offensichtlich haben wir es zu 2013 mit geänderten politischen Rahmenbedingungen zu tun – Stichwort AfD. Wirkt hier also der atmosphärische Druck der Rechtspopulisten, die in ihrer antiislamischen Demagogie immer schriller werden aber damit sehr weit in die Mitte der Gesellschaft reichen? Sehen sich deshalb die demokratischen Parteien in Bezug auf den Islam nicht mehr in der Lage, sachlich wohl begründete Projekte umzusetzen, die man noch vor drei Jahren umstandslos begrüßte? Wohin soll das führen? Will die deutsche Politik aus tagespolitischem Opportunismus eine weitere Entfremdung bei vielen Muslimen in Kauf nehmen?
Die islamischen Religionsgemeinschaften müssen aber verstehen, dass diese Krise vor allem auch ihre Krise ist. Tatsächlich haben sie es abgesehen von großen Städten wie Hamburg und Bremen nicht geschafft sich so aufzustellen, dass sie in irgendeiner Weise überhaupt politisch handlungsfähig wären. Was wir brauchen ist eine offene Debatte – und zwar sowohl innerislamisch wie auch mit Staat und Politik – wie wir unter den gegebenen Umständen unsere Handlungsfähigkeit wieder gewinnen.