Wenn das Fleisch „halal“ ist, dürfen es Muslime essen. Doch ist das wirklich alles? Ist Massentierhaltung und die ethisch inkorrekte Behandlung der Tiere obsolet und welche Beziehung hatte der Prophet zu Tieren? Diesen Fragen geht Ümmü Selime Türe nach.
In den letzten Jahren empfand ich die Diskussionen rund um das Opferfest sehr bedrückend. Im Islam gibt es zwei wichtige Feste und das Opferfest ist eines davon. Zum Opferfest (arab. Eid al-Adha) gehört – gebräuchlich – auch das Schächten dazu. Jedoch beschäftigte mich das Thema so sehr, weil die islamischen Gebote als tierunfreundlich demonstriert wurden. Eine derartige Diskussion bringt einen natürlich zum Nachdenken.
Verbote und Gebote?
Das Sprichwort „du bist was du isst“ ist so banal, aber doch so aussagekräftig. Wenn man über den sogenannten „Vegetarismus“ spricht, dann gibt es unterschiedliche Facetten dieses Trends. Für mich ist er die Spitze des Eisbergs, der hauptsächliche Content liegt darunter. Nun für eine Muslimin mag das paradox klingen, auf Fleisch zu verzichten, obwohl man Fleisch essen darf. Man bedenke, dass man nach islamischen Regeln ohnehin auf Schweinefleisch und Alkohol verzichtet, wieso das auch noch? Wieso grenzt man sich ein, wenn es doch so viele Alternativen gibt? Der Islam ist keine Religion, die wie so oft geglaubt wird, nur Verbote oder Gebote hat, sondern eine Religion, die zum Nachdenken anregt, viel Raum zur Reflexion gibt und stets die Mitte aller Dinge empfiehlt. Schaut man sich beispielsweise das Leben unseres Propheten an, dann sieht man, wie minimalistisch und ausgeglichen er gelebt hat.
Das Leben des Propheten Muhammad (s)
Es gibt viele Überlieferungen darüber, was er gegessen hat, wie er gelebt hat und wie er im Umgang mit Menschen und Tieren war. Aus denen ist bekannt, dass er viel gefastet und wenig gegessen hat. Denn im Islam wird der Körper als ein Geschenk gesehen und sollte mit Respekt behandelt werden. Nur wer zu seinem Körper gut ist, kann auch Gutes wieder zurückgeben. Auch im Koran steht: „Esset von guten Dingen, die Wir euch bereitet haben.“[1] Überträgt man dies auf die heutige Zeit, dann muss man sich seine Nahrung in dieser monströsen Industrie sorgfältig aussuchen. Es gibt viel Verarbeitetes, meistens industriell produziert, gentechnisch manipuliert und vieles mehr, dessen Aufzählung ein Wagnis darstellen würde. Nach dem Auftauchen so vieler Krankheiten geht der Trend zu einem bewussteren Leben. Schaut man jedoch 1400 Jahre zurück, dann ist der heutige Trend doch nicht so neu. Der Prophet Muhammad (s) hat bewusst gegessen und nur so viel, dass er sich auf den Beinen halten konnte. Er sagte: „Der Sohn Adams füllt nicht etwas, was schlimmer ist als sein Magen. Es ist für den Sohn Adams ausreichend eine Hand voll zu essen, so dass er gehen kann. Wenn er es jedoch tun muss (seinen Magen füllen), dann sollte er ein Drittel mit Essen, ein Drittel mit Trinken und ein Drittel mit Luft füllen.“
Essen und Spiritualität
Vergleichen wir die Zeit damals mit der heutigen Zeit, dann sind quantitativ gesehen Welten dazwischen. Heute wird alles in Fließbändern produziert und Tiere werden nicht unbedingt ethisch korrekt behandelt. Wenn es empfohlen wird, von guten Dingen zu essen, dann denke ich selbstverständlich auch an die Tiere. In der Lebensgeschichte des Propheten wird viel über seine Beziehung zu seinem Kamel erzählt oder über eine Geschichte, wo Prophet Muhammad einem Kind ein Kondolenzbesuch abstattet, weil dessen Vogel verstorben ist. ‚Wenn der Prophet ein überlastetes oder schlecht gefüttertes Tier sah, pflegte er mild mit dem Besitzer zu reden und zu sagen: “Fürchte Gott in deiner Behandlung der Tiere.”[3] Einer der bekanntesten Gefährten des Propheten, Abu Huraira, was auf Arabisch ‚Vater des Kätzchens‘ bedeutet, geht mit diesem Namen in die islamische Geschichte ein und mit diesem Namen gilt er mit ca. 3300 Hadithen als der wichtigste Überlieferer von Hadithen.
Ist halal wirklich halal?
Wenn man sich das gesamte Bild anschaut, dann überlegt man sich doppelt und dreifach, wie ethisch korrekt unsere Nahrung ist. Hierbei geht es natürlich nicht nur um das Fleisch, aber weil es Lebewesen sind wie wir, tragen wir eine Verantwortung, diese auch würdig zu behandeln. Die Entscheidung auf Fleisch zu verzichten ist keine Entscheidung, die von heute auf morgen getroffen wird. Es ist ein Prozess. Früher war es viel schwieriger in Europa halal Fleisch zu essen, weil es wenige Angebote gab. Heut sprießen überall die Halal Märkte aus dem Boden. Daran erfreuen sich besonders die Großkapitalisten. Vor ein paar Jahren hätte ich mich darüber gefreut. Heute bin ich eher skeptisch. Ich fragte mich nun, ist halal wirklich halal? Und was bedeutet überhaupt halal? Wortwörtlich heißt es auf Arabisch „erlaubt“, aber was ist tatsächlich erlaubt im Islam?
Für mich hat gesundes Essen oberste Priorität, weil nur gutes Essen dem Körper mental gut tun kann. Deshalb heißt es auch im Islam halal Fleisch, weil das Fleisch gesund sein muss. Ein Fleisch kann nur dann gesund sein, wenn das Tier gesund und glücklich gelebt hat und auch richtig geschächtet wurde. Je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto mehr taucht man in eine Welt, die komplexer ist, als sie ausschaut. Beim Verzichten auf Fleisch oder tierische Produkte geht es grundsätzlich nicht nur um die Produkte selbst, sondern auch um die Produktion dahinter. An dieser Stelle könnte die Statistik über die Produktion und Konsum von Fleisch und welche ökologischen Auswirkungen die Massentierhaltung auf die Umwelt und die Menschheit verursachen, aber nur um es auf den Punkt zu bringen: Unser Fleischkonsum, sowie auch unser Konsumverhalten generell hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch zum Schlechten verändert. Es hat sich in eine Richtung verändert, die ethisch nicht mehr vertretbar ist.
Das Schächten im Islam
Theologisch gesehen dachte ich mir nun, was die vierte Säule des Islams für eine Botschaft innehält? Wie ist diese Säule aus heutiger Sicht zu erklären und zu interpretieren? Aktuell kann man viele Erläuterungen bezüglich des Wortes ‚opfern‘ und ‚schächten‘ im Koran, finden, die zum Nachdenken anregen. Und wenn man sich die Tierhaltung und den Vorgang des Schächtens anschaut, dann erkennt man, wie sehr die Tiere dem Stress ausgesetzt sind. Nach islamischen Regeln müssen die Tiere in einer artgerechten und gesunden Umgebung aufwachsen. Alleine die Transporte dieser Tiere sind so unwürdig, dass sie den Lehren des Islam widersprechen. Die Tiere dürften außerdem nicht im Beisein anderer Tiere getötet werden und beim Töten keinen langanhaltenden Schmerz verspüren. Es sind viele Bedingungen, die fürs Schächten vorhanden sein müssen, die aber nicht eingehalten werden. Wenn im Koran so oft „Wollt ihr denn nicht nachdenken?“[4] steht, dann ist die Reflexion bezüglich dieser Massenindustrie eine Notwendigkeit. Wenn wir daran glauben, dass wir alle Lebewesen Gottes Schöpfungen sind und wir dazu verpflichtet sind, verantwortungsbewusst miteinander umzugehen, dann ist nicht nur die zwischenmenschliche Beziehungen gemeint, sondern auch unsere Beziehung zu den Tieren. [5]
[1] 2:173
[2] Tirmidhi u. Ibn Madscha
[3] Abu Dawud
[4] Beispiel: 6:50,
[5] 6:38